St. Lukas 8,4-15 | Sexagesimae | Pfr. Dr. Martens
Es gibt Tage, an denen mir der Gedanke durch den Kopf geht, ob sie nicht doch Recht haben: Diejenigen, die immer wieder behaupten, dass die, die in unsere Gemeinde kommen, uns am Ende doch nur ausnutzen, nur ihren Vorteil bei uns suchen und dann wieder verschwinden. Solche Kommentare höre ich immer wieder, seit ich mit der Arbeit mit Asylsuchenden aus dem Iran und Afghanistan begonnen habe – und diese Einstellung prägt ja auch die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, ja auch die Entscheidungen vieler Richter an den Verwaltungsgerichten.
Und dann kommen diese Tage, an denen ich erleben muss, wie Menschen, für die ich mich so viel eingesetzt hatte, mir erklären, dass sie aus unserer Gemeinde austreten, mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen. Und da kann ich dann sogar noch froh sein, wenn sie dann nicht anschließend anfangen, hinter meinem Rücken böse Dinge über die Gemeinde oder auch über mich als Pastor zu verbreiten. Dann kommen diese Tage, an denen ich erleben muss, dass es Gemeindeglieder gibt, die einfach aus unserer Gemeinde weggehen, weil sie sich über irgendeinen Menschen in unserer Gemeinde geärgert haben. Da hat man dann jahrelang über das Thema „Vergebung“ gesprochen und gepredigt – doch all diese Worte scheinen an diesen Menschen am Ende einfach abzuprallen. Dann kommen die Tage, an denen man die Gemeindestatistik fertigstellt und feststellt, wie viele Glieder der Gemeinde im vergangenen Jahr kein einziges Mal den Leib und das Blut des Herrn empfangen haben, wie viele Glieder unserer Gemeinde ihre Ohren vor dem verschlossen haben, womit man sie immer und immer wieder versucht hatte zu erreichen. Ist all die Mühe, all der Einsatz, ist all das Herzblut, was man in die Arbeit hier in der Gemeinde eingesetzt hat, am Ende nicht doch umsonst? Und dann kommen die Tage, an denen Menschen bei mir auftauchen, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe – seit sie ihre Anerkennung als Geflüchtete hier in Deutschland bekommen hatten. Und nun interessieren sie sich mit einem Mal wieder für die Gemeinde, weil das Bundesamt nach drei Jahren überprüfen will, ob sie noch in der Gemeinde aktiv sind. Jahrelang war ihnen die Gemeinde egal – doch jetzt brauchen sie sie mit einem Mal wieder, und ich soll mich nun als Pastor dafür auch noch ausnutzen lassen. Ja, da frage ich mich manchmal schon: Was machst du da eigentlich in deinem Dienst? Ist das nicht am Ende doch alles nur umsonst?
Doch das sind Fragen, die nicht nur wir uns heute mitunter in der Arbeit unserer Gemeinde stellen. Sondern diese Fragen stellten sich auch schon damals Jesus selber in seinem Dienst – und sie stellten sich in gleicher Weise auch den Aposteln und denen, die damals vor 2000 Jahren in der Kirche arbeiteten: Ist das Bemühen darum, Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen, am Ende nicht doch vergeblich? Was bringt das eigentlich? Ja, was tun wir da eigentlich?
Und da erzählt uns Christus, unser Herr, nun im Heiligen Evangelium dieses Sonntags dieses wunderbare Gleichnis vom Vierfachen Acker – eine Trostgeschichte, auf die zu hören für mich in meiner Arbeit immer wieder ganz entscheidend wichtig ist.
Von einem Sämann, einem Bauern berichtet uns Christus hier, von seiner ganz alltäglichen Tätigkeit. Er sät den Getreidesamen auf den Acker. Und da muss man nun wissen, dass damals im Heiligen Land diese Aussaat etwas anders erfolgte als bei uns: Erst wurde gesät, dann wurde der Same anschließend in den Erdboden gepflügt. Wenn Jesus hier in seinem Gleichnis also davon berichtet, dass etliches von dem, was der Sämann aussät, auf den Weg fiel, dann lag das nicht daran, dass der Bauer wohl nicht mehr so richtig gucken oder zielen konnte und der Same darum dort landete, wo er gar nicht hingehörte. Nein, der Same landet schon mitten auf dem Feld, auf dem Trampelpfad, der über das Feld führte und der dann anschließend ebenfalls untergepflügt wurde. Und ebenso wenig konnte der Bauer bei der Aussaat schon genau sehen, an welchen Stellen des Ackers der steinige Untergrund schon wenige Zentimeter unterhalb der Ackerkrume begann, sodass die Pflanzen, die aus diesem Samen herauswuchsen, dort keine Wurzeln bilden konnten und schließlich verdorrten. Und erst recht war dem Bauer damals im Heiligen Land die Vorstellung ganz fremd, auf seinem Acker Pestizide zu versprühen, um so kein Unkraut zwischen den Weizenhalmen aufwachsen zu lassen. Nein, das gehörte dazu, dass auch Unkraut auf dem Acker wuchs und dieses Unkraut an so manchen Stellen die Weizenhalme, die aus der Aussaat hervorgegangen waren, erstickte. Und dennoch wäre kein Bauer damals auf die Idee gekommen, keinen Samen auszusäen, weil nicht überall der Same am Ende tatsächlich auch aufgeht und Frucht bringt. Der Bauer geht ganz selbstverständlich davon aus, dass sich seine Aussaat lohnt, dass all die Stellen, an denen der Same nicht aufgeht, doch niemals in Frage zu stellen vermögen, dass der ausgesäte Same am Ende doch ganz reiche Frucht bringt.
Ja, zu einem Perspektivwechsel will uns Jesus mit seinem Gleichnis anleiten, zu einem Perspektivwechsel gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen macht uns Jesus deutlich, worin unsere Aufgabe als Kirche und auch als Pastor eigentlich besteht: Wir sollen den Samen des Wortes Gottes aussäen – nicht mehr und nicht weniger. Wir sollen wissen, was unser Auftrag ist: Nicht die Menschen mit irgendwelchem Kikifax zu unterhalten, sondern ihnen tatsächlich Gottes Wort nahezubringen. Aber weiter, als dass wir den Samen des Wortes Gottes aussäen, reichen unsere Möglichkeiten dann auch wieder nicht. Wir haben es nicht in der Hand, wo und wie dieser Same dann aufgeht, wo er wächst und wo nicht. Immer wieder stehen wir in dieser Gefahr, dem Samen beim Wachstum auf die Sprünge helfen zu wollen, immer wieder stehen wir in der Gefahr zu meinen, wir könnten es doch schaffen, 100% Erfolgsergebnisse bei unserer Aussaat zu erzielen. Nein, wir haben es nicht in der Hand, und wenn wir uns noch so viel Mühe geben, auf Menschen zuzugehen, ihnen das Evangelium lieb und wert zu machen. Mehr als Säen geht nicht. Was für eine entlastende Erkenntnis!
Und zum anderen leitet uns Jesus dazu an, uns nicht auf die scheinbaren Misserfolge bei der Aussaat zu fokussieren, uns von ihnen lähmen und herunterziehen zu lassen. Freuen sollen wir uns an der Frucht, die das Wort Gottes wirkt, freuen sollen wir uns an der Verheißung, die unsere Arbeit auch hier in unserer Gemeinde hat. Und wenn wir darum wissen, dass es sich in Gottes Augen hundertfach lohnt, dass wir tun, was wir hier tun, dann erscheinen auch all die enttäuschenden und scheinbar so frustrierenden Erfahrungen, die wir in dieser Arbeit eben auch immer wieder machen, noch einmal in einem anderen Licht:
Ja, das gibt es natürlich, dass die Botschaft des Evangeliums an den Herzen von Menschen abprallt wie der Same von dem Trampelpfad abprallt, der da mitten auf dem Feld verläuft. Das erlebe ich übrigens als Pastor weniger als die Glieder unserer Gemeinde. Diejenigen, die hier in unsere Gemeinde kommen, zeigen damit schon eine gewisse Offenheit für das Evangelium, während unsere Gemeindeglieder in ihrem Alltag oft genug erleben müssen, wie all ihre Bemühungen, muslimische Bekannte oder atheistische Freunde für den christlichen Glauben zu gewinnen, an diesen ganz und gar abprallen. Nein, da haben sie nichts falsch gemacht, wenn sie das erleben. Das ist ein Teil der geistlichen Realität, für die uns Jesus hier in seinem Gleichnis die Augen öffnet.
Sehr viel häufiger erlebe ich es selber hier in meiner Arbeit, dass Menschen zu uns kommen und zunächst einmal ganz begeistert sind von der christlichen Botschaft, ganz begeistert auch vom Leben in unserer Gemeinde. Und wir, wir sind alle miteinander nicht weniger begeistert darüber, Menschen zu erleben, die vom Evangelium so sehr bewegt werden. Doch dann dauert es nicht lange, dann ist diese Begeisterung auch schnell wieder vorbei. Es war eine Begeisterung, die doch an der Oberfläche blieb, weil sie nicht tiefer verwurzelt war. Ja, wie oft haben wir das, was Jesus hier in diesem Gleichnis von dem Samen, der auf den Fels fiel, sagt, auch hier bei uns in unserer Mitte erlebt!
Und noch häufiger erleben wir auch bei uns wie der ausgesäte Samen am Ende unter den Dornen landet: Menschen sind durchaus für eine längere Zeit hier bei uns in der Gemeinde aktiv, scheinen ganz fest bei uns verwurzelt. Aber dann lässt ihr Einsatz in der Gemeinde allmählich nach, kommt schließlich ganz zum Erliegen. Und die Gründe sind genau dieselben, die Jesus hier in diesem Gleichnis benennt: Er spricht hier in der Erklärung von den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens, die verhindern, dass die Frucht schließlich zur Reife gelangt. Da erlebe ich es, dass Gemeindeglieder mir allen Ernstes zu erklären versuchen, dass sie jetzt jahrelang nicht zur Kirche kommen konnten, weil sie so viele Sorgen und Probleme in ihrem Leben hatten. Dass Sorgen und Probleme gerade ein Grund sein sollten, zum Gottesdienst zu kommen, sich durch Christus stärken zu lassen – auf diese Idee kommen sie gar nicht. Nein, die Sorgen haben ihren Glauben mehr und mehr erstickt. Da erlebe ich es, dass gerade Jugendliche nach ihrer Konfirmation weiter mit Freuden hier in der Gemeinde mit dabei sind. Aber dann gibt es schließlich so viele andere schöne Angebote in ihrem Leben, die so viel Spaß machen, dass sie schließlich einfach keine Zeit mehr für die Kirche haben. Und dann gibt es natürlich diejenigen, die darum nicht mehr in der Gemeinde auftauchen, weil sie nur noch arbeiten müssen, weil sie immer mehr Geld brauchen – und da ist dann für Jesus, für die Schätze, die er austeilt, einfach keine Zeit mehr. Ja, Jesus hat es damals in seinem Gleichnis alles schon genau beschrieben, was wir tagtäglich in unserer Mitte erleben: Der Same des Wortes Gottes, er fällt immer wieder auch unter die Dornen, die den Glauben zu ersticken vermögen.
Ja, das mitzuerleben, tut immer wieder weh. Und doch: Vergessen wir es nicht: Gottes Wort bringt auch in unserer Mitte reiche Frucht. Menschen nehmen lange Wege auf sich, setzen sich bei Eiseskälte in den Durchzug in der Kirche – nur um noch mehr von Gottes Wort zu hören, nur um ja nicht auf den Empfang von Leib und Blut Christi verzichten zu müssen. Menschen bringen sich mit ihren Gaben in die Gemeinde ein, tragen dazu bei, dass wir an so vielen Stellen in unserer Gemeinde auch geistliches Wachstum erleben dürfen. Ja, freuen sollen wir uns über diese Früchte des Wortes Gottes – und sollen zugleich immer daran denken: Das haben nicht wir gewirkt. Wo Gottes Wort ausgesät wird, da wird es auch Frucht bringen. Es wird nicht leer zurückkehren, wird für Wachstum sorgen, auch wenn wir dieses vielleicht gar nicht immer gleich erkennen können. Und weil die Aussaat dieses Wortes Gottes solch eine Verheißung hat, wollen wir uns von Erfahrungen von Misserfolg und von Enttäuschungen nicht lähmen lassen, wollen auch weiter Gottes Wort ausstreuen, wo es nur möglich ist. Es wird nicht ohne Frucht bleiben – allen Unkenrufen zum Trotz. Amen.