St. Lukas 24,36-45 | Ostermontag | Pfr. Dr. Martens
Nun leben wir schon einen Monat ohne Gottesdienst in der Kirche, und da stellt sich für uns die Frage: Können wir nicht eigentlich ganz gut als Kirche, als Christen auch ohne diesen gemeinsamen Gottesdienst in der Kirche weitermachen? Erstaunliches und Erfreuliches haben wir in diesen vergangenen Wochen auch in unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche erlebt: Pastoren und Gemeindeglieder haben ihre computertechnischen Talente zum Vorschein gebracht, haben auf Youtube und anderen Kanälen gezeigt, dass man einen Gottesdienst auch ganz gut zu Hause vor dem Computerbildschirm feiern kann. Und wem das nicht reichte, der konnte in diesen Tagen und Wochen auf ein noch viel reichhaltigeres gottesdienstliches Angebot zurückgreifen: Was ist schon das eigene kleine bescheidene Kirchgebäude, wenn man mit wenigen Mouseclicks auch am Gottesdienst im Petersdom oder im Berliner Dom teilnehmen kann, wenn man sich nicht mit dem Gestammele des eigenen Gemeindepfarrers zufrieden geben muss, sondern sich stattdessen wohlklingende Worte von richtigen Bischöfen anhören kann? Ja, ist das nicht ein Service, an den man sich gewöhnen kann, wenn einem der eigene Gemeindepastor, wie hier bei uns in Steglitz, jeden Morgen und jeden Abend eine ausgearbeitete Andacht mit kurzer Predigt per E-Mail oder per Facebook zuschickt – und die normalen Predigten natürlich gleich noch mit dazu?
Könnte es nicht sein, dass uns das Corona-Virus bei allen unangenehmen Begleiterscheinungen, die es zweifelsohne auch hat, als Kirche sozusagen in eine neue Zeit durchstarten lässt, uns als neue, digitale Kirche nun wieder auf der Höhe der Zeit ankommen lässt? Entsprechende begeisterte Äußerungen höre ich zurzeit allenthalben, gerade auch in kirchlichen Verlautbarungen. Und Unterstützung finden die, die diese wunderbare neue Kirchenwelt bejubeln, auch beim Berliner Verwaltungsgericht, das gerade unlängst geurteilt hat, dass Gottesdienste, in denen sich Menschen versammeln, um miteinander die Sakramente zu empfangen, ja gar nicht zum Kernbereich des christlichen Glaubens gehören, der von der Religionsfreiheit in besonderer Weise geschützt sei. Für einen wahren Christen reiche es, wenn er für sich selber ein wenig protestantische Innerlichkeit pflege, mit stiller Andacht in einer leeren Kirche oder beim Konsum eines Gottesdienstes im Fernsehen oder auf Youtube. Und die Kirchen in unserem Lande – sie widersprechen dieser Einschätzung des Berliner Verwaltungsgerichts nicht, sei es, dass ihnen die Angst vor Corona die Sprache verschlagen hat, sei es, dass sie noch so begeistert sind von der schönen digitalen Kirchenwelt, in der sie gerade angekommen zu sein scheinen.
Dringend nötig haben wir da die Predigtlesung dieses heutigen Ostermontags, dringend nötig haben wir es, dass uns St. Lukas in diesen Versen wieder neu deutlich macht, worum es in unserem Glauben als Christen, worum es auch in unserem Leben als Kirche eigentlich geht.
Da sitzen die Jünger am Sonntagabend zusammen und sind ganz aufgeregt: Von verschiedenen Seiten haben sie gehört, dass Jesus, der doch gerade am Freitag am Kreuz gestorben war, einigen als der lebendige Herr erschienen sein soll: Simon Petrus konnte davon berichten und auch die beiden Jünger, denen Jesus auf dem Weg nach Emmaus begegnet war, wie wir es eben im Heiligen Evangelium gehört haben. Eigentlich hätten sie also schon ein wenig damit rechnen können, dass der auferstandene Jesus nun auch bei ihnen vorbeischaut. Doch als er dann kommt und sie begrüßt, ihnen seinen Frieden zuspricht, da erschrecken sie, fürchten sich und denken, sie sähen einen Geist! Ja, es ist noch einmal ein großer Unterschied, ob ich einfach nur etwas über die Auferstehung von Jesus höre oder ob ich dem auferstandenen Christus tatsächlich begegne. Das ist so überwältigend, dass die Jünger nun ganz und gar in einen emotionalen Mixer geraten: Zunächst sind sie erschrocken und fürchten sich, doch bald darauf heißt es: „Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude“. Ja, auch das gibt es, dass man vor lauter Freude gar nicht begreifen und erfassen kann, was da einem gerade widerfährt, dass man denkt, man träumt, das könne doch gar nicht sein. Ja, solche Erfahrungen ruft er, der auferstandene Christus hervor, als er sich seinen Jüngern zeigt. Aber er lässt die Jünger eben nicht mit ihren Erfahrungen allein, sondern er versucht alles Mögliche, um sie aus ihrer emotionalen Achterbahnfahrt herauszubekommen, versucht alles Mögliche, dass sie erkennen: Wir bilden uns hier nicht bloß etwas ein, das ist nicht bloß eine künstliche, digitale Welt, die wir hier gerade erleben, sondern das passiert hier bei uns tatsächlich, ganz analog! Zunächst einmal spricht Jesus die Jünger einfach auf ihre Gefühle an, versucht ihnen mit seiner Stimme deutlich zu machen, dass sie sich irren, wenn sie ihn bloß für einen Geist halten. Dann spricht er ihre Augen an: Seht meine Hände und Füße, und das heißt ja: Seht meine durchbohrten Hände und Füße! Daran könnt ihr schon erkennen, dass ich derselbe bin, der am Karfreitag am Kreuz gehangen hatte. Aber dann geht er noch einen Schritt weiter: „Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe!“ Fasst mich an – jawohl, so leibhaftig ist Christus auferstanden, dass er angefasst werden kann, dass er berührt werden kann und berührt werden soll. Und als die Jünger es vor Freude immer noch nicht fassen können, da verzehrt Jesus vor ihren Augen auch noch ein Stück gebratenen Fisch – ja, so drastisch, so leibhaftig sollen die Jünger seine Gegenwart als Auferstandener erfahren und begreifen, ja, begreifen im wahrsten Sinne des Wortes.
Und dann erklärt der auferstandene Christus den Jüngern auch noch die Heilige Schrift, macht ihnen deutlich, dass all das, was mit ihm geschehen ist, doch schon in der Bibel, in unserem Alten Testament, angekündigt worden war. Von sich aus wären die Jünger überhaupt nicht darauf gekommen, die Heilige Schrift so zu verstehen – doch Christus öffnet ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden. Von der Erfahrung seiner leibhaftigen Gegenwart her gewinnt dann schließlich auch die Bibel, das Wort Gottes noch einmal einen ganz anderen Sinn!
Was für eine passende, hilfreiche, ja dringend notwendige Ostererzählung für das Jahr 2020 ist das, die uns hier von St. Lukas erzählt wird! Geradezu drastisch deutlich macht uns St. Lukas hier, dass der Glaube an den auferstandenen Christus nicht allein dadurch geweckt wird, dass die Jünger von seiner Auferstehung hören. Nein, Christus selbst weckt den Glauben in ihnen tatsächlich dadurch, dass er sich anfassen lässt, jawohl, durch leibliche Berührung. Und erst von der leiblichen Erfahrung Christi her können die Jünger dann auch verstehen, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht.
Ins Stammbuch schreibt der heilige Lukas diese Geschichte unseren Glaubenswächtern vom Berliner Verwaltungsgericht, die meinen, es reiche für einen Christen aus, wenn er für sich selber innere Einkehr hält und vielleicht noch ein wenig digitalen Input für seinen Glauben bekommt. O nein: „Fasst mich an!“ – so ruft es Christus auch heute noch, lädt die, die zu ihm gehören dazu ein, ihn leibhaftig zu berühren und zu empfangen im Heiligen Mahl.
Ins Stammbuch schreibt der heilige Lukas diese Geschichte auch all denen, die in den Kirchen so sehr von den Möglichkeiten der digitalen Verbreitung des Evangeliums fasziniert sind, dass sie die leibhaftige Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Mahl gar nicht mehr sonderlich zu vermissen scheinen. O nein, auch ein noch so gekonnt zusammengeschnittener Youtube-Gottesdienst, kein noch so professionell dargebotener Livestream, ja auch keine Papstmesse im Petersdom kann die leibhaftige Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Mahl auch nur ansatzweise ersetzen. „Fasst mich an!“ – Das ist und bleibt der Ruf Christi auch heute noch.
Ins Stammbuch schreibt der heilige Lukas diese Geschichte auch all denen, die meinen, sie könnten die Osterbotschaft ohne den Verweis auf den leibhaftig auferstandenen Christus, ohne den Verweis auf die Begegnung mit ihm im Heiligen Sakrament verkündigen. Was dabei herauskommt, sind immer wieder fleischlose Allgemeinwahrheiten, dass Ostern uns Hoffnung schenkt, dass alles besser wird, dass am Ende das Leben stärker ist als der Tod, dass wir nicht aufgeben sollen undsoweiter. Alles schön und gut – aber nicht unbedingt typisch christlich. Wenn die Begegnung mit dem leibhaftig auferstandenen Christus nicht mehr das Zentrum bildet, dann wird auch die ganze Auslegung der Heiligen Schrift schief und krumm, so zeigt es uns St. Lukas selber hier in unserer Predigtlesung.
Und eben darum weigere ich mich auch, euch heute an diesem Ostermontag vorzugaukeln, dass wir doch so viele wunderbare andere Möglichkeiten haben, das Evangelium zu hören, dass daneben der Verzicht auf das Heilige Sakrament gar nicht so ins Gewicht fällt. O nein, es fällt ins Gewicht, es schmerzt uns, auch an diesem Ostermontag, dass wir es nicht empfangen können, und diesen Schmerz kann und möchte ich nicht betäuben. Gewiss, es kann Zeiten geben, in denen Christen schweren Herzens auf das Sakrament verzichten müssen, wenn sie etwa um ihres Glaubens willen gefangen sind. Wie viele Christen müssen diese Erfahrung überall auf dieser Welt auch unabhängig von Corona jetzt auch gerade zu diesem Osterfest machen! Aber dann sollten wir auch aussprechen, was es ist: eine Zeit der Gefangenschaft, die wir nicht dadurch erträglich machen können, dass wir uns dieses Gefängnis auch noch schönreden. Ja, natürlich gibt es Gründe, warum wir im Augenblick nicht in der Kirche zusammenkommen können. Aber normal und selbstverständlich oder gar modern darf uns das niemals werden. Wir brauchen die leibhaftige Begegnung mit Christus im Heiligen Sakrament, und alle Predigten und Andachten, die ich euch schicke, alle sonstigen Bemühungen, euch nicht geistlich verhungern zu lassen, sind und bleiben Notbehelfe, mehr nicht. Ja, wir werden auch als Kirche geistlichen Schaden nehmen, wenn wir glauben sollten, wir könnten den Verzicht auf das Sakrament mit allen möglichen Gimmicks ausgleichen.
Ja, gewiss, Christus ist auferstanden und lebt, er ist auch heute bei uns, wenn wir sein Wort hören, ganz gewiss. Und doch sollen wir sein Wort niemals aus den Ohren verlieren, auch in den Wochen, die vor uns liegen: Fasst mich an! Berührt mich! Und wenn es dann endlich wieder soweit sein wird, ja, dann mag es sein, dass wir wie die Jünger wie die Träumenden sein werden, dass wir es vielleicht kaum werden glauben können vor Freude, dass er wirklich da ist, dass wir nicht bloß von ihm hören müssen, sondern es erleben dürfen: Ja, Christus nimmt Wohnung in meinem Körper, in meinem kaputten, von Corona und manch anderem Leid bedrohten und gezeichneten Körper. Und eben darum darf ich gewiss sein: Der Tod hat nicht das letzte Wort; ich werde einmal selber auferstehen, ja, so leibhaftig, wie Christus auferstanden ist, werde einmal leben für immer, dort, wo Gott selber mir einmal ganz leibhaftig meine Tränen von meinen Augen abwischen wird. Amen