St. Lukas 1,67-79 | Dritter Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Heute ist es auf den Tag neun Monate her, dass die Türen unserer Dreieinigkeitskirche wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurden – und sich anschließend auch nicht in den Tagen der Heiligen Woche und des Heiligen Osterfestes wieder öffneten. Neun Monate lang liegt nun schon der Schatten dieser Pandemie auf unserer Welt, auf unserem Land – und eben auch auf unserer Gemeinde. Ja, dieses Virus hat uns vielfältiger Weise verstummen lassen: An die Stelle langer festlicher Gottesdienste sind kurze Gottesdienste mit stark eingeschränkter Liturgie, mit stark eingeschränktem Gesang getreten, alles auch noch einmal durch Gesichtsmasken gedämpft. Unbefangene Freude ist uns nicht erlaubt – Lachen könnte gefährlich sein für die Gesundheit der anderen. Und während es bei einer Schwangerschaft nach neun Monaten keine sehr weitreichende Verlängerung gibt, erleben wir in diesen Tagen, wie wir nun in unserem Land, in unserer Gemeinde wieder vor einem harten Lockdown stehen, müssen wir befürchten, dass wir in diesen kommenden Wochen keine Weihnachtslieder werden anstimmen können, ja, dass unsere Kirchentüren vielleicht sogar ganz verschlossen bleiben, weil es selbst genügend Kirchenvertreter gibt, die schon mehr oder weniger offen angedeutet haben, dass man ja letztlich doch ganz gut auf Gottesdienste in der Kirche verzichten könne. Ja, wie können wir als Christen damit umgehen, dass nun nach Ostern ausgerechnet auch wieder zu Weihnachten dieses Virus uns den Mund zu verschließen droht?

Hochaktuell ist gerade auch auf diesem Hintergrund die Predigtlesung des heutigen Dritten Sonntags im Advent. Da hören wir nämlich Worte eines Mannes, der auch gerade neun Monate Lockdown hinter sich hat – neun Monate eines Lockdowns der ganz besonderen Art: Da war dem Priester Zacharias im Tempel der Erzengel Gabriel erschienen und hatte ihm angekündigt, dass seine Frau Elisabeth trotz ihres hohen Alters noch schwanger werden und einen Sohn gebären würde. Der Zacharias konnte sich das überhaupt nicht vorstellen, wie das denn möglich sein sollte – zwei uralte Leute, die ein Kind bekommen sollten, nachdem sie ihr ganzes Leben zuvor vergeblich darauf gewartet hatten! Und dann gibt der Gabriel dem Zacharias ein ganz starkes Zeichen, dass Gott tatsächlich tun wird, was der Engel dem Zacharias angekündigt hatte: Er lässt den Zacharias neun Monate lang bis zur Geburt seines Sohnes verstummen. Neun Monate kein Wort sagen dürfen – das war schon hart für den Zacharias, für einen Mann, der als Priester doch immer gewohnt gewesen war zu sprechen. Wir lesen dann im Weiteren im Lukasevangelium, wie Zacharias anschließend versuchte, auf dem Wege von alternativen Medien mit seiner Umwelt zu kommunizieren – schriftlich statt mündlich. Ein Notbehelf – mehr nicht. Doch dann wird endlich der angekündigte Sohn geboren, Johannes der Täufer, und als dieser am achten Tag bei seiner Beschneidung seinen Namen bekommen soll, da lässt Zacharias der erstaunten Verwandtschaft mitteilen, dass sein Sohn nicht, wie man damals vermuten konnte, ebenfalls Zacharias heißen soll, sondern Johannes. Und ab diesem Augenblick endet der Lockdown für Zacharias, er kann wieder reden, und das erste, was aus seinem Mund nach diesem Neun-Monats-Lockdown kommt, ist der Lobgesang, den wir nun eben als Predigtlesung vernommen haben.

