St. Lukas 2,11 | Christvesper | Pfr. Dr. Martens

Heute will ich über das wichtigste Wort der Weihnachtsgeschichte predigen. Und dieses wichtigste Wort der Weihnachtsgeschichte lautet: „Euch“. „Euch ist heute der Heiland geboren“, „Emruz nejatdahande-i baraye shoma be donya amad“ – so verkündigt es der Engel über den Feldern von Bethlehem. Doch gestern habe ich mit Erschrecken festgestellt, dass ausgerechnet dieses Wort in einer der besten persischen Bibelübersetzungen einfach fehlt, einfach weggelassen wurde. Ja, ausgerechnet das „Euch“. Und das ist ein Grund mehr, warum ich heute über das „Euch“ predigen will. Warum ist das „Euch“ so wichtig?

Wir können heutzutage ja schon froh sein, wenn Menschen in unserem Land überhaupt noch auf die Idee kommen, dass Weihnachten tatsächlich etwas mit der Geburt von Jesus zu tun haben könnte. Die meisten verschwenden daran heutzutage ja kaum noch einen Gedanken, weil sie viel zu beschäftigt damit waren und sind, ihre Wohnung oder ihr Haus hübsch zu dekorieren, noch die letzten Geschenke einzukaufen und das Weihnachtsessen vorzubereiten. Weihnachten – ein Fest der Liebe, der Familie, der Geschenke, des Friedens: Ja, wir werden heute Abend und an diesen nächsten Tagen alle möglichen Umdeutungen des Weihnachtsfestes zu hören bekommen, möglichst natürlich auch noch so politisch korrekt, dass sich niemand durch dieses Fest auch nur irgendwie angegriffen oder beleidigt fühlen kann.

Doch so ganz lässt es sich dann eben doch nicht verstecken, dass dieses Fest ja ursprünglich mal etwas mit der Geburt von Jesus Christus zu tun gehabt hat. Und so gibt es in unserem Land natürlich auch eifrige Wahrer der Kultur unseres Landes, die beflissen darauf hinweisen, dass der Anlass dieses Festes doch eben diese Geburt von Jesus Christus in Bethlehem war. Doch wenn wir heute Nachmittag einfach nur feiern, dass Jesus Christus in Bethlehem geboren worden ist, dann haben wir Weihnachten in Wirklichkeit immer noch überhaupt nicht verstanden. Es geht nicht bloß um die Geburtstagsfeier irgendeines süßen Kindes in romantischer Umgebung, die natürlich überhaupt nicht so süß und romantisch war, wie es sich viele heute vorstellen. Nein, worum es geht, macht der Engel in seiner Weihnachtsbotschaft über den Feldern von Bethlehem deutlich: Baraye shoma, euch, jawohl euch ist heute der Heiland geboren. Das kleine Kind dort in der Krippe – das ist für euch geboren, das ist für dich und für mich geboren. Baraye shoma, euch – ja, das zeigt: Dieses Kind ist ein Geschenk, das ganz direkt an uns gerichtet ist, ein Geschenk, das kein Geringerer als Gott selber uns gemacht hat. Nein, dieses Geschenk ist nicht ein Geschenk der Sorte, die man vielleicht ganz nett findet, aber gleich nach Weihnachten irgendwo in einen Schrank stellt und dort die nächsten Jahre auch stehen lässt. Sondern dieses Geschenk, das Gott uns in diesem Kind in der Krippe macht, das ist für uns absolut lebensnotwendig, ja lebensrettend. „Der Heiland“ – so übersetzt Martin Luther hier die Worte des Engels. Im Persischen wird es noch klarer: „nejatdahande“ – einer, der die Rettung bringt. Wenn dieses Kind in der Krippe nicht geboren worden wäre, dann wären wir in der Tat verloren, dann blieben wir für immer von Gott getrennt, dann hätten die Mullahs im Iran und Afghanistan doch recht, die schon den Kindern immer wieder erzählen lassen, dass am Ende ihres Lebens die Menschen sowieso alle erst einmal in die Hölle kommen. Doch nun liegt in dieser Krippe kein Geringerer als der lebendige Gott selber. Das Geschenk, das er macht, ist er selber, er, der sich für uns ganz klein macht, damit wir ganz groß herauskommen, bis in den Himmel. Ja, höre es, präge es dir ein: „Euch, Euch“, „baraye shoma“ ist heute der Heiland geboren!

Euch – damit waren damals zuerst die Hirten auf den Feldern von Bethlehem gemeint. Das waren Leute, mit denen die anständigen Menschen in Bethlehem lieber nichts zu tun haben wollten. Hirten hatten einen schlechten Ruf, galten als grob, galten geradezu als Kriminelle. Von daher war man froh, dass sie draußen vor den Toren der Stadt hausten und nicht drinnen. Stellt euch vor, was heute viele Menschen in unserem Land über Geflüchtete denken – dann wisst ihr, was für eine Stellung die Hirten damals in den Augen der Leute hatten.

Und diesen Hirten gilt nun die Weihnachtsbotschaft der Engel als erste: Euch, jawohl, euch, den Hirten, ist heute der Heiland geboren! Euch, den Ausgestoßenen, denen, mit denen die anderen nichts zu tun haben wollen, euch, den geflüchteten Menschen, die von vielen automatisch als Kriminelle angesehen werden, euch, den konvertierten Christen, die die deutschen Behörden am liebsten so schnell wie möglich in den Tod abschieben möchten, euch, den Traurigen und Verzweifelten, euch ist heute der Heiland geboren. Ja, für euch hat sich der Sohn Gottes da in einen Viehstall legen lassen, damit euer Leben eine Zukunft hat, eine ewige Zukunft bei Gott.

Gott vergisst euch nicht, er lässt euch nicht fallen – darum feiern wir heute Abend Weihnachten, weil euch, jawohl euch der Heiland geboren worden ist. Und das ist im Übrigen auch einmal der Grund dafür gewesen, dass die Leute angefangen haben, sich zu Weihnachten Geschenke zu machen. Sie wollten damit an das eine große Geschenk erinnern, das Gott uns gemacht hat, als er seinen Sohn hat Mensch werden lassen, als er ihn für uns in den Futtertrog gelegt hat, um uns zu retten. Ja, wenn wir dieses eine Geschenk haben, diesen Jesus Christus, dann brauchen wir eigentlich gar keine weiteren mehr. Doch unser Bastelkreis, der hat nun doch noch weitere Geschenke für den heutigen Gottesdienst gebastelt – und richtig schöne dazu. Nein, die sollen das eine Geschenk, das uns Gott gemacht hat, natürlich nicht ersetzen, aber erinnern können sie uns dann eben doch daran, worum es zu Weihnachten eigentlich geht: Darum, dass Gott Mensch geworden ist, dass der Retter, der Heiland geboren worden ist – baraye shoma, für euch! Amen.

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