St. Lukas 18,28-30 | 15. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens
Hoffentlich hört es heute nun endlich allmählich auf, heute, am Tag der Bundestagswahl – das Gequatsche über die Flüchtlinge, die angeblich alle nur hierher nach Deutschland gekommen sind, um sich in der Hängematte des deutschen Sozialsystems auszuruhen. In den vergangenen Wochen haben sich ja Politiker verschiedener politischer Parteien darin überboten, mit Breitseiten gegen Flüchtlinge auf Wählerstimmenfang zu gehen und dabei alle möglichen Klischees zu bedienen. Ja, das war allmählich kaum noch erträglich – und ich fragte mich dabei immer wieder, ob die, die da ihre Sprüche über die Flüchtlinge klopften oder sich gegenseitig mit Vorschläge zu überbieten versuchten, wie man Flüchtlingen das Leben hier in Deutschland möglichst schwermachen kann, ob die tatsächlich schon mal mit leibhaftigen Flüchtlingen gesprochen haben, ja, was die wohl sagen würden, wenn sie mit Gliedern unserer Gemeinde sprechen würden.
Da würden sie dann mit Leuten sprechen, die in ihrem Heimatland oftmals einen guten Beruf hatten, ein Auto, nicht selten auch eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus, eine eigene Familie – und in nicht wenigen Fällen auch noch vieles mehr, was über dem Lebensstandard eines durchschnittlichen Deutschen liegt. Aber dann hörten sie eine Botschaft, die sie noch nie in ihrem Leben zuvor vernommen hatten, hörten die Botschaft von dem Gott, der die Liebe ist, der seinen einzigen Sohn für uns hat am Kreuz sterben lassen – und diese Botschaft veränderte ihr Leben, ließ sie nicht mehr los, führte sie auf einen Weg, der für sie in ihrem Heimatland immer gefährlicher wurde, bis sie schließlich alles, was sie hatten, verlassen mussten: Haus und Frau und Brüder und Eltern und Kinder und Freunde und Arbeit und noch vieles andere mehr. Nein, sie tauschten nicht einfach ein schönes Leben gegen ein anderes ein, sondern sie gaben einfach auf, was sie hatten, ohne zu wissen, was aus ihrem Leben werden würde, gaben alles auf – nur wegen dieses Jesus Christus.
Und dann kamen sie hier in Deutschland an und sahen, was sie denn nun anstelle dessen, was sie vorher hatten, bekommen würden: Ein Sechsbettzimmer mit fremden Menschen, nicht selten mit radikalen Muslimen, statt der eigenen Wohnung und der eigenen Familie, Leistungen zum Lebensunterhalt, mit denen man gerade einmal die allernötigsten Erfordernisse abdecken konnte, anstelle des guten Gehaltes, das man vorher hatte. Und dann hatten sie ihre Anhörung im Bundesamt – und mussten in so vielen Fällen feststellen, dass man ihnen dort ihre Geschichte überhaupt nicht glaubte: Niemand ist doch so blöd, nur wegen so eines spinnerten Glaubens alles aufzugeben, was man hat, ja sein eigenes Leben zu riskieren. Das kann doch alles nur gelogen sein. Also – ab zurück in das Land, in dem sie zuvor um Christi willen alles aufgegeben hatten!
„Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“ – Genau so lesen wir es schon im Neuen Testament. Das ist nicht erst die Situation christlicher Flüchtlinge heutzutage, das war schon die Situation des Petrus und der anderen Apostel damals zur Zeit Jesu, das ist seitdem die Erfahrung unzähliger Christen aller Zeiten gewesen, die um Christi willen alles loslassen mussten, was ihnen lieb und wichtig war.
Um eines gleich ganz klarzustellen: Was wir hier lesen, ist keine Forderung von Jesus. Jesus sagt nicht: Wenn du ein richtiger Christ sein willst, dann musst du alles aufgeben, was du hast, dann musst du dein Haus und deine Familie verlassen. Sagt Jesus nicht. Gerade kurz zuvor erzählt Jesus von einem Zöllner, der in den Tempel geht und vor Gott seine Schuld bekennt – und der dann wieder zurück in sein Zöllnerhaus geht – gerechtfertigt von Gott, von ihm angenommen in seinem Reich. Ja, das hat es zu allen Zeiten der Kirche Jesu Christi gegeben: Menschen, die um Christi willen alles verloren hatten, und andere, die diese Menschen in der Familie der Gemeinde aufnahmen und ihnen dort eine neue Heimat schenkten. Nein, Christ werde ich nicht durch das, was ich tue, Christ werde ich auch nicht dadurch, dass ich auf etwas verzichte. Christ bin ich einzig und allein dadurch, dass ich in der Gemeinschaft mit Jesus Christus lebe, dass ich mit ihm verbunden, mit ihm eins bin.
Der Petrus stellt hier in der Geschichte, so wie sie St. Lukas uns hier erzählt, keine Frage. Der stellt einfach nur fest, was ist. Aber die Frage schwingt natürlich mit, und in der parallelen Erzählung bei Matthäus wird sie von Petrus auch offen ausgesprochen: Was wird uns dafür? Was bekommen wir denn nun dafür, dass wir auf so viel verzichtet haben – um deinetwillen, Herr? Ja, diese Frage ist nur zu verständlich – auch für so viele Glieder unserer Gemeinde: Was hat das denn nun alles gebracht, was wird es mir auch weiter bringen, dass ich Jesus nachgefolgt bin, dass ich um seinetwillen so viel aufgegeben habe? Ist das nicht nachvollziehbar, ist das nicht verständlich, solch eine Frage zu stellen?
Jesus findet, diese Frage ist verständlich, ist nachvollziehbar. Noch bevor der Petrus sie so richtig ausgesprochen hat, geht er schon darauf ein, antwortet auf sie. Ja, ihr werdet auf vielfältige Weise wieder beschenkt werden schon jetzt in dieser Zeit, sagt er, und in der künftigen Welt bekommt ihr dann auch das ewige Leben.
Nein, Jesus sagt nicht: Wer um meinetwillen seine Heimat, seine Familie, seinen Besitz aufgibt, bekommt innerhalb von zwei Jahren einen Aufenthalt in Deutschland, innerhalb von vier Jahren einen Beruf und eine eigene Wohnung und innerhalb von acht Jahren wahlweise einen Mercedes oder einen Porsche. Sagt Jesus nicht. Das wäre im Übrigen ja auch einigermaßen sinnlos. Wenn es nur darum ginge, den Wohnort zu wechseln und anschließend wieder weiterzuleben wie bisher – wozu wäre er, Jesus, dann eigentlich noch nötig? Wäre er dann eigentlich noch mehr als ein Umzugsspediteur? Nein, denen, die um Jesu willen alles in ihrem Leben aufgeben, ja, letztlich einem jeden von uns, der zu Jesus gehört, bleibt es nicht erspart, dass wir uns ohne Netz und doppelten Boden ganz in die Hände unseres Herrn Jesus Christus begeben, ihn uns führen lassen, ihn darüber entscheiden lassen, was wir in unserem Leben brauchen, was unser Leben wirklich reich und erfüllt sein lässt.
Ja, ich erinnere mich an so manches Gespräch, das ich mit Gliedern unserer Gemeinde geführt habe. Ich denke an ein Gespräch mit einem Ehepaar, das auch nach westlichen Maßstäben im Iran einen Millionenbesitz hatte und nun in seinem Asylbewerberheim saß, von der Abschiebung nach Italien bedroht. Und was sagten diese Menschen: Jetzt sind wir endlich reich! Jetzt, wo wir Jesus gefunden haben, sind wir reicher, als wir vorher waren. Ja, sie bestätigten es: Wer um Jesu willen alles aufgibt, empfängt mehr, als er verliert. Oder ich denke an den jungen Erwachsenen aus Afghanistan, der mir sagte: Seit ich meinen Eltern gesagt habe, dass ich Christ geworden bin, sprechen sie nicht mehr mit mir. Ich habe meine Familie in Afghanistan verloren – aber ich habe hier in der Gemeinde eine neue Familie gefunden, neue Brüder und Schwestern, und dazu einen Vater im Himmel, der für mich sorgt.
Jesus hält sein Versprechen – gerade so, dass er unseren Blick verändert und neu schärft, dass er uns neu erkennen lässt, was im Leben wirklich zählt: Die neue Geburt, die uns in der Taufe geschenkt wird, sie zählt mehr als alle Familienbande, die wir sonst in unserem Leben haben. Die frohe Botschaft der Heiligen Schrift, sie bringt mehr Freude und Erfüllung in unser Leben, als es alles Geld und aller Besitz je könnten. Die Gabe des Leibes und Blutes Christi – sie macht uns reicher, als es je ein Luxusartikel könnte. Ja, die Familie Gottes, in die wir von Christus gerufen werden, sie schenkt uns ein Zuhause, das uns niemand mehr nehmen kann.
Und dann ist da noch das ewige Leben – nicht als Nachklapp zu all dem anderen, was wir sonst in unserem Leben bekommen, sondern als das große Ziel, auf das wir uns alle miteinander hinbewegen. Ob wir nun hier auf Erden unseren Besitz behalten können oder aufgeben müssen, ob wir hier auf Erden in der Heimat bleiben oder uns eine neue Heimat suchen müssen – wir sind und bleiben alle miteinander unterwegs, wissen alle miteinander, dass wir das, was wir jetzt in Händen halten, einmal werden loslassen müssen. Wäre dieses Leben hier auf Erden alles, dann wäre es in der Tat Wahnsinn, was so viele Schwestern und Brüder in unserer Gemeinde gemacht haben. Doch wir wissen: Unser Leben hat einen anderen Zielpunkt, der tatsächlich alle Verluste, die wir jetzt erleiden und die uns oft genug so sehr zu schaffen machen, hundertfach, ja tausendfach aufwiegen wird. Wer um dieses Ziel nicht weiß, der mag uns für verrückt erklären – bis hin zu den Entscheidern des Bundesamtes. Doch wer sich auf Jesu Versprechen einlässt, der wird erfahren, dass er nicht enttäuscht wird, der wird immer wieder neu erfahren, wie Jesus für ihn sorgt: schon hier und jetzt und erst recht am Ziel unseres Lebens. Ja, es lohnt sich, für Jesus alles loszulassen. Es lohnt sich – weil Jesus es sagt, ja mehr noch: weil wir Jesus haben. Mehr geht gar nicht. Amen.