St. Lukas 19,41-48 Mittwoch nach dem 10. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Anfang Juni wurde hier in Berlin wieder der Al-Quds-Tag begangen. Dieser Tag wurde vor 40 Jahren von Ayatollah Khomeini ins Leben gerufen und ist heute noch ein offizieller Feiertag im Iran. An diesem Tag wird die Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern gefordert, wie es in der Sprache der Veranstalter dieses Al-Quds-Tags heißt. Ayatollah Khomeini hatte bei der Ausrufung dieses Al-Quds-Tags seinen Zuhörern den Imam Ali als großes Vorbild hingestellt, der damals an einem Tag 700 Juden getötet habe. Ja, was für ein wundervolles Vorbild!

Am 10. Sonntag nach Trinitatis begeht die Kirche jeweils den Gedenktag der Zerstörung Jerusalems, in zeitlicher Nähe zu dem jüdischen Trauertag der Zerstörung des Tempels. Was für ein Kontrast zu dem Al-Quds-Tag, so zeigt es uns auch das Heilige Evangelium dieses Tages, wie wir es eben gehört haben. Gerade auf dem Hintergrund dessen, was Jahr für Jahr auch hier in Berlin immer wieder geschieht, erweist sich dieses Evangelium als ungeheuer aktuell:

Zunächst einmal ist es ein deutlicher Beleg dafür, dass Jerusalem mit seinem Tempel schon viele Jahrhunderte vor der Geburt Mohammads eine jüdische Stadt war. Das mag uns so selbstverständlich erscheinen, dass wir uns fragen mögen, warum das extra einer Erwähnung wert sein soll. Doch immer wieder vernehmen wir Stimmen aus dem muslimischen Raum, etwa aus dem Munde des Großmuftis von Jerusalem, die schlichtweg bestreiten, dass Jerusalem früher einmal eine jüdische Stadt, ja das Zentrum des jüdischen Glaubens war, die bestreiten, dass es dort einen jüdischen Tempel gab und die sogenannte Klagemauer als urmuslimisches Heiligtum darstellen. Gegen diese Art der Geschichtsfälschung sollten wir auch als Christen sehr deutlich unsere Stimme erheben und klarstellen, was uns schon allein das Heilige Evangelium dieses Tages zeigt: Der Jude Jesus weint über diese Stadt, geht selbstverständlich in den Tempel, kämpft um dessen Heiligkeit, um dessen ursprüngliche Bestimmung. Ja, es ist dieselbe Stadt, in der schon der König David 1000 Jahre zuvor seinen Palast errichtet hatte, dieselbe Stadt, von der die verschleppten Israeliten in Babylon 600 Jahre zuvor im Psalm gesungen hatten: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meine Rechte vergessen. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.“ Während im Koran Jerusalem in keinem Vers erwähnt wird, geschweige denn als ein besonders heiliger Ort, zieht sich Jerusalem durch die gesamte Heilige Schrift hindurch, im Alten wie im Neuen Testament. Nein, das bedeutet gerade nicht, dass wir als Christen irgendwelche Besitzansprüche auf Jerusalem erheben würden. Wohl aber ist und bleibt uns auch als Christen wichtig, dass die Geschichte, die in der Heiligen Schrift geschildert wird, nicht verdreht wird. Und eben damit stellen wir uns dann auch gleichsam automatisch auf die Seite derer, für die Jerusalem nun schon seit 3000 Jahren die Stadt ihres Glaubens schlechthin ist, die Stadt, in der Gott seine Gegenwart an den Tempel in eben diesem Jerusalem gebunden hatte.

