St. Lukas 5, 1-11 | 5. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Sie hatten doch alles richtig gemacht: Nachts waren sie mit ihren Booten auf den See Geneza-reth rausgefahren, nein, nicht allzu weit, sondern dort, wo der See noch etwas flacher war. Fackeln hatten sie aus dem Boot gehalten, hatten damit in der nächtlichen Dunkelheit die Fi-sche anlocken wollen, die es dort im See doch eigentlich reichlich gab. Doch alle Tricks und alle Erfahrung hatten nichts genützt – die Netze, die sie im See ausgeworfen hatten, blieben am Ende leer. Und so saßen die Fischer nun am Morgen am Strand und säuberten ihre leeren Netze. Was für eine frustrierende Beschäftigung!

Doch an diesem Morgen wird alles anders: Da taucht mit einem Mal Jesus bei ihnen auf und bittet einen von den Fischern, den Simon, ihm sein Boot zur Verfügung zu stellen. Zu einem ganz anderen Zweck gebraucht er das Boot – nicht um Fische zu fangen, sondern als Kanzel zum Predigen. Vom Boot auf dem See aus konnte er am besten die ganze Menschenmenge erreichen, die ihm gefolgt war und nun am Ufer stand. Damals war das ja noch umgekehrt wie heute: Heute steht der Prediger, und die Leute sitzen in der Regel bei der Predigt. Damals saß der Prediger, und die Leute standen und hörten zu. Ob der Simon da in seinem Boot gestan-den oder gesessen hat, wissen wir allerdings nicht. Möglicherweise fand er es auch erst einmal ziemlich nervig, dass er da nun in seinem Boot rumsaß und nicht mehr selber bestimmen konnte, was er mit seinem Boot und was er überhaupt machen konnte. Einfach nur zuhören, was Jesus da predigte – das war doch vergeudete Zeit, mag er gedacht haben. Und als dann Jesus endlich mit seiner Predigt fertig ist, da muss er sich von diesem Jesus auch noch völligen Schwachsinn anhören: Der gibt dem Simon doch den Tipp, am helllichten Tag mitten auf den See zu fahren und dort an der tiefsten Stelle zu fischen. Nun ja, predigen konnte dieser Jesus ja ganz gut – aber von Fischerei hatte er offenbar überhaupt keine Ahnung. Aber Simon ist höflich: Okay Chef, wenn du meinst, du wärst ein Fischereiexperte, dann zeige ich dir mal, was passiert, wenn ich deinem Vorschlag folge. Dann wirst du dir in Zukunft hoffentlich dei-ne Kommentare zu meiner Arbeit verkneifen. Also fährt der Simon mit seinem Boot los, ver-mutlich zum Erstaunen der Leute am Ufer, die gedacht haben mögen, der Simon habe wohl während der Predigt von Jesus einen Sonnenstich bekommen. Doch kaum hat der Simon dort mitten auf dem See seine Netze ausgeworfen, füllen sich die Netze mit einem Mal so schnell mit Fischen, dass sie zu reißen beginnen. Simon kann in seiner Not nur noch seine Freunde im anderen Boot herbeiwinken, dass sie ihm helfen, das Netz herauszuziehen. Schließlich sind beide Boote so voll mit Fischen, dass sie beinahe sinken. Doch nach großem Jubel ist Simon Petrus nicht zumute. Er erkennt: Der, den er da mit bei sich hat in seinem Boot, der hat offen-bar doch sehr viel mehr Ahnung, als er dachte, ja, der ist offenbar viel mehr als nur ein guter Prediger. Der ist kein Geringerer als der Herr selber, der Schöpfer, der Herr über die Natur-gewalten, der Herr auch über alle Fische. Und in seinen Augen kann er, Simon, nun gewiss nicht bestehen, mit seinen Gedanken, mit seinem Glauben, alles besser zu wissen als er, der Herr. Simon Petrus erfährt in diesem Augenblick, was Sünde eigentlich heißt: Trennung von Gott, die so schwer wiegt, dass man die Nähe Gottes gar nicht mehr aushalten, gar nicht mehr ertragen kann: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.

Doch Jesus denkt gar nicht daran, von Simon wegzugehen – im Gegenteil: Er ruft den Simon in seine Nachfolge, macht ihn zu seinem Mitarbeiter – und seine Kollegen vom Fischereikol-lektiv gleich mit dazu. Die lassen ihre Boote mit den ganzen Fischen drin einfach liegen und gehen mit Jesus mit. Der ganze Erfolg, den sie hatten, ist ihnen egal: Wichtig ist ihnen nur noch einer: Er, Jesus, der sie gerufen hat, ihr Leben durch die Begegnung mit ihm ganz ver-ändert hat.

Eine Geschichte von Simon Petrus erzählt uns St. Lukas hier. Aber in Wirklichkeit erzählt er eben auch eine Geschichte von uns, von der Kirche.

„Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Das ist eine Erfahrung, die Menschen so oft machen, die im Dienst der Kirche stehen. Da gibt man sich so viel Mühe, glaubt, dass man das mit seinem Expertenwissen doch eigentlich gut schaffen müsste, Erfolg zu haben. Da startet man alle möglichen Aktionen und Programme – und am Ende muss man ehrlicherweise feststellen: Es hat alles nichts gebracht. Und dann kommt man an den Punkt, an dem man sich in seiner Arbeit vielleicht einfach nur noch damit beschäftigt, Netze zu wa-schen, ohne eigentlich noch zu wissen, wozu man das eigentlich tut. Das Gemeindeleben als Selbstzweck, als frommer Betrieb, bei dem man mit einem eigentlich gar nicht mehr rechnet: Dass Jesus selber mit einem Mal ins Boot steigen könnte, das Kommando übernehmen könnte, das Boot mit den Netzen ganz woanders hin steuern könnte, als man es selber erwartet hätte.

Doch das passiert eben auch heute noch, dass Jesus mitunter ganz überraschend ins Boot der Kirche tritt und sie plötzlich ganz woanders hinführt, als man das selber erwartet hätte. Wenn Jesus ins Boot der Kirche tritt, dann herrscht da nicht gleich große Action. Dann geht das im-mer damit los, dass er sein Wort laut werden lässt, dass er verkündigt und lehrt. Das ist für Jesus das erste und wichtigste – und darum sollte es auch für uns das erste und wichtigste sein, ja, auch jetzt wieder hier im Gottesdienst, dass uns klar wird: Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren, als dass wir die Stimme unseres Herrn zu hören bekommen.

Und dann kann es in der Tat passieren, dass Jesus auch bei uns das Schiff der Kirche, der Gemeinde ganz woanders hin steuert, als wir dies von uns aus je getan hätten. Das ist ein Ri-siko, Jesus das Boot steuern zu lassen, ganz klar. Wir meinen doch, wir wüssten viel besser, wo wir lang müssen, was möglich ist und was nicht.

Als wir vor zwei Jahren hier in Steglitz mit unserem Missionsprojekt begonnen hatten, da ging es mir auch so ähnlich wie dem Simon damals im Boot. Ich hörte sie, die Stimmen: Wie kann der denn bloß so blöd sein, sich auf solch ein Abenteuer einzulassen! Er hatte doch alles, was er brauchte. Und jetzt wird er schon sehen, was er davon hat: Missionsarbeit ausgerechnet unter Asylbewerbern, und dann auch noch unter früheren Muslimen! Das kann doch gar nicht gut gehen! Ein, zwei Jahre geben wir ihm, dann sind seine Illusionen zerplatzt, dann sind die Leute alle wieder weg, und er sitzt da in seiner baufälligen Kirche und kann zusehen, wo er bleibt! Ja, ich gestehe, ich habe mit schlotternden Knien hier in Steglitz die Netze aus-geworfen.

Und dann ist passiert, womit keiner von uns rechnen konnte: Christus selber hat uns die Netze so schnell und so reichlich gefüllt, dass sie mitunter tatsächlich zu reißen drohen, dass wir das gar nicht mehr allein schaffen, die Netze noch zu ziehen. Da können wir in der Tat immer wieder nur unseren Gefährten in der Kirche zuwinken und sie bitten, gemeinsam mit uns zu ziehen, uns zu helfen, weil unser Boot schon bis an den Rand voll ist. Ja, immer wieder steht mir das Bild von dem Fischzug des Petrus vor Augen, wenn ich hier an unsere Gemeindear-beit denke. Und das heißt eben auch, dass mir, dass uns immer wieder dies eine klarbleibt: Das waren nicht wir, die unsere Netze, die unsere Gemeinderäume gefüllt haben. Das war allein Christus, unser Herr. Uns bleibt immer wieder nur, vor Christus auf die Knie zu gehen und zu bekennen: Herr, geh weg von mir; ich bin ein sündiger Mensch.

Und dann macht Christus mit uns genau dasselbe wie mit dem Petrus damals auch: Der schickt uns nicht weg, sondern der ruft uns in seinen Dienst, in einen Dienst, der für die, die wir einsammeln dürfen, gerade nicht den Tod, sondern das Leben bedeutet.

Alles haben damals Petrus und seine Gefährten verlassen, als sie Jesus nachgefolgt sind. Alles, wirklich alles haben auch so viele von euch verlassen, als sie sich auf den Weg nach Deutschland begeben haben, weil euch Jesus so wichtig war, dass alles andere für euch dahin-ter zurücktrat. Wer einmal dem lebendigen Christus begegnet ist, für den ändern sich alle Maßstäbe im Leben, für den ist nur noch eines wichtig: Da sein zu dürfen, wo er, Christus, ist. Schwestern und Brüder: Wir feiern heute unser erstes Gemeindefest als eigenständige neue Dreieinigkeits-Gemeinde. Danken wir Gott an diesem Tag wieder neu für das Wunder, das er in unserer Mitte vollbracht hat, klagen wir nicht darüber, dass unser Boot so voll ist, sondern freuen wir uns über das Wunder und den Segen, den Gott in unserer Mitte gewirkt hat! Und kommen wir ja nicht auf die Idee, uns in Zukunft nur mit dem Waschen und Verschönern von Netzen zu begnügen, ziehen wir auch selber los, sammeln wir Menschen ein, bringen wir sie hierher in die Gegenwart unseres Herrn, dorthin, wo sie nicht den Tod, sondern das Leben empfangen! Ja, seien wir auch weiter dazu bereit, uns von Jesus hier in unserer Gemeinde führen zu lassen, auch wenn die Wege, die er uns weist, mitunter so verrückt zu sein scheinen. Mission unter Menschen aus dem Iran und Afghanistan – aussichtsloser geht es doch schein-bar kaum. Einmal Muslim – immer Muslim! Wie oft habe ich solche Kommentare schon ge-hört! Doch sie rechnen eben nicht damit, dass Jesus mit an Bord ist. Und der kann alles, der kann nicht nur Fische in Netze lenken, der kann auch Herzen verändern und lenken, auch und gerade Herzen von Menschen, die Dari und Farsi sprechen. Er kann es – und er tut es auch. Kommen wir ja nicht auf die Idee, diesem Herrn das Ruder wieder aus der Hand zu nehmen! Amen.

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