St. Lukas 1, 1-4 | Tag des Evangelisten St. Lukas | Pfr. Dr. Martens
In den letzten Wochen haben wir hier in unserer Gemeinde viel mit Journalisten zu tun gehabt – mit Menschen, die sich für die ungewöhnlichen Geschichten interessieren, die hier bei uns geschehen sind und geschehen. Dabei haben wir auch erlebt, dass Journalisten ganz unterschiedlich arbeiten können: Da haben wir viele Journalisten erlebt, die tatsächlich an der Sache selber interessiert waren, die zu uns kamen, weil sie mehr erfahren, mehr lernen wollten von dem Schicksal der Menschen in unserer Gemeinde, von ihrer Situation, von ihren Problemen. Manche haben sich viel Zeit genommen, um mit den Menschen hier zu sprechen. Man spürte es ihnen ab: Sie wollten mit ihren Berichten tatsächlich Augen öffnen, Diskussionen anstoßen, Menschen zum Handeln bewegen. Und was dann schließlich aufgrund dieser Recherchen zu sehen oder zu hören oder zu lesen war, war tatsächlich ganz dicht dran an dem, was wir hier selber auch erleben. Gute journalistische Arbeit, keine Frage. Dann gab es andere Journalisten, die sich hier bei uns nur recht kurz aufgehalten haben. Sie brauchten einfach ein paar Bilder, ein paar Stichworte, ein paar Aufhänger – und bald waren sie wieder weg. Entsprechend oberflächlich war dann auch mitunter, was daraus dann in der Zeitung oder in einem Filmbeitrag gemacht wurde. Und dann gab es schließlich vereinzelt auch Journalisten, die gar nicht hierhergekommen waren, um ernsthaft etwas kennenzulernen, sondern die nur darauf aus waren, ihre eigenen Vorurteile bestätigt zu finden, und denen dazu schließlich auch fast jedes Mittel recht war. Das Machwerk der AP-Journalistin, das viele unserer Gemeindeglieder verständlicherweise sehr erschüttert hat, ist hierfür ein gutes Beispiel. Und dann gibt es schließlich sogar Medien, die es überhaupt nicht für nötig halten, sich selber ein Bild hier vor Ort zu machen, die Journalismus auf dem Buschfunk-Niveau betreiben wie etwa FOCUS online, die mir ganz frei erfundene Aussagen in den Mund gelegt haben. Ja, auch so übel kann Journalismus aussehen, wenn er nicht seriös betrieben wird.
Um einen Journalisten geht es auch heute am Tag des Evangelisten St. Lukas. Nein, Lukas war nicht einer der zwölf Apostel, er hat Jesus selber vermutlich in der Zeit vor Ostern nicht zu Gesicht bekommen. Und doch interessierte er sich offenkundig brennend für die Geschichte von Jesus, wollte mehr davon erfahren, war darum im besten Sinne dieses Wortes als Journalist tätig, als einer, der mithilfe von sorgfältigen Recherchen herausfinden wollte, was denn nun damals wirklich mit Jesus geschehen ist, wie er geboren wurde, was er gesagt und getan hat, wie er gestorben und auferstanden ist. Ja, allen Grund haben wir dazu, den Gedenktag dieses Evangelisten zu feiern, denn genau einen solchen Mann brauchen wir heute, einen, der uns aufgrund seiner Recherchen berichten kann, wer Jesus wirklich war, einen, der allen selbstgebastelten Jesusbildern einen Bericht entgegensetzen kann, der auf hochkarätigen Zeugenaussagen beruht. Ja, von Lukas können wir lernen, worum es in unserem christlichen Glauben tatsächlich geht:
Es geht in unserem christlichen Glauben zunächst einmal um Geschichten, die unter uns geschehen sind, so formuliert es St. Lukas hier. Das klingt erst einmal so selbstverständlich, dass man dies für gar nichts Besonderes halten mag. Und doch ist es ganz wichtig, dass wir uns dies immer wieder neu klar machen: Unser christlicher Glaube bezieht sich auf Geschichten, auf Geschichte, auf Geschehnisse, von denen Zeugen berichten können. Es geht in unserem christlichen Glauben nicht um allgemeine Wahrheiten, die ganz gut ins Poesiealbum passen mögen, nicht um irgendwelche Gefühle, die wir mehr oder weniger trickreich bei Leuten hervorrufen mögen. Sondern es geht um die Geschichte Gottes mit uns Menschen, die sich nicht irgendwo im Jenseits, sondern hier auf Erden abgespielt hat und noch abspielt. Gott mischt sich in die Geschichte dieser Welt ein – ganz anders, als wir es erwartet haben mögen, und gerade darum allemal so spannend, dass sich da journalistische Recherche lohnt.
Ja, es geht im christlichen Glauben um Geschichten, die unter uns geschehen sind. Das muss man gerade heute immer wieder betonen und deutlich machen, wenn so häufig die Auffassung vertreten wird, es ginge ja in allen Religionen letztlich nur um menschliche Vorstellungen von Gott – und eigentlich sei es ja immer wieder derselbe Gott, der eben in den verschiedenen Religionen aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet werde.
Nein, so macht es St. Lukas deutlich, es geht im christlichen Glauben nicht um Vorstellungen von Gott. Es geht darum, wie Gott selber sich uns vorgestellt hat, wie er sich uns gezeigt hat, wie er sich in der Geschichte dieser Welt zu erkennen gegeben, ja mehr noch: unwiderruflich festgelegt hat. Wir glauben als Christen nicht an ein allgemeines höheres Wesen; wir glauben an den Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden und schließlich am Kreuz gestorben ist. Wir können von dieser Geschichte nicht absehen, wenn wir von Gott sprechen, wenn wir auch anderen Menschen eben diesen Gott bezeugen.
Da ist etwas geschehen, da ist etwas passiert. Und St. Lukas möchte herausfinden, was denn da nun passiert ist. Und dazu nutzt er nun zwei Quellen, so beschreibt er es hier gleich zu Beginn seines Evangeliums. Zum einen kennt er selber schon andere schriftliche Berichte von dieser wichtigsten Geschichte der Welt, andere schriftliche Berichte von dem Leben, Sterben und Auferstehen des Jesus von Nazareth. Diese Berichte stammen, so beschreibt es St. Lukas hier, von denen, die es von Anfang an selbst gesehen haben, von Augen- und Ohrenzeugen. Ja, wir haben im Neuen Testament Berichte von Menschen, die ganz, ganz dicht dran waren an dem, was sie da beschrieben. Die Evangelien im Neuen Testament sind nicht bloß eine allgemeine Gerüchteküche, keine Legendensammlung, sondern Berichte von Menschen, die direkt mit dabei waren, die es selber miterlebt haben, wie Jesus sich den Menschen als Sohn Gottes zu erkennen gegeben hat.
Doch Lukas gibt sich mit diesen Berichten, die ihm bereits vorliegen, mit diesen anderen Evangelien nicht zufrieden. Er begibt sich selber auf Recherchetour, erkundet alles von Anfang an sorgfältig, so formuliert er es hier. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Bei Lukas erfahren wir so manches aus dem Leben Jesu, das wir sonst nicht wüssten. Offenbar hatte Lukas wirklich erstklassige Zeugen befragt, allen voran anscheinend Maria, die Mutter Jesu. Denn nur bei Lukas finden wir so viele Geschichten, die er eigentlich nur von Maria selber gehört haben kann: Die Geschichte von dem Besuch des Erzengels Gabriel bei ihr, die Weihnachtsgeschichte, die Geschichte von Simeon und Hanna im Tempel, ja auch die Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel. Geschickt hat Lukas alles miteinander verarbeitet: die Berichte, die ihm schriftlich vorlagen, und die Ergebnisse seiner eigenen Recherchen, nicht zuletzt auch viele wunderbare Gleichnisse Jesu, die sich nur bei Lukas finden, etwa das Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Nein, Lukas hat nicht einfach schnell von anderen abgeschrieben, er hat sich auch nicht bloß auf das verlassen, was er sich irgendwo angelesen hatte. Was er in seinem Evangelium schreibt, beruht auf solider journalistischer Arbeit, ist gerade darum für uns heute immer noch, ja immer mehr von bleibendem Interesse.
Doch Lukas legt zugleich auch die Karten ganz offen auf den Tisch und zeigt sich damit gerade als guter Journalist. Er benennt sehr offen die Motive, die ihn dazu bewogen haben, seinen Bericht über das Leben Jesu zu schreiben. Es ging ihm nicht um die Befriedigung von Neugier und Sensationslust, ebenso wenig um die Manipulation von Gläubigen. Es ging ihm aber auch nicht um einen Bericht aus einer neutralen, angeblich objektiven Perspektive. Solche vermeintliche Objektivität lässt sich angesichts dessen, worüber Lukas berichtet, gar nicht durchhalten: Dass Gott Mensch wird, dass Jesus mit seiner Auferstehung gezeigt hat, dass er stärker ist als der Tod, darüber lässt sich nicht berichten wie über die neusten Entwicklungen an der Frankfurter Börse. Lukas selber spricht es darum deutlich aus: Er hat sein Evangelium geschrieben und Theophilus gewidmet, „damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist“. Ja, Lukas will mit seinem Evangelium den Glauben des Theophilus stärken, will ihn erkennen lassen, dass dieser Glaube an Jesus Christus tatsächlich auf einem sicheren Grund beruht, dass man sich auf das, was in der Kirche gelehrt und verkündigt wird, tatsächlich verlassen kann. Ja, das Lukasevangelium zielt auf den Glauben derer, die es lesen, ganz klar. Aber das macht es gerade nicht unglaubwürdig – eben weil Lukas hier gleich zu Beginn seines Evangeliums ganz offen darlegt, wie er vorgegangen ist und worum es ihm in seinem Evangelium geht.
Ich lade euch alle miteinander sehr herzlich dazu ein, auf dem Hintergrund dessen, was wir heute nun in diesem Gottesdienst bedacht haben und bedenken, einfach mal wieder das Lukasevangelium ganz durchzulesen und es wieder neu zu entdecken. Ich bin gewiss, es wird euch nicht gleichgültig und unberührt lassen, wird euch wieder neu die Augen öffnen für die aufregendste Geschichte der Welt – für eine Geschichte, in der es letztlich eben nicht bloß um Vergangenheit geht, sondern um Dich! Amen.