Nach solchen Lobgesängen nach neun Monaten Lockdown ist uns heute an diesem Tag wahrlich noch nicht zumute. Bei uns hat sich noch nichts gelöst, ganz im Gegenteil. Und dennoch können wir von dem singenden Zacharias nach seinem Lockdown auch für uns, für unsere Situation eine ganze Menge lernen:

Wie begründete der Erzengel Gabriel den Lockdown für Zacharias? Er führt als Begründung an, „weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die erfüllt werden sollen zu ihrer Zeit“. Zacharias war in seinen Gedanken so sehr mit dem beschäftigt, was uns Menschen möglich ist, dass er den Möglichkeiten Gottes nicht geglaubt hat. Und so lässt ihn Gott in seinem Neun-Monats-Lockdown lernen, wie schnell wir Menschen an die Grenzen unserer Möglichkeiten stoßen, lässt ihn zugleich ganz neu lernen, auf Gottes Möglichkeiten allein zu vertrauen.

Ich höre es immer wieder in diesen Wochen und Monaten, wie in den Kirchen davon geschwärmt wird, was für viele kreative Möglichkeiten sie in diesen Monaten der Pandemie entwickelt haben, was sie alles in diesen Monaten an Neuem geschaffen haben, um den Herausforderungen dieser Pandemie zu begegnen. Nun will ich überhaupt nichts gegen kreative Ideen in der Kirche sagen, solange sie dem Evangelium entsprechen und dieses zur Sprache bringen. Doch ich vermisse es sehr oft, wie wenig wir in unseren Kirchen darüber nachdenken, solch einen Lockdown auch als Antwort Gottes wahrzunehmen, als Antwort Gottes darauf, dass wir so oft in den Kirchen mit unserer eigenen Betriebsamkeit beschäftigt sind und so wenig mit Gottes Möglichkeiten rechnen. Und wenn Gott uns dann unsere Betriebsamkeit aus der Hand schlägt, dann fangen wir sofort wieder an, auf andere Weise betriebsam zu werden, statt still zu werden und uns zu fragen, was Gott uns mit diesem erzwungenen Stillstand eigentlich sagen will. Buße – Umkehr zu Gott, sie täte uns ohnehin in jeder Adventszeit, aber ganz besonders in dieser Adventszeit des Jahres 2020 gut, dass wir Gott wieder neu bekennen, wie wenig wir so viele Möglichkeiten zu schätzen gewusst hatten, die er uns vor der Pandemie eröffnet hatte, wie wenig wir vielleicht auch oft genug das Angebot der Gottesdienste zu schätzen gewusst haben, das wir zuvor hatten.

Was der Zacharias in diesen neun Monaten seines Zungen-Lockdowns so gemacht hat, wissen wir nicht. Aber wenn wir uns das Lied anschauen, das danach aus seinem Mund kommt, dann merken wir, wie Zacharias diese Zeit genutzt hat, um über Gottes Plan für unser Leben, für das Leben der ganzen Welt nachzudenken. Voll von Bezügen auf Geschichten des Alten Testaments ist das Lied, das er anstimmt. Er erkennt, wie auch sein Lockdown Teil einer Geschichte ist, in der es um unser Heil, um unsere Rettung geht. Nehmen wir uns gerade jetzt in diesen Wochen, in denen wir in so mancher Hinsicht zur Untätigkeit verurteilt sind und sein werden, Zeit, um unser Leben wieder neu im Licht des Wortes Gottes zu betrachten, um wieder neu darüber zu staunen, wie Gott auch in unserem Leben gehandelt und seine Versprechen wahrgemacht hat? Dann, ja dann – und nicht etwa weil wir in dieser Zeit so kreativ geworden sind – kann auch diese Lockdown-Zeit für uns zu einer Segenszeit werden.

„Gelobt sei der Herr“ – das sind die ersten Worte, die Zacharias nach neun Monaten wieder über die Lippen kommen. Was wären unsere ersten Worte, wenn wir neun Monate lang nicht hätten sprechen können? Wäre es auch ein Lobpreis Gottes gewesen – oder hätten wir vielleicht erst einmal geschimpft oder geklagt über das, was wir erlebt haben? Zacharias beginnt die Zeit nach seinem Lockdown mit einem Lob Gottes, weil ihm in dieser Zeit aufgegangen ist, was in seinem Leben, ja, im Leben von uns allen letztlich wirklich wichtig ist und zählt: nämlich das, was Gott uns versprochen hat. Das bleibt, selbst wenn uns sonst alles andere genommen wird. Von dem heiligen Bund und dem Eid Gottes spricht Zacharias hier. Sie bilden das Zentrum dieses Gesanges, in dem Zacharias entfaltet, was Gott zuvor versprochen hat und nun in der Geburt Johannes des Täufers, des Vorläufers unseres Herrn Jesus Christus, erfüllt hat. Was auch passiert: Gott steht zu seinen Versprechen, zu seinem Bund, zu seinem Eid – das erkennt Zacharias hier staunend.

Ja, genau das ist es, was wir in dieser Lockdown-Adventszeit des Jahres 2020 ebenfalls wieder neu erkennen sollen und dürfen: Und wenn noch so viele Pläne in unserem Leben zerbrechen, wenn noch so viele Hoffnungen zerplatzen, wenn wir erleben, dass das, was gestern noch sicher erschien, morgen schon überhaupt nicht mehr gilt: Was Gott uns versprochen hat, das hat Bestand. Der Bund, den Gott mit dir in deiner Taufe geschlossen hat, der hat Bestand, selbst wenn dir sonst alles in deinem Leben genommen werden sollte. Daran kannst du dich festhalten, selbst wenn dir sonst im Angesicht der Entwicklungen in unserem Land in diesen Tagen ganz schwindlig werden sollte. Daran kannst du dich festhalten, selbst wenn dir das Corona-Virus eines Tages die Luft zum Atmen nehmen sollte: Gott hält sein Wort, nimmt niemals zurück, dass er dir nicht weniger als das ewige Leben in der Gemeinschaft mit ihm versprochen hat, nimmt es niemals zurück, wenn er auch dir gesagt hat: „Dir sind deine Sünden vergeben.“

Der Lobgesang des Zacharias hat einen wunderbaren Rahmen. Und dieser Rahmen wird gebildet durch das schöne Wort „Besuch“. Das Thema „Besuch“ ist in diesen Tagen und Wochen ein besonders wichtiges Thema in den Gesprächen und Diskussionen in unserem Land: Wen sollen und dürfen wir besuchen in diesen kommenden Wochen? Dürfen wir zu Weihnachten Besuch empfangen? Dürfen die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen unseres Landes in den kommenden Wochen Besuch empfangen?

Zacharias jubelt hier, dass Gott selber sich durch keine Corona-Vorschriften davon abhalten lässt, uns Menschen zu besuchen. Gott ist kein Gott, der nur online mit uns verkehrt, keiner, der uns nur irgendwelche frommen Sprüche aus der Ferne zukommen lässt. Sondern der kommt leibhaftig in unsere Mitte, so erfahren wir es auch jetzt gleich wieder, wenn wir im heiligen Sakrament seinen Leib und sein Blut mit unserem Mund empfangen. Ja, er kommt zu uns, die wir „sitzen in Finsternis und Schatten des Todes“, so formuliert es Zacharias hier so wunderbar, beschreibt damit so plastisch, wie es uns in diesen Wochen des Advents-Lockdown geht. Der Schatten des Todes, er hat sich über unser Land, auch über unser Leben gelegt. Doch da kommt es, das aufgehende Licht aus der Höhe, unser Herr Jesus Christus, nicht gleißend hell, sondern so unscheinbar, ein kleines Kind in einer Krippe in einem Viehstall. Und doch macht dieses Licht unser Leben so hell, dass es nicht länger dunkel bleibt bei uns auch in diesen unwirtlichen Zeiten, dass es nicht länger dunkel bei uns bleibt, selbst wenn wir krank werden sollten, selbst wenn der Schatten des Todes sich endgültig über unser Leben legen sollte. Auf dieses Licht aus der Höhe, auf diesen Jesus Christus hat Johannes, der Sohn des Zacharias, die Menschen damals gewiesen, und auf dieses Licht aus der Höhe weist er uns auch heute noch in seinen Worten, möchte, dass wir in diesen Wochen unseren Blick immer wieder ganz fest auf ihn richten, auf das Licht der Welt, auf ihn, der auch unsere Lebenswege einmal im hellen Licht seiner Gegenwart enden lassen wird.

Nein, du bleibst in diesen kommenden Wochen des harten Lockdowns nie allein. Christus, das Licht aus der Höhe, bleibt bei dir zu Besuch, ganz gleich, wo du dich auch aufhalten wirst. Und mit dieser Gewissheit lässt sich dieser Lockdown dann auch über die neun Monate hinaus noch aushalten. Amen.

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