St. Johannes 6,30-35 | Mittwoch nach 7. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Vor kurzem wurde in Großbritannien eine Studie veröffentlicht. Danach sehen 89% der jungen Erwachsenen im Vereinigten Königreich im Alter zwischen 18 und 29 Jahren ihr Leben als sinnlos an. Als einer der Hauptgründe für die Sinnlosigkeit ihres Lebens führen sie an, dass sie nicht genügend Geld haben, um ein Leben nach ihren Vorstellungen gestalten zu können.
89% der jungen Erwachsenen einer der bedeutendsten Nationen dieser Welt sehen ihr Leben als sinnlos an. Ich fürchte, das liegt nicht zuerst und vor allem am bevorstehenden Brexit, sondern das lässt sich durchaus auch auf andere Länder übertragen. Wenn ich mir anhöre, was mir Glieder unserer Gemeinde über ihr Leben im Iran berichten, dann höre ich daraus eine ganz ähnliche Stimmung unter den jungen persischen Erwachsenen: Auch hier herrscht oft genug ein deprimierendes Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens. Und wie würde eine entsprechende Umfrage hier in Deutschland ausfallen? Ob wir hier nicht auch auf dieselbe Spannung stoßen würden, dass Menschen sich von einer ausreichenden finanziellen Absicherung einen Sinn für ihr Leben erhoffen und dann am Ende doch feststellen, dass ihr Leben sinnlos ist und bleibt – ganz gleich, ob ihnen die erhofften finanziellen Mittel fehlen oder ob sie feststellen, dass diese Mittel ihnen wohl doch kein sinnvolles Leben verschaffen können?
Vielleicht ist diese Umfrage aus Großbritannien auch gar nicht so neu und überraschend. Wenn wir uns die Predigtlesung des heutigen Abends anhören, dann begegnen wir dort schon einer ganz ähnlichen Haltung: Menschen suchen nach etwas, was ihren Hunger nach Leben stillt, und sie erwarten diese Stillung von der Befriedigung ihrer ganz irdischen Bedürfnisse. Wenn uns in unserem Leben immer gutes Essen geboten wird, dann wollen wir den, der uns dies gibt, auch gerne als Sinnstifter für unser Leben ansehen.
Wenn wir uns den Zusammenhang der Verse unserer Predigtlesung anschauen, dann mögen wir erschrecken oder auch nachdenklich werden: Da hatte St. Johannes gerade zuvor geschildert – wir haben es eben im Heiligen Evangelium gehört –, wie Jesus auf wunderbare Weise 5000 Männer sattgemacht hatte, Frauen und Kinder noch nicht einmal eingerechnet. Jeder, der auch nur ein wenig weiterdachte, musste doch erkennen, dass Jesus unendlich mehr war als bloß ein besonders gut funktionierender Pizzaservice. Jeder, der auch nur ein wenig Ohren hatte zu hören, dem musste doch klar sein, dass er hier in Jesus einer ganz anderen Welt begegnete als der, in der der Lebenssinn nur auf Nahrungsaufnahme und etwas Spaß begrenzt ist.
Ja, erschütternd ist es wahrzunehmen, wie Menschen hier direkt vor dem stehen, der ihren Hunger nach Leben, nach Lebenssinn im Tiefsten zu erfüllen vermag – und es einfach nicht erkennen, mit wem sie es da zu tun haben. Sie sehen Jesus – und bleiben doch in ihren Vorstellungen von Spaß und Triebbefriedigung als Lebenssinn gefangen. Die Antwort auf ihren Hunger auf Leben ist so nahe – und sie begreifen es einfach nicht.
Da stehen gerade auch in England so viele großartige Kathedralen, die die Menschen daran erinnern, wo der Hunger nach Leben, nach Lebenssinn endgültig gestillt werden kann. Doch die Menschen nehmen sie nicht wahr, haben keinen Zugang mehr zu ihnen – und beklagen dann, dass ihnen jeglicher Lebenssinn abhandengekommen ist.
Und was machen die Kirchen in England angesichts dieser erschreckenden Perspektivlosigkeit so vieler Menschen in ihrem Land? Sie meinen, dieser Perspektivlosigkeit dadurch begegnen zu können, dass sie sich an die Erwartungshaltung der Menschen anpassen, dass sie ihre Bedürfnisse befriedigen. In dieser Woche konnte man zeitgleich zur Veröffentlichung der Umfrage unter den jungen Erwachsenen in England einen Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen, wie die Anglikanische Kirche versucht, die Menschen wieder neu anzusprechen. Der Erzbischof von Canterbury erklärte unlängst, er wolle, dass Menschen in Kathedralen Spaß hätten. „Wenn man in einer Kathedrale keinen Spaß haben kann, weiß man nicht, was Spaß ist.“, so der Primas der weltweiten Anglikanischen Kirche. Und so hat man nun etwa in der Kathedrale von Rochester einen kostenlosen 9-Loch-Minigolfplatz im Kirchenschiff installiert und deklariert das ganze als „Abenteuer-Golf“. In der Kathedrale von Norwich hat man eine spiralförmige Rutsche installiert, die die Gelegenheit bieten soll, die Kathedrale „auf eine ganz und gar neue Weise zu erleben“ und die „Gespräche über den Glauben anstoßen“ soll. Und in Peterborough werden unter einer sieben Meter hohen Skulptur der Erde Yoga-Veranstaltungen abgehalten, um unter dem sich drehenden Globus die Verbundenheit zur Natur spürbar zu machen. Nein, das ist keine Satire, sondern leider traurige Realität, die vielleicht auch mit zu erklären vermag, warum in England 89% der jungen Erwachsenen keinen Sinn in ihrem Leben sehen. Offenbar finden sie diesen Sinn auch nicht dadurch, dass sie quer durch eine Kathedrale rutschen oder einen Golfball vor dem Altar im Loch versenken.
Und dagegen ruft Jesus nun hier in unserer Predigtlesung: Ich, ich, ich bin das Brot des Lebens. Ja, es gibt einen Ort, an dem deine Suche nach dem tiefsten Sinn deines Lebens ihre Erfüllung findet. Es gibt einen Ort, an dem du erfahren kannst, dass sich der Sinn deines Lebens nicht auf gutes Essen und ein wenig Spaß reduzieren lässt, auch nicht auf die Erfahrung der Verbundenheit mit der Erde. Denn die wirst du in deinem Grab ohnehin noch früh genug machen. Und dieser Ort bin ich, ist meine Person, ruft Christus. Ich stille euren Hunger nach Leben, nach Lebenssinn, ich schenke euch ein Leben, das unendlich mehr ist als Spaß und Bedürfnisbefriedigung. Ich gebe euch Anteil an einem neuen Leben, das nicht mehr von Vergänglichkeit geprägt ist, sondern von Ewigkeit, das davon geprägt ist, dass aller Mangel dieses Lebens nie mehr existieren wird.
Brot des Lebens nennt sich Jesus selber hier, Brot, das vom Himmel kommt, das gerade nicht wir selber mit unseren Möglichkeiten schaffen können, das uns nur geschenkt werden kann. Und Jesus führt dann bald darauf aus, wie wir an diesem Brot Anteil bekommen können: nicht mit Rutschen und Minigolf oder mit Meditation, sondern dadurch, dass wir dieses Brot selber kauen, dass wir ihn, selber Christus, leibhaftig in uns aufnehmen, indem wir seinen Leib essen und sein Blut trinken.
Das Mahl des Herrn, der Empfang seines Leibes und Blutes, es ist der absolute Kontrapunkt zu einer Spaßgesellschaft, die auf der Suche nach immer größeren Kicks ist, zu einer Spaßgesellschaft, in der immer mehr Jugendliche auch in unserem Land sich zudröhnen in der Hoffnung, der Sinnlosigkeit ihres alltäglichen Lebens entfliehen zu können. Hier im Heiligen Mahl passiert nichts Aufsehenerregendes, hier läuft keine Riesenshow ab, und hier wirst du auch nicht betäubt, sondern im Gegenteil hellwach gemacht für deine Zukunft, die dir bevorsteht, hellwach für die sichtbare Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn Jesus Christus.
Die 18 bis 29jährigen – sie bilden hier in unserer Gemeinde die stärkste Altersgruppe. Wir bilden hier in unserer Gemeinde eine Gegengesellschaft zu all denen, die vergeblich nach einem Lebenssinn suchen, weil sie an Christus vorbeileben. Leben wir es darum den Menschen in unserer Umgebung vor, was es heißt, mit einer Hoffnung zu leben, mit einem tiefen Lebenssinn, den wir bei jeder Feier des heiligen Sakraments neu erfahren können! Machen wir die Leute neugierig auf das, was sie sonst nirgendwo als hier am Altar erleben und empfangen können! Ja, weisen wir sie immer wieder hin auf den, der das Brot des Lebens ist! Was er zu bieten hat, damit kann doch niemand mithalten, kein Koran, keine Selbstversenkung, erst recht kein Minigolfparcours in der Kirche: „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Nimmermehr – hörst du das? Ja, kommt, denn es ist alles bereit! Amen.