Ein Zweites macht uns das Heilige Evangelium dieses Tages deutlich: Es gibt keine andere Stadt, mit der sich Jesus emotional so verbunden zeigt wie mit Jerusalem. Jesus weint über Jerusalem, weint über seine bevorstehende Zerstörung. Da ist nicht der geringste Anklang an den Gedanken, dass das der Stadt doch ganz recht geschieht, dass sie zerstört wird, wenn ihre Bewohner ihn, Jesus, nicht annehmen, sondern ablehnen. Da ist nicht der geringste Anklang an den Gedanken, dass Jerusalem doch auch nur eine Stadt wie jede andere ist, die mit dem Kommen Jesu jede besondere Bedeutung verloren hat. Nein, Jesus weint über Jerusalem, eben weil er weiß, was für eine besondere, ja einmalige Stadt diese Stadt ist, weil er weiß, dass sich in dieser Stadt das Haus seines Vaters befindet, das auch für ihn sein Zuhause war. Und Liebe zu Jerusalem, Liebe zum Tempel ist es auch, was ihn dazu veranlasst, die Händler von dort hinauszutreiben. Wenn Jesus der Tempel so unwichtig gewesen wäre, warum hätte er dann so leidenschaftlich reagieren sollen? Aber er liebt die Stadt, liebt diesen Tempel – und eben darum wird er hier so handgreiflich, will noch kurz vor seiner Hinrichtung den ursprünglichen Sinn des Hauses seines Vaters, den Sinn dieses Bethauses wiederherstellen.

Doch wenn wir auf das Heilige Evangelium dieses Sonntags blicken, dürfen wir auch ein Drittes nicht verschweigen, was heutzutage in Predigten über dieses Evangelium meist gerne verschwiegen und ausgeblendet wird: Jesus stellt hier in seinen Worten eine deutliche Beziehung her zwischen seiner Ablehnung durch Jerusalem und seine Bewohner und der Zerstörung der Stadt wenige Jahrzehnte später. Nein, nicht triumphierend, nicht rachsüchtig, sondern voller Trauer stellt Jesus diese Beziehung her, „weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du besucht worden bist.“ Die Ablehnung Jesu, die Blindheit gegenüber dem, was zum Frieden dient, zieht Gottes Gericht nach sich, wie Jesus es hier in sehr drastischer Deutlichkeit ankündigt – und wie es dann bald darauf ja tatsächlich auch geschehen ist. Das bedeutet nicht, dass Israel damit aufhört, Gottes Volk, Träger seiner Verheißungen zu sein. Das macht uns der Apostel Paulus im Römerbrief sehr deutlich. Wohl aber erspart Jesus seinem geliebten jüdischen Volk nicht die entscheidende Frage, wie es zu ihm, seinem Messias, steht. Und das gilt auch noch im Jahr 2019.

Doch die Worte Jesu sind und bleiben zugleich auch ein Bußruf an uns, ja, gerade auch an unser Land: Wo wir uns von Christus abwenden, von ihm nichts mehr wissen wollen, wo wir unseren Frieden nicht mehr in ihm suchen und finden, ja, wo wir den nicht mehr erkennen, der doch auch heute in unsere Mitte kommt, gerade auch in der Gestalt seiner geringsten Brüder und Schwestern, der verfolgten Christen aus dem Iran und Afghanistan, da sollen wir uns nicht wundern, wenn Gottes Gericht auch unser Land treffen wird, ja längst schon getroffen hat. Es ist nicht unsere Aufgabe, aus Deutschland wieder ein christliches Land zu machen. Was uns bleibt, ist allein die Verkündigung des Wortes Gottes. Und wenn wir dann erleben, dass Menschen sich diesem Wort verschließen, ja, geradezu verstockt reagieren, dann erfahren wir ja nichts anderes, als was Jesus damals in seiner Stadt Jerusalem auch erlebt hat. Doch das soll uns nicht davon abhalten, dieses Wort auch weiter zu verkündigen. Und wenn es die Deutschen nicht mehr hören wollen, dann hören es eben Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Pakistan, dann finden eben diese Menschen den Weg ins himmlische Jerusalem, den sich so viele Deutsche längst verbaut haben.

Jerusalem hat damals die Zeit nicht erkannt, in der es besucht worden ist. Nehmen wir es wahr, wer uns heute Abend und immer wieder neu mit Seinem Leib und Blut besucht, wer uns den Frieden bringt, den uns kein Mensch bringen kann? Ja, feiern wir den Besuch des Königs von Israel in unserer Mitte, huldigen wir ihm, wie es ihm gebührt! Ja, bitten wir Gott darum, dass er uns immer wieder die Augen dafür öffnen möge, was dem Frieden dient – in unserem Leben, in unserem Land, und auch jetzt in der Stadt Jerusalem! Amen.

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