St. Lukas 14, 15-24 | 2. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Heute will ich denen, die noch kein Farsi können, wieder mal einen wichtigen persischen Satz beibringen. Er lautet: „Man vaght nadaram.“ Auf Deutsch: Ich habe keine Zeit. „Man vaght nadaram“ – das ist im Zweifelsfall immer eine gute Antwort, wenn man zum Gottesdienst eingeladen wird, und sie passt auch scheinbar in jeder Sprache der Welt: „Ich würde ja gerne kommen. Aber ich habe keine Zeit.“ Der arme Mensch – ihm fehlt das Allerwichtigste auf der Welt. Ihm fehlt Zeit. Angesichts dieses Dilemmas erübrigt sich jede weitere Nachfrage. „Man vaght nadaram“ – was soll man dagegen noch sagen können?

Doch in Wirklichkeit ist diese Aussage „Man vaght nadaram“, „Ich habe keine Zeit“, ganz gleich, in welcher Sprache man sie auch formuliert, schlicht und einfach Unsinn. Jeder Mensch hat Zeit, jeder Mensch hat jeden Tag dieselbe Zeit, die ihm zur Verfügung steht: 24 Stunden. Keiner von uns hat weniger, keiner von uns hat mehr. Die Frage ist nicht, ob wir Zeit haben, jawohl, die haben wir. Die Frage ist vielmehr, wofür wir die Zeit, die wir haben, einsetzen, was uns in dieser Zeit wirklich wichtig ist und was nicht.

Und damit sind wir nun schon mitten drin in der Geschichte, die uns Christus, unser Herr, im Heiligen Evangelium dieses Sonntags erzählt. Da veranstaltet ein Mensch ein großes Festmahl, lässt rechtzeitig hierfür an die geladenen Gäste die Einladung ergehen, bereitet alles vor – und dann schickt er unmittelbar vor Beginn des Festes seinen Diener los, um die geladenen Gäste persönlich zur Hochzeit abzuholen. Alles eine reine Formsache – wer die Einladung rechtzeitig erhalten hatte, wusste natürlich Bescheid, hatte Zeit genug, um sich auf den Beginn des Festes vorzubereiten. Doch was muss sich der Diener, der von dem Gastgeber eingeladen wird, anhören? Es ist immer wieder dieselbe Antwort: „Man vaght nadaram“. Ich habe keine Zeit. Ich muss mich um einen neugekauften Acker kümmern; ich muss mich um meine neuste Investition, um die fünf Gespanne Ochsen, kümmern; ich muss mich um meine Frau, um meine Familie kümmern. „Man vaght nadaram.“ Die Begründungen als solche sind ja gar nicht schlecht – sie haben alle nur einen Nachteil: Mit ihnen machen die Eingeladenen deutlich, dass ihnen etwas Anderes wichtiger ist als die Einladung des Gastgebers, ja, dass ihnen diese Einladung letztlich so unwichtig ist, dass sie sich noch nicht einmal Mühe gegeben haben, ihre alltäglichen Geschäfte mit dieser besonderen Einladung irgendwie in Einklang zu bringen. Kein Wunder, dass der Gastgeber auf die Absagenserie enttäuscht, ja zornig reagiert. Doch er gibt nicht auf: Zunächst erteilt er dem Diener die Anweisung, von draußen die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen hereinzuholen, lauter Leute, die damals kein Mensch bei einem Fest dabei haben wollte, weil die die feierliche Stimmung nur gestört hätten, weil die in solch einen gehobenen Kreis einfach nicht hineingehörten. Es muss noch nicht einmal extra erwähnt werden, dass diese Leute die Einladung natürlich sofort annahmen, sofort zu diesem Festmahl kamen, weil sie diese Einladung noch einmal ganz besonders zu schätzen wussten. Doch der Gastgeber gibt sich mit einem halbvollen Festsaal nicht zufrieden. Er möchte unbedingt, dass sein Haus ganz voll wird, und so schickt er den Diener noch einmal hinaus, ganz weit nach draußen, dorthin, wo Menschen zu finden waren, die gar nicht mehr aus dem Gebiet stammten, in dem die ursprünglich geladenen Gäste lebten. Und so findet das große Fest statt – mit einem Festsaal voller Leute, die überhaupt nicht damit rechnen konnten, bei solch einer Feier dabei zu sein, während die anderen, die ursprünglich geladen waren, am Ende allesamt draußen vor bleiben, das große Fest verpassen.

Es fällt uns nicht schwer zu erkennen, wie aktuell diese Geschichte ist, die Jesus hier erzählt. Es fällt uns nicht schwer zu erkennen, dass Jesus hier natürlich von Gott, seinem Vater, spricht, der zu seinem großen Fest einlädt, zu einem Fest, das nicht nach ein paar Stunden oder Tagen wieder aufhört, sondern in alle Ewigkeit weitergeht. Und es fällt uns nicht schwer zu erkennen, dass sich das, was Jesus hier ankündigt, auch in unserer Mitte immer wieder abspielt. Ja, Gott möchte, dass sein Haus voll wird, auch dieses Haus hier in Steglitz. Und wenn wir meinen, dieses Haus sei wirklich schon voll genug, dann ist Gott da immer wieder ganz anderer Meinung. Er schickt uns immer wieder los, noch mehr Leute zu seinem großen Fest einzuladen, „dass mein Haus voll werde.“ Es gibt ja allen Ernstes Leute, die sich über volle Gottesdienste, über eine volle Kirche beschweren. Ist es nicht viel schöner, wenn man den Gottesdienst in einer kleinen, halbvollen Kirche, in kurzem, überschaubarem Rahmen feiert? Gott ist jedenfalls anderer Meinung: Der gibt sich nicht mit einem halbvollen Haus zufrieden; der möchte wirklich ein krachend volles Haus haben. Und wenn das jemandem nicht passt und er deswegen weggeht, dann zeigt er damit nur, dass er noch nicht verstanden hat, worum es Gott eigentlich geht.

