St. Markus 12,1-12 | Reminiszere | Pfr. Dr. Martens

Wie kann man bloß so naiv sein?! Da hatte ein Mann eigentlich eine gute Idee gehabt: Er hatte selber mit viel Mühe einen Weinberg angelegt, hatte ihn mit allem ausgerüstet, was man brauchte, um einen guten Ertrag von diesem Weinberg erwarten zu können – und dann hatte er diesen Weinberg verpachtet. Das war damals in Israel eine durchaus übliche Geschichte: Der Besitzer des Weinbergs bekam so eine langfristige Rendite für seinen Weinberg, und für die Pächter blieb allemal genug übrig, um von der Bewirtschaftung dieses Weinbergs selber leben zu können.

Doch nun läuft in dieser Geschichte, die uns hier im Heiligen Evangelium des heutigen Tages von St. Markus erzählt wird, alles schief: Der ganz normale Vorgang, dass der Weinbergsbesitzer sich jedes Jahr den vereinbarten Pachtertrag abholt, endet in einem Desaster: Der Bote, den der Besitzer geschickt hat, wird verprügelt und mit leeren Händen zurückgeschickt. Das war ja nicht bloß ein unschönes Verhalten gegenüber dem Boten, und das war nicht nur ein finanzieller Verlust für den Weinbergsbesitzer. Sondern das war für die Leute damals ganz klar: Wer den Boten angriff, griff damit den an, der ihn gesandt hatte. Die Schläge, die den Boten trafen, trafen in Wirklichkeit den Weinbergsbesitzer selber ins Gesicht.

Und was macht nun dieser Weinbergsbesitzer? Nimmt er Rache an denen, die ihm dies angetan haben, wirft er die Pächter gleich aus dem Weinberg heraus, lässt er sie bestrafen, vielleicht gar töten? Verständlich wäre es allemal gewesen. Doch der Weinbergsbesitzer reagiert ganz anders: Er schickt den nächsten Boten – und muss erfahren, dass die Pächter mit ihm genau dasselbe machen wie mit dem ersten, ja mehr noch: Sie schlagen ihn auf den Kopf und beleidigen ihn, benehmen sich wie jene üblen U-Bahn-Schläger, von denen immer wieder einmal in der Presse die Rede ist. Jetzt müsste doch eigentlich endgültig Schluss sein mit der Geduld des Weinbergsbesitzers, möchte man meinen. Jetzt wird ihm doch hoffentlich klar, dass diese Pächter nur eine Sprache verstehen: Die Sprache der Gewalt. Wenn sie nicht freiwillig den Betrag herausrücken, dann muss man sie eben dazu zwingen. Doch wieder reagiert der Weinbergsbesitzer ganz anders: Wieder schickt er einfach nur den nächsten Boten – und der überlebt seine Mission erst gar nicht, wird von den aufmüpfigen Pächtern des Weinbergs gleich umgebracht. Doch selbst das veranlasst den Besitzer des Weinbergs nicht, seine Taktik zu ändern: Immer und immer wieder schickt er den nächsten Boten, immer und immer wieder endet ihre Sendung mit dem nächsten Fiasko: Keiner kehrt mit dem Pachtertrag zurück – und der Besitzer kann noch froh sein, wenn einer seiner Boten überhaupt noch lebend zurückkommt. Ja, wie kann man bloß so naiv sein, möchte man meinen. Und dann kommt die Krönung: Statt eines Terroreinsatzkommandos schickt der Besitzer des Weinbergs doch allen Ernstes seinen einzigen, geliebten Sohn zu den Pächtern, erwartet von ihnen, dass sie wenigstens vor ihm, dem Sohn, Respekt haben. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mit der Ermordung des Sohnes glauben die Pächter, endgültig unabhängig von dem Weinbergbesitzer werden zu können, wenn sie seinen einzigen Erben aus dem Weg geräumt haben. Doch damit ist bei dem Besitzer des Weinbergs nun die Grenze seiner Geduld erreicht: Nun kommt er, straft die Pächter, gibt den Weinberg in andere Hände. Ja, hätte er das nicht alles schon viel früher machen können und müssen?

Die Zuhörer Jesu wussten damals genau, wovon diese Geschichte handelte: Es geht um Gott, der seinem Volk den Weinberg Israel fertig vorbereitet hatte; es geht um Gott, der mit unendlicher Geduld immer wieder seinem Volk Propheten schickte, die dem Volk verkündigten, was Gott von ihnen erwartete. Es geht um Gott, der sein Volk nicht aufgab, obwohl es seine Propheten immer wieder ablehnte, ja sogar misshandelte und zu Tode brachte. Und es geht um Gott, der schließlich seinen einzigen Sohn zu seinem Volk schickt, um es dadurch mit seiner Liebe wieder neu für sich zu gewinnen – und am Ende doch erleben muss, wie sein eigener einziger Sohn von denen getötet wird, die er gewinnen wollte. Ja, es geht um Gott, der daraufhin einen Neuanfang macht, ein neues Volk schafft aus Juden und Nichtjuden, von dem er nun erwartet, dass es sich anders verhält als diejenigen, denen er seinen Weinberg zuvor anvertraut hatte.

Und damit sind wir nun direkt bei uns selber angelangt. Wir würden das Gleichnis völlig falsch verstehen, wenn wir es dazu benutzen würden, mit dem Finger auf „die Juden“ zu zeigen, die sich so schlecht benommen haben, ja die den Sohn Gottes getötet haben. Nein, dieses Gleichnis richtet zwei Fragen an dich: Was erwartest du von Gott, und was erwartet Gott von dir?

Was erwartest du von Gott? Erwartest du von ihm, dass er sich nichts bieten lässt, dass er gleich immer durchgreift und Stärke zeigt, wenn jemand sich ihm gegenüber respektlos zeigt? Dann täuschst du dich gewaltig über Gott. Gott will dich nicht zwingen, will dein Herz nicht mit Gewalt beherrschen. Er will es mit seiner Liebe, mit seiner Geduld gewinnen. Und dafür ist er schließlich sogar bereit gewesen, seinen einzigen Sohn in den Tod zu geben. Und Gott will von daher auch nicht, dass wir anders mit den Menschen umgehen, als er mit uns umgegangen ist. Er will nicht, dass wir anderen mit Druck und Gewalt den Glauben an Gott aufzwingen. Er will nicht, dass wir Respektlosigkeit ihm und seinem Sohn Jesus Christus gegenüber mit gleichen Mitteln beantworten. Er ist nicht der Gott des Islam, wie ihn so viele von euch in ihrer Heimat kennengelernt hatten. Er ist ganz anders: Ein Gott, der es hinnimmt, sich wegschubsen zu lassen, der es hinnimmt, geschmäht und abgelehnt zu werden, weil nichts ihn davon abhalten kann und will, uns mit Liebe zu begegnen. Und das bedeutet dann in der Tat, dass wir als Christen immer wieder an dem Geschick, das er, das sein Sohn erleidet, auch selber Anteil erhalten. Und doch wächst die Kirche Jesu Christi gerade dadurch, dass Christen dazu bereit sind, diesen Weg zu gehen, den Christus ihnen vorangegangen ist, wird so das Blut der Märtyrer immer wieder neu der Same der Kirche. Die Liebe und die Bereitschaft zum Leiden sind nicht naiv; sie erweisen sich am Ende doch als stärker als jedes Schwert, als jedes Hinrichtungswerkzeug.

Ja, das darfst du von Gott erwarten, dass er in seiner Liebe auch mit dir immer wieder Geduld hat, dass er dich nicht aufgibt, dich immer wieder neu zur Umkehr ruft. Aber das andere stimmt eben auch: Gott erwartet auch etwas von dir: nicht, dass du dir selber den Weg in seine Gemeinschaft erarbeiten musst, nicht, dass du dir selber einen Platz im Himmel verdienen musst. Den will er dir selber schenken. Aber er erwartet von dir, dass dir deutlich ist, wie reich du beschenkt bist, und dass du das, was dir geschenkt worden ist, nicht selber als Besitz ansiehst wie einst die Pächter den Weinberg. Gott erwartet in der Tat, dass du von dem, was er dir geschenkt und anvertraut hat, auch wieder etwas abgibst und es nicht für dich behältst. Er erwartet von dir, dass du ihm von deiner Zeit etwas abgibst, damit er mit dir zusammen sein und zusammen feiern kann. Wer denkt, der Sonntag gehöre nur ihm selber, und Gott habe darauf keinen Anspruch, dass du die Zeit mit ihm teilst, der verhält sich eben genau wie die Pächter des Weinbergs hier in diesem Gleichnis. Und wenn eine Gemeinde glaubt, sie könne das, was Gott ihr anvertraut hat, nur für sich behalten, damit es in ihr auch schön gemütlich und kuschelig bleibt, dann verhält sie sich eben auch wie die Pächter hier in diesem Gleichnis, dann rückt sie nichts wieder von dem heraus, was sie doch nach Gottes Willen weitergeben soll. Ja, frage dich selber: Was für Früchte hast du in deinem Leben Gott wieder herausgerückt, und was willst du alles nur für dich selber behalten?

Und wenn du dir das klar machst, wie viel auch du Gott in deinem Leben vorenthalten hast, dann darfst du sie wieder neu hören, die frohe Botschaft, dass Gott auch dir einen neuen Anfang schenken will, wie er damals aus dem Tod Jesu neues Leben hat erstehen lassen in seiner Auferstehung. Gott vergibt dir, schenkt auch dir ein neues Leben – und wartet nun weiter, wartet auf die Frucht, die du ihm bringst. Denn er will doch nur eines: Dass die Geschichte deines Lebens, die Geschichte mit ihm und dir gut ausgeht. Und sie wird gut ausgehen, wenn du dich nur an Christus hältst, wenn du dich nicht von ihm abwendest, sondern bei ihm bleibst, an ihn als deinen Herrn und Retter glaubst. Schick ihn nicht weg, wenn er immer wieder bei dir anklopft! Er will doch nur eins: Dass du aus seiner Liebe lebst – in alle Ewigkeit. Amen.

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