St. Johannes 7,37-39 | Exaudi | Pfr. Dr. Martens
Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Von Seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Auf dem Marktplatz in Halle an der Saale feierten am letzten Donnerstag evangelische Christen einen Gottesdienst zum Beginn des Evangelischen Kirchentags. Während einer Lesung aus der Heiligen Schrift sprangen mit einem Mal Aktivisten der örtlichen Antifa vor das Podium mit einem großen Transparent mit der geistvollen Inschrift: „Luther, du mieses Stück Sch ...!“ – Ich erspare euch die restlichen Buchstaben. Mit dieser Aktion meinten die Antifa-Kämpfer, die Besucher des Kirchentags über den Antisemitismus, Sexismus und Despotismus von Martin Luther aufklären zu müssen. Die Wortwahl der Aktivisten spricht für sich; doch es gelang ihnen damit, die Aufmerksamkeit zu erzielen, die sie wollten – auch wenn mir immer noch nicht aufgeht, was sie denn damit nun letztlich erreichen wollten.
Von einer Gottesdienststörung berichtet uns auch der Evangelist St. Johannes in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Es handelte sich um eine besonders feierliche Zeremonie: Am letzten Tag des Laubhüttenfestes zogen die Priester in Jerusalem in einer feierlichen Prozession mit frischem Quellwasser, das sie mit einem goldenen Krug aus der Siloah-Quelle geschöpft hatten, unter Posaunenklängen hoch zum Tempel und umkreisten sieben Male den Altar, bevor sie das Wasser schließlich auf dem Altar ausgossen – als Ausdruck der Bitte um den notwendigen Herbstregen und zugleich als Ausdruck der Sehnsucht nach der kommenden Heilszeit, in der es einmal Leben in Fülle geben würde. Freude über Gottes gute Gaben, freudige Sehnsucht nach dem Heil, das man in der Zukunft erwartete, bestimmte diesen Höhepunkt der Festwoche.
Doch da schreit mit einem Mal mitten in dieser feierlichen Zeremonie einer ganz laut dazwischen. Er brüllt, er ruft – und was er ruft, das hatte es in sich: Das war keine billige Provokation wie bei den Antifa-Kämpfern in Halle; da ging es auch nicht darum, die Feier, die dort gerade stattfand, mieszumachen, den Leuten die Freude zu verderben. Im Gegenteil: Der da brüllt, der da schreit, der hat etwas anzusagen, was eigentlich doch Grund zu noch größerer Freude, zu noch größerem Jubel sein sollte: Denen, die da im Tempel Gott um den baldigen Anbruch der Heilszeit baten, um den Anbruch der Zeit, in der einmal Wasser des Lebens in Strömen fließen sollte, verkündigt der Rufer: Diese Zeit ist jetzt gekommen. Das Wasser des Lebens, das Wasser des Heils, es fließt schon jetzt. Die Heilszeit ist nicht mehr bloß Zukunft, sie ist jetzt schon Gegenwart. Ihr braucht nicht mehr Wasser auf dem Altar auszuschütten. Kommt stattdessen zu mir. Ja, wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt! Von meinem Leib fließen Ströme lebendigen Wassers!
Ja, Jesus selber ist dieser Gottesdienststörer, dieser Rufer, der die ganze feierliche Zeremonie durcheinanderbringt. Wie gesagt: Es geht ihm nicht darum, Menschen oder Feiern niederzumachen. Aber er ruft, er brüllt in der Tat. Denn die Leute sollen aufhorchen, sollen mitbekommen, was wirklich Sache ist: Sie können noch so große und schöne Feiern veranstalten: Da, wo bei diesen Feiern nicht er, Jesus Christus, im Zentrum steht, wo nicht von ihm allein alles Heil erwartet wird, da bleiben diese Feiern hohl, da verfehlen sie das Entscheidende.
Ja, an diesem Zwischenruf Jesu haben sich alle Gottesdienste, alle christlichen Gottesdienste messen zu lassen: Was wird dort gefeiert, was steht dort im Mittelpunkt? Während wir uns heute Mittag hier in unserer Dreieinigkeitskirche versammeln, findet gerade auf den Elbwiesen in der Lutherstadt Wittenberg der Abschlussgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentags statt. Auch für diesen Gottesdienst gilt, genauso wie für unseren, eben diese Frage: Worum geht es dort und hier im Gottesdienst? Wird Christus allein als das einzige Heil, als der einzige Heilsbringer für die Welt gepriesen; erwartet man von ihm allein Heil und Rettung – oder wird die Aufmerksamkeit derer, die da feiern, vielmehr gelenkt auf das, was wir tun müssen, um diese Welt zu retten, um diese Welt zu verbessern, um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in dieser Welt zu verwirklichen? Wird zur Umkehr zu Christus gerufen, oder werden die, die da feiern, einfach nur in dem bestätigt, was sie immer schon gedacht und gemacht haben? Ja, wird klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, was die Gabe ist, die wir von ihm, Christus, als erstes und allerwichtigstes brauchen – eben den Geist Gottes, den Heiligen Geist, der uns zu Christus führt und in seiner Gemeinschaft zu Hause sein lässt? Ja, wird klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, wo und wie wir diesen Heiligen Geist empfangen – eben nicht anders als an seinem Leib, durch den wir Anteil an diesem Geist Christi erhalten? Wird klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es um diesen Leib Christi geht, wenn wir das Heilige Mahl feiern, dass dieses Mahl eben nicht ein nettes Mahl mitmenschlicher Gemeinschaft ist, nicht bloß der Auftakt zu einem Reformationspicknick, sondern dass wir in den Gaben von Brot und Wein wirklich und wahrhaftig diesen Leib Christi berühren mit unserem Mund, mit unserem Mund das heilige Blut des Herrn empfangen, ob wir es glauben oder nicht? Wird klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir durch diese Gabe des Leibes und Blutes Christi Anteil erhalten am Strom des lebendigen Wassers, am Geist Gottes, der da lebendig macht?
Ja, Schwestern und Brüder, habt diesen Zwischenruf unseres Herrn immer in den Ohren, wenn ihr in einen Gottesdienst geht, wenn ihr vielleicht gar überlegt, wo ihr künftig eure geistliche Heimat haben wollt! Fragt euch dies immer wieder vor allem: Geht es hier um Christus, um Christus, um Christus, um ihn, der allein unseren Durst nach Leben zu löschen vermag, oder geht es um etwas Anderes? Geht es vielleicht doch nur um nette mitmenschliche Gemeinschaft, um gute Unterhaltung, um ansprechende Aktionen? Ja, fragt euch dies immer wieder: Wo strömt in diesem Gottesdienst das lebendige Wasser? Strömt es in der Predigt, weil sie euch Christus groß macht? Strömt es, weil euch in der Beichte die Hand aufgelegt und euch die Vergebung der Sünden zugesprochen wird? Strömt es, weil ihr in jedem Gottesdienst den Leib eures Herrn empfangt, weil die Teilhabe an seinem Leib Zentrum und Höhepunkt eines jeden Gottesdienstes ist?
Das allein ist wichtig, darauf kommt es an. Das allein ist so wichtig, dass Christus es dir auch hier und heute wieder in dein Ohr ruft: Kommt, kommt zu mir, kommt und trinkt, kommt, empfangt den Heiligen Geist durch meinen Leib! Ja, es geht tatsächlich um dein Leben, um dein ewiges Leben! Schneide dich doch ja nicht davon ab, indem du meinst, ohne mich, ohne mein Wort, ohne meinen Leib und mein Blut, ohne meinen Heiligen Geist leben zu können! Glaube nicht, das könntest du ja irgendwann immer noch mal in der Zukunft machen. Nein, jetzt, jetzt bin ich hier, ruft Christus. Du brauchst nichts in die Zukunft zu schieben. Jetzt stehe ich da, warte auf dich, jetzt will ich dir das Leben schenken, jetzt heute und in jedem Gottesdienst, wann immer ihr euch um mein Wort, um mein Heiliges Mahl versammelt!
Schwestern und Brüder: Sicher geht es heute hier bei uns nicht so feierlich zu wie auf den Elbwiesen in Wittenberg. Sicher haben wir hier kein so ansprechendes kirchenmusikalisches Programm zu bieten. Sicher sind wir auch mit der Austeilung des Heiligen Mahles hier in unserer Kirche heute nicht so schnell fertig wie bei der großen Feier in Wittenberg. Doch eines verspreche ich euch: Hier geht es um Christus allein, hier empfangt ihr wirklich und wahrhaftig seinen Leib und sein Blut.
Lasst euch darum anstecken von der Freude, die Christus euch mit seinem Zwischenruf machen will: Kommt, ja, kommt mit all der Schuld eures Lebens, kommt mit all euren Sorgen und Nöten, mit euren Ängsten und eurer Verzweiflung, mit euren Abhängigkeiten und Krankheiten, mit eurer Furcht vor dem, was euch in der Zukunft erwartet: Kommt mit eurem Durst nach Leben, mit eurem Durst nach Ruhe und Frieden, mit eurem Durst nach einem festen, ewigen Zuhause, kommt zu ihm, Christus, empfangt von ihm, was kein Mensch euch zu schenken vermag! Glauben heißt Trinken, so macht es Christus hier deutlich: Wie ein Mensch, ausgetrocknet von der Hitze, das kühlende, erfrischende Wasser einfach nur in sich hineinströmen lässt, selber gar nichts tut, sondern einfach nur empfängt, so ist es mit dem Glauben auch: Er empfängt einfach, tut selber gar nichts, lässt sich einfach nur von Christus durchströmen. Christus macht, was du nicht machen kannst und nicht zu machen brauchst. Er schenkt dir Leben, Leben, das nie mehr vergeht. Er will dich auch an einem solch heißen Tag wie dem heutigen doch erfrischt, gestärkt wieder zurückkehren lassen in den Alltag, will in dir selber zu einer Quelle werden, aus der du schöpfen kannst auch in den Tagen, die nun wieder vor dir liegen. Darum komm, komm und empfange den Leib des Herrn! Denn von seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Amen.