Und wie aktuell diese Geschichte ist, sieht man auch an den Gästen, die der Gastgeber zu seinem Fest einlädt: die Armen sind es, diejenigen, die unter allen möglichen Einschränkungen zu leiden haben, und die Ausländer, die Menschen, die nicht aus dem Gebiet derer stammen, die ursprünglich einmal zum Fest eingeladen waren. Gottes Geschmack hat sich in den letzten 2000 Jahren offenkundig nicht besonders geändert. Ihm liegen die Armen, die Kranken, die Fremden nach wie vor besonders am Herzen. Die möchte er bei seiner Feier auf jeden Fall mit dabei haben. Und so füllen sie auch heute wieder hier sein Haus – Menschen, die selber noch vor gar nicht langer Zeit überhaupt nicht damit gerechnet hatten, bei diesem Fest mit dabei sein zu dürfen; Menschen, die nichts Anderes mitbringen können als ihre leeren Hände; Menschen, die von ganz woanders herkommen, von den Landstraßen, von den Heimen am Rande der menschlichen Gesellschaft, und die nun hier mit dabei sind im Festsaal des Reiches Gottes. So wunderbar war und ist diese Einladung für sie, dass sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht haben, ob sie denn dieser Einladung folgen, ob sie dafür überhaupt Zeit haben. Solch eine Einladung, solch ein Fest, das wollen sie sich einfach nicht entgehen lassen!

Ja, genau das will Jesus hier mit dieser Geschichte auch bei uns erreichen: Dass uns beim Hören der großen Einladung Gottes gleichsam das Wasser schon im Munde zusammenläuft, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken, ob wir dafür eigentlich Zeit haben, weil wir ahnen: Wenn wir da nicht hingehen würden, würden wir das Wichtigste in unserem Leben verpassen! Werben und einladen möchte Jesus mit dieser Geschichte, jawohl, uns werben, uns einladen, dass wir gar nicht erst auf die Idee kommen, auf seine Einladung zu antworten: „Man vaght nadaram.“ Was könnte denn tatsächlich wichtiger sein, als hier bei Gottes großem Fest Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit geschenkt zu bekommen?

Überlegen wir uns also gut, was wir eigentlich zum Ausdruck bringen, wenn wir auf Gottes Einladung zu seinem Fest antworten: Man vaght nadaram, ich habe keine Zeit. Wir sagen damit zu Gott: Es gibt da etwas, das ist mir wichtiger als deine Einladung. Meine Arbeit ist mir wichtiger als dein Fest. Meine Familie ist mir wichtiger als dein Fest. Meine Karriere ist mir wichtiger als dein Fest. Die Schule ist mir wichtiger als dein Fest. Mein Hobby ist mir wichtiger als dein Fest. Darum habe ich keine Zeit, mit dir zu feiern!

Wie gut, dass ihr heute zu Gottes Fest gekommen seid, dass ihr nicht gesagt habt: Ich habe keine Zeit! Wie gut, dass ihr erkannt habt, dass es hier nicht bloß um ein Freizeitangebot geht, sondern um das letzte Ziel eures Lebens! Und ich hoffe, dass ihr hier im Gottesdienst auch etwas davon erahnt und erfahrt, dass genau dies ein Charakteristikum des ewigen Lebens sein wird, dass in ihm Zeit einmal keine Rolle mehr spielen wird, dass es da nichts mehr geben wird, was uns hetzen wird, dass wir da einfach für immer werden aufatmen dürfen. Ich wünsche euch, dass ihr hier im Gottesdienst davon schon einen Vorgeschmack bekommt, dass Zeit bei Gottes Fest nicht mehr wichtig ist. Lasst diese Haltung „Man vaght nadaram“ einfach mal draußen vor der Tür; schaltet eure Handys ab, zu deren Sklaven so viele schon geworden sind; bleibt einfach mal ruhig hier drin sitzen und denkt nicht, ihr würdet etwas verpassen, wenn ihr nicht während des Gottesdienstes dreimal noch nach draußen lauft. Ja, glaubt doch nicht, ihr würdet wirklich Zeit sparen, wenn ihr erst in der zweiten Hälfte des Gottesdienstes hier auftaucht! Was ihr hier verpasst, das könnt ihr auf andere Weise gar nicht aufwiegen! Freut euch einfach daran, dass euer Alltagstrott zumindest einmal in der Woche von Gottes Fest ganz und gar durchbrochen wird, dass ihr erfahrt, dass Stress und Hektik nicht das Letzte und Entscheidende in unserem Leben sind und sein dürfen! Lehnt euch zurück, und hört die wunderbaren Zusagen aus dem Heiligen Evangelium dieses Tages: Selig, ja selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes. Ja, genau das geschieht nun gleich wieder im Heiligen Mahl; da kommen wir hier am Altar bereits an im Reich Gottes. Darum hört es und kommt, denn es ist alles bereit! Ja, kommt, denn eben dafür hat Gott sie euch geschenkt: die Zeit! Amen.

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