St. Lukas 1,26-38 | Mariae Verkündigung | Pfr. Dr. Martens

Stellt euch vor, der amerikanische Präsident Barack Obama würde hier in unsere Gemeinde kommen. Ja, ich weiß, der Gedanke ist schon ziemlich absurd; aber stellt es euch einfach mal vor. Solch ein Besuch müsste natürlich lange vorbereitet und angekündigt sein – und wenn es dann soweit wäre, dann wäre hier ein noch sehr viel größerer Medienauflauf zu erwarten, als wir ihn hier in unserer Gemeinde in den vergangenen Wochen erlebt haben. Hunderte von Polizisten wären hier bei uns im Einsatz, und vermutlich müssten wir die ersten Reihen hier in unserer Kirche für irgendwelche besonderen Ehrengäste reservieren. Und dann wäre Barack Obama vielleicht eine Stunde hier, würde dann wieder abziehen – und dann wäre die ganze große Show wieder vorbei.

Heute Abend feiern wir in diesem Gottesdienst einen noch viel größeren Besuch als bloß den Besuch des amerikanischen Präsidenten. Wir feiern heute Abend den Besuch keines Geringeren als Gottes selber, des Schöpfers der ganzen Welt, in dieser Welt, die er geschaffen hat. Doch dieser Besuch läuft nun ganz anders ab als der Besuch eines amerikanischen Präsidenten. Gewiss, lange zuvor hatte Gott diesen Besuch in der Welt, hatte sein Kommen in diese Welt angekündigt. Doch wann genau und wie und wo er dann zu uns kommen würde, das hatte dann doch keiner so voraussehen können. Als Gott in diese Welt kommt, tut er dies nicht im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Da stehen nicht hunderte von Reportern bereit, um dieses Ereignis zu filmen und darüber zu berichten. Gott wählt sich auch nicht eine bedeutende Hauptstadt aus, um in diese Welt zu kommen, sondern kommt stattdessen in ein kleines Kuhdorf in einer abgelegenen römischen Provinz, scheinbar völlig am Ende der Welt. Doch noch viel bemerkenswerter ist es, wie er denn in diese Welt kommt: nicht unter gewaltigem Donnerhall oder begleitet von Bollerschüssen, nicht im blendenden Lichtglanz seiner Herrlichkeit, sondern allen Ernstes als Embryo, ganz klein, noch nicht einmal stecknadelkopfgroß, winzigst, hält er Einzug in diese Welt im Leib eines völlig unbekannten jungen Mädchens, das sich in seinem Leben bisher nicht die geringsten besonderen Verdienste erworben hat, dass es sich in irgendeiner Weise nahegelegt hätte, dass Gott gerade in ihr und in niemand sonst Mensch werden sollte. Doch das Allerwichtigste nun ist dies: Gott kommt nicht bloß mal für eine Stunde zur Stippvisite in dieser Welt vorbei, lässt sich einmal von allen bejubeln und zieht sich dann wieder in seinen eigenen Bereich zurück. Nein, dieser Besuch, den uns der Evangelist St. Lukas im heiligen Evangelium des heutigen Festtags schildert, der ist bis heute nicht vorbei. Gott hat sich nicht wieder aus dieser Welt zurückgezogen. Er ist Mensch geworden und Mensch geblieben bis zum heutigen Tag, ja in alle Ewigkeit. Was St. Lukas uns hier schildert, hat Auswirkungen auf die Menschheitsgeschichte bis zum Jüngsten Tag.

In Nazareth spielt sich die Geschichte ab, von der St. Lukas hier berichtet – fernab von der Hauptstadt Jerusalem, in einem Haus eines Dorfes, in dem ein junges Mädchen namens Maria lebt, von deren Hintergrund uns ansonsten wenig berichtet wird: Verlobt ist sie, noch nicht verheiratet, das ist alles, was wir von ihr erfahren. Und da tritt mit einem Mal ein Engel zu ihr in das kleine Haus, das wahrscheinlich nur aus einem einzigen Zimmer bestand. Dass er Flügel hatte, wird nicht berichtet, wohl aber, dass er im Auftrag Gottes kommt und Maria begrüßt mit einem ganz ungewöhnlichen Gruß: Sei gegrüßt, du Hochbegnadete. Hochbegnadet heißt gerade nicht: sündlos, mit besonderen Verdiensten versehen. Nein, genau das ist Gottes Art, sich Menschen in Gnaden zuzuwenden, die es überhaupt nicht verdient haben, die in sich selber keinerlei Anlass dazu bieten, weshalb Gott sich gerade mit ihnen abgeben sollte, sich ihnen mit seiner Barmherzigkeit zuwenden sollte. Und der Engel zögert dann auch nicht lange, sondern kommt gleich zur Sache: Er kündigt Maria an, dass Gott an ihr handeln wird, Unglaubliches an ihr tun wird, sie zur Mutter seines Sohnes machen wird, zur Mutter eines Königs, dessen Herrschaft niemals mehr enden wird – jawohl, sie, Maria, das junge Mädchen aus dem Kuhdorf am Ende der Welt.

Kein Wunder, dass Maria das nicht einfach fraglos zur Kenntnis nimmt, dass sie nicht einfach sagt: Ach ja, ist ja klar, ich weiß schon, dass später überall in den Kirchen Statuen von mir stehen werden, weil ich Gottes Sohn zur Welt gebracht habe, weil ich jetzt gerade dabei bin, Mutter Gottes zu werden. Nein, Maria fragt, stellt genau die Frage, die wir damals auch gestellt hätten und die so viele Menschen bis heute stellen: „Wie soll das geschehen?“ Das geht doch gar nicht; ich bin noch mit keinem Mann zusammen gewesen. So viel zum Thema, dass wir Menschen heute ja viel aufgeklärter sind als die Leute damals. Maria kannte sich beim Thema „Biologie“ auch schon ganz gut aus. Doch der Engel macht deutlich, was nun geschieht: Der Heilige Geist wird sie nun überschatten, Gott selber wird nun Einmaliges tun, weil es eben einmalig ist und bleibt, dass er selber in diese Welt kommt. Nein, es gibt keinen Parallelfall in der Weltgeschichte, dass Gott Mensch wird, und darum gelten nun bei Maria die scheinbar so ehernen Gesetze, wie ein Embryo zustande kommt, gerade nicht. Gott kommt selber – aber er kommt eben anders, als alle sich das gedacht hätten. Gott wird ein Embryo, Gott kommt als Baby auf die Welt, Gott muss bald darauf als Asylbewerber vor denen flüchten, die ihn umbringen wollen, ja, Gott geht seinen Weg, bis er schließlich selber am Kreuz stirbt.

Gott bahnt sich seinen Weg in diese Welt: Gott schafft Fakten durch sein Wort, durch seinen Heiligen Geist. Und Maria bleibt nichts Anderes übrig, als dies staunend anzuerkennen: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Nein, Gott macht sich nicht von Marias Ja abhängig. Aber er führt Maria durch das Wort des Engels dahin, dass sie zu dem Ja sagen kann, was Gott schon durch sein Wort an ihr und in ihr gewirkt hat.

Gott kommt in die Welt – was uns St. Lukas hier schildert, ist und bleibt ein einmaliger, unvergleichlicher Moment der Weltgeschichte. Und doch hat das, was uns der Evangelist hier beschreibt, Auswirkungen bis zum heutigen Tage, Auswirkungen auch auf uns. Nein, keiner von uns wird durch den Heiligen Geist schwanger werden. Wohl aber geschieht es auch in unserem Leben, dass Gott uns anspricht und sein Kommen auch bei uns ankündigt. Ja, mehr noch, er hat auch in unserem Leben längst Fakten geschaffen, als der Heilige Geist auch in uns Wohnung genommen hat durch das Wasser der Taufe – so unscheinbar wie damals in Nazareth auch, und doch so real, so lebensverändernd. Und wenn wir heute Abend das Heilige Mahl feiern, dann wird auch diese Dreieinigkeitskirche wieder zu einem Nazareth: Gott schafft auch heute Abend wieder Fakten im Heiligen Mahl, ob wir es glauben und annehmen oder nicht: Er bewirkt, dass in den Gestalten von Brot und Wein derselbe Sohn Gottes mit seinem Leib und Blut gegenwärtig ist, der einst im Leibe Marias Wohnung nahm. Und wenn wir ihn, Christus, dann im Heiligen Mahl empfangen, dann lebt er in uns, dann tragen wir ihn in uns, ja, dann sind auch wir dazu gerufen, ihn zur Welt zu bringen, zu anderen Menschen, wie Maria damals Christus zur Welt gebracht hat. Ja, es mag alles so absurd, so abwegig klingen, dass heute Abend der Schöpfer des Universums in einem Stück Brot zu uns hier in Berlin-Steglitz kommen soll. Doch genau so ist Gott, genau so hält er Einzug bei uns. Lassen wir uns vom Vorbild Marias bewegen, sagen auch wir Ja zu dem, was Gott heute wieder an uns tun will: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Und vergessen wir es dabei nie: Verdient haben wir ihn allemal nicht, diesen Besuch Gottes auch in unserem Leben. Wenn auch wir hochbegnadet sind, dann allein um dieses Jesus Christus willen, der für uns am Kreuz gestorben ist. Und vergessen wir auch das Andere nicht: Wenn wir denn diese besondere Gnade von Gott geschenkt bekommen, dass er zu uns kommt, in uns Wohnung nimmt, dann bedeutet das nicht, dass Gott uns dadurch ein einfacheres Leben schenkt. Menschlich gesprochen war es für Maria eine Katastrophe, ohne Ehemann schwanger zu werden – und der Spott darüber ist bis zum heutigen Tag nicht abgerissen. Doch Maria hörte mehr auf Gottes Wort als auf das, was andere über sie sagten. Auch wir müssen damit rechnen, dass wir nicht unbedingt auf Zustimmung und Begeisterung stoßen, wenn wir Christus zur Welt, zu anderen Menschen bringen. Da müssen wir auch mit Spott rechnen, mitunter auch noch mit sehr viel mehr, so können es viele unserer Geschwister hier in der Gemeinde bezeugen. Und doch dürfen wir heute Abend und immer wieder singen und jubeln mit Maria, dürfen uns freuen über Gottes Zuwendung, über seinen Besuch bei uns, ja in uns. Ja, auch du darfst heute Abend mit dieser Gewissheit aus dem Gottesdienst wieder nach Hause gehen: Du, jawohl auch du hast Gnade gefunden bei Gott. Amen.

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