St. Johannes 7,37-39 | Exaudi | Pfr. Dr. Martens

Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt: Von seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

 

Würdet ihr, wenn ihr hier in Deutschland geboren seid und als Deutsche aufgewachsen seid, euren Sohn oder eure Tochter „Regen“ nennen? Auf diese Idee würden wohl nur die wenigsten von euch kommen, denn Regen empfinden wir hier in Deutschland doch eher als eine reichlich lästige Angelegenheit. Wir sind froh, wenn es nicht regnet und endlich wieder die Sonne scheint. Ja, gerade in diesem Corona-Frühjahr geht uns der viele Regen allmählich doch ganz schön auf den Senkel. Wir würden lieber den ganzen Tag draußen sein, als uns vor dem Regen doch wieder in die Innenräume zu flüchten. Und ich selber schaue auch immer vor den Gottesdiensten nochmal im Internet nach, ob denn mit Regen in den nächsten Stunden zu rechnen ist, oder ob ich meine Sprechstunden nach dem Gottesdienst doch hoffentlich wieder draußen im Garten halten kann.

Gewiss, wir erinnern uns noch daran, was für Auswirkungen die trockenen Frühlingsmonate in den Jahren zuvor in unserem Land hatten, und wir sollten es ernstnehmen, dass die Wahrscheinlichkeit von Dürren infolge des Klimawandels in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch in unserem Land immer weiter zunehmen wird. Doch bis wir anfangen, unseren Kindern den Namen „Regen“ zu geben, wird es wohl doch noch eine Weile dauern.

Bei unseren Gemeindegliedern, die aus dem Iran stammen, ist das ganz anders: Ich habe eine ganze Reihe von Kindern und Jugendlichen in unserer Gemeinde, die tatsächlich „Baran“, also „Regen“ heißen, denn in dem trockenen Iran steht der Regen tatsächlich für Segen, ist er ein Geschenk von Gott – und eben dies wird dann auch mit dem Namen „Baran“ zum Ausdruck gebracht, der im Übrigen sowohl Mädchen als auch Jungen gegeben werden kann.

Unsere Gemeindeglieder aus dem Iran und Afghanistan können von daher auch unsere heutige Predigtlesung noch besser verstehen als wir Deutschen, die zu Wasser vielleicht doch nicht solch einen inneren emotionalen Bezug haben: Da berichtet der Evangelist St. Johannes hier von der großen Wasserzeremonie, mit der das Laubhüttenfest jedes Jahr in Jerusalem abgeschlossen wurde: Am Morgen dieses höchsten Tages des Festes schöpften Priester aus der Shiloah-Quelle unterhalb von Jerusalem Wasser und brachten es in einer feierlichen Prozession zum Tempel, umschritten siebenmal den Altar und schütteten dann das Wasser auf dem Altar aus. Das war ein großes Freudenfest: Man jubelte vor Freude über Gott, der sein Volk nicht nur jetzt mit Wasser versorgte, sondern der einmal im Tempel für immer das Wasser des Lebens sprudeln lassen wird. Wasser – was für ein wunderbares Bild für Leben, für Heil, für die Erfüllung all unserer Sehnsüchte, die wir als Menschen in uns tragen!

Und nun berichtet St. Johannes hier, wie Jesus mitten während dieser feierlichen Prozession, als das Wasser von der Shiloah-Quelle hoch in den Tempel gebracht wurde, plötzlich laut dazwischenruft, die ganze feierliche Prozession durcheinanderbringt – und dabei etwas Unglaubliches behauptet: Ihr feiert, dass einmal im Tempel eine Quelle sprudeln wird, aus der das Wasser des Lebens fließen wird. Ihr braucht nicht länger zu warten, ihr braucht euch nicht länger nach dieser Zeit zu sehnen, in der das einmal geschehen wird. Ihr braucht das Wasser nicht länger den Berg hochzutragen. Der Tempel steht nicht mehr oben auf dem Berg – der Tempel steht hier vorne vor euch, hier, wo ich bin. Ich bin dieser Tempel, ich bin der Ort, an dem und in dem Gott wohnt. Und wer zu mir kommt, der darf jetzt schon dieses Wasser aus der Quelle des Heils schöpfen, der darf jetzt schon erfahren, dass die neue Zeit angebrochen ist.

Vor vier Jahren wurde eine neue Ausgabe der Luther-Übersetzung der Heiligen Schrift rechtzeitig zum Reformationsjubiläum herausgegeben. Da wurden viele neue gute Erkenntnisse zur richtigen Übersetzung der Bibel mit eingearbeitet. Doch leider hat man in den Versen unserer heutigen Predigtlesung dann doch die alte Luther-Übersetzung beibehalten: „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Ja, das klingt so, als ob der Leib von uns Christen die Quelle lebendigen Wassers sei. Das kann ich in Bezug auf mich selber nicht so ganz nachvollziehen. Von meinem Leib fließen eigentlich keine Ströme lebendigen Wassers, da fließt höchstens im Sommer der Schweiß, wenn ich hier sechs Gottesdienste bei warmem Wetter mit FFP2-Maske leiten soll. Nein, es geht nicht darum, dass von den Leibern der Christen Ströme lebendigen Wassers fließen. Sondern diese Ströme des lebendigen Wassers fließen natürlich vom Leib Jesu Christi selber. Und eben darum verweist Jesus hier auch nicht auf die strömenden Christen, sondern allein auf sich selber: „Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt!“

Ströme lebendigen Wassers, die vom Leib Christi fließen – ja, das ist nicht nur ein schönes Bild, sondern das war von Christus selber durchaus ganz real, ganz leibhaftig gemeint. Nicht lange danach hängt derselbe Christus, der hier beim Laubhüttenfest seinen Leib als den neuen Tempel Gottes vorstellt, am Kreuz – ein Soldat sticht in diesen Leib hinein, und aus diesem Leib fließen Blut und Wasser. Nein, das ist nicht nur eine medizinische Beschreibung, sondern die Bedeutung ist für Johannes klar: Diejenigen, die an Christus glauben, erhalten Anteil an dem, was Christus für sie am Kreuz getan hat, eben dadurch, dass sie an Blut und Wasser Anteil bekommen: Am Wasser der Heiligen Taufe und am Blut des Heiligen Mahles. Und indem sie an der Heilige Taufe und am Heiligen Mahl Anteil bekommen, erhalten sie eben dadurch den Heiligen Geist, der ihnen Leben, ewiges, unvergängliches Leben schenkt.

Auch wenn wir persönlich vielleicht nicht so ein inniges Verhältnis zum strömenden Regen haben, so sprechen uns diese Worte unseres Herrn doch gerade in diesem Corona-Frühling des Jahres 2021 besonders an: Ja, ausgetrocknet fühlen doch auch wir uns, dürsten nach Leben, nach wahrem Leben, nach Leben ohne Maske, nach Leben ohne Angst vor Ansteckungen, dürsten nach Leben, in dem wir einfach wieder ganz normal miteinander Gemeinschaft haben, miteinander feiern können, uns wieder nahekommen können. Ach, wäre das schön, wenn uns dieser Durst nach Leben gestillt würde!

Doch Jesus verspricht uns hier nicht, dass wir bald wieder im Restaurant zusammensitzen können oder endlich wieder in die Sauna gehen können. Er verspricht uns erst recht nicht, dass wir hier auf Erden ein Leben führen können, in dem es das Restrisiko des Todes nicht mehr gibt. Aber in Wirklichkeit verspricht er uns viel mehr. Er sagt zu uns: Wenn eure Sehnsucht nach Leben sich darauf beschränkt, bald wieder beim Lieblings-Italiener sitzen zu dürfen, nach Mallorca in den Urlaub fahren zu können und euren Körper im Fitness-Studio wieder formen zu können – ja, dann wird es höchste Zeit, dass ich auch hier bei euch ganz laut dazwischenrufe, euch darauf aufmerksam mache, wie ihr das wahre Leben finden könnt: Nicht dadurch, dass alles wieder so wird, wie es vor der Corona-Krise war, nicht dadurch, dass wir wieder so weiterleben können, wie wir vorher gelebt haben. Sondern das wahre Leben findet ihr nur dann, wenn ihr zu mir, zu Jesus Christus, kommt, wenn ihr euch von mir ein Leben schenken lasst, das nicht mit Impfungen geschützt werden muss, das nicht ständig bedroht ist, sondern das bleibt, das in alle Ewigkeit bleibt, das selbst unser leiblicher Tod nicht zerstören kann.

Ja, das meine ich ganz wörtlich, so sagt es Jesus hier: Kommt her zu mir, kommt her zu meinem Leib. Dort fließt das Wasser des Lebens. Es fließt im Leib Christi, in seiner Kirche, es fließt hier an diesem Taufstein, es fließt, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen – ja, hoffentlich bald auch wieder gemeinsam aus dem einen Kelch. Hier bekommt ihr unendlich mehr als bloß die Rückkehr zu alten Verhältnissen. Hier bekommt ihr ewiges Leben in Fülle. Hier in diesem Gottesdienst bricht schon die Zukunft an, erleben wir schon den Vorgeschmack der Vollendung, in der es einmal endgültig keine Krankheit und keinen Tod mehr geben wird.

Ja, noch sind wir nicht am Ziel, noch leben wir in dieser Zwischenzeit, die dieser Sonntag Exaudi jedes Jahr im Kirchenjahr in besonderer Weise markiert: Wie die Jünger damals können wir Jesus nicht mehr mit eigenen Augen sehen – und zugleich sehnen wir uns danach, dass derselbe Jesus uns mit dem beschenkt, was wir uns selber nicht zu geben vermögen: mit seinem Geist, mit seinen Gaben, mit seinem neuen Leben. Doch auch, wenn wir hier und jetzt noch in dieser Zwischenzeit hängen: In jedem Gottesdienst sind wir zugleich schon ganz dicht am Ziel, weil wir ganz dicht am Leib Christi dran sind, an diesem Leib, von dem Ströme des lebendigen Wassers fließen, die unsere Sehnsucht nach Leben endgültig zu stillen vermögen. „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ – Was für eine wunderbare Einladung in diesen Zeiten, in denen wir auf dem Trockenen sitzen. Komm zum Tempel, zum Leib Christi, lass dich von der Gabe seines Geistes überströmen! Nein, du brauchst nicht mehr zu warten. Es passiert schon heute und hier: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Amen.

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