St. Markus 1,40-45 | 14. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Zu den besonderen Konfliktzonen in den Flüchtlingsheimen unseres Landes zählen immer wieder die Küchen: Für gläubige Muslime ist es sehr wichtig, dass sie sich durch das Essen, das sie zu sich nehmen, nicht verunreinigen, weil diese Verunreinigung ihr Verhältnis zu Allah belasten würde. Und eine Verunreinigung findet für einen Muslim eben nicht bloß dort statt, wo er beispielsweise Schweinefleisch isst, sondern auch da, wo er Essen zu sich nimmt, das mit denselben Küchengeräten hergestellt worden ist, die auch Ungläubige, also beispielsweise Christen, zuvor benutzt haben. Denn Ungläubige sind Unreine, von denen muss man sich fernhalten, weil deren Unreinheit die eigene Reinheit bedrohen würde – und sei es nur dadurch, dass man Fleisch isst, das mit demselben Messer geschnitten worden ist, mit dem die Ungläubigen zuvor ihr Fleisch geschnitten haben. Und so gibt es in nicht wenigen Flüchtlingsheimen getrennte Kühlschränke und getrenntes Geschirr für Muslime und Nichtmuslime – wenn nicht gar, wie anderen Heimen, den Christen einfach die Benutzung der Küche untersagt wird, um die Reinheit der muslimischen Bewohner nicht zu gefährden.

Der Gedanke, dass ich meine Reinheit vor Gott dadurch sichern muss, dass ich mich von allem Unreinen fernhalte, ist ein Gedanke, der sich durch ganz verschiedene Religionen hindurchzieht. Dahinter steckt eine Ahnung, dass es nicht selbstverständlich ist, sich Gott nähern zu dürfen, dass es Hindernisse an und im Menschen gibt, die ihn davon abhalten, an Gott heranzukommen. Und die scheinbar so naheliegende Lösung besteht eben darin, dass man sich von anderen abgrenzt, die einen gleichsam mit ihrer Unreinheit anstecken, die einen dadurch daran hindern könnten, von Gott angenommen zu werden.

Doch was ist, wenn ich merke, dass ich selber eben nicht so schön rein bin, wie ich sein sollte, wenn ich sehr deutlich merke, dass ich mich mit dem, was ich bin, was ich gesagt, gedacht, getan habe, aus der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen habe? Da komme ich dann nicht mehr weiter, wenn ich versuche, mich von den Unreinen fernzuhalten. Dann brauche ich es selber so sehr, dass ich rein werde, dass ich wieder mit Gott in Verbindung komme. Aber das schaffe ich selber eben nicht. Ihr kennt wahrscheinlich die schöne Geschichte von dem Berliner Jungen, der einem Ladenbesitzer grinsend bei der Arbeit zusieht, wie der sein Schaufenster putzt. Der scheuert immer weiter – aber ohne Erfolg. Schließlich tippt der Junge dem Ladenbesitzer auf die Schulter: Das bringt nichts, dass Sie weiterscheuern. Der Dreck sitzt innen. Genau so ist es das bei uns eben auch: Wir schaffen das nicht, den Dreck loszuwerden, der sich in unserem Leben festgesetzt hat. Das geht nicht mit Gebeten und mit Fasten, das geht nicht mit Opfern oder Geldspenden. Der Dreck sitzt innen, auch bei uns – und da bekommen wir ihn nicht weg, auch wenn wir uns noch so viel Mühe geben. Ja, was mache ich, wenn ich rein werden will und es selber nicht schaffe?

Und damit sind wir schon mitten in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. St. Markus erzählt uns hier keine Heilungsgeschichte, sondern eine Reinigungsgeschichte. Das Wort „Aussatz“, das hier verwendet wird, ist ein Sammelbegriff für alle möglichen Hautkrankheiten und nicht einfach identisch mit unserer Lepra. Aber eines hatten diese Hautkrankheiten gemeinsam: Wer von ihnen befallen war, galt als unrein, war ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Menschen – und, so dachte man damals zugleich: war damit ausgeschlossen von der Gemeinschaft mit Gott. Ein Aussätziger war ein lebendiger Toter – einer, der verbannt war aus der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Und nur wenn wir das im Hinterkopf haben, ahnen wir, warum der Aussätzige, von dem St. Markus hier berichtet, eben diese Bitte an Jesus richtet: „Willst du, so kannst du mich reinigen!“ Ja, um Reinigung geht es, das ist viel, viel mehr als bloß „Heilung“.

Und jetzt wird es ganz spannend: Was macht Jesus? Eigentlich war es ganz klar, was er hätte machen müssen: Er hätte zurückweichen müssen vor diesem Aussätzigen, der ohnehin schon Grenzen überschritten hatte, nicht bloß von ferne gerufen hatte: „Unrein, unrein!“, sondern der Jesus viel nähergekommen war, als er gedurft hätte. Ja, eigentlich hätte Jesus sofort weggehen müssen von ihm, um seine eigene Reinheit zu bewahren, um sich nicht von ihm, von seiner Unreinheit anstecken zu lassen. Doch Jesus macht in Wirklichkeit genau das Gegenteil: Er streckt seine Hand aus und berührt ihn – und spricht ihm dann die Reinheit zu: „Ich will’s tun; sei rein!“  Jesus geht also nicht davon aus, dass die Unreinheit des Aussätzigen auch ihn selber unrein macht, sondern er geht im Gegenteil davon aus, dass seine Reinheit ansteckend ist, dass der Unreine durch seine Reinheit selber rein wird. Was für eine Revolution! Reinheit geht nicht durch den Kontakt mit Unreinen verloren, sondern die Unreinheit verliert ihre Kraft, wenn sie in Verbindung kommt mit der Reinheit des Einen, der mit Gott dem Vater in ungetrübter Gemeinschaft verbunden ist. Reinheit ist ansteckend – was für eine großartige, was für eine unfassliche Nachricht, die St. Markus hier verkündigt!

Reinheit ist ansteckend – genau das gilt für uns auch heute noch. Wie wirst du deine Unreinheit, deine Sünde und Schuld los? Nicht, indem du etwas tust, nicht indem du vor anderen eine Show abziehst, dass du in Wirklichkeit doch ganz rein und okay bist, nicht dadurch, dass du irgendwelche religiösen Gesetze einhältst. Vergiss es – all das bringt überhaupt nichts! Sondern rein wirst du einzig und allein dadurch, dass du mit dem einzig Reinen in Verbindung kommst, dass du dich von seiner Reinheit anstecken lässt, von der Reinheit deines Herrn Jesus Christus. Rein wirst du einzig und allein dadurch, dass er dich berührt mit dem Wasser der Heiligen Taufe und damit alle Unreinheit von dir abwäscht. Rein wirst du einzig und allein dadurch, dass er dir die Hand auflegt und es dir auf den Kopf zusagt: Dir sind deine Sünden vergeben, sei rein! Ja, rein wirst du einzig und allein dadurch, dass dein Herr Jesus Christus deine Lippen, deinen Mund mit seinem Leib und Blut berührt im Heiligen Mahl, nicht auf Abstand zu dir bleibt, sondern in deinem unreinen Herzen, in deinem unreinen Leib Wohnung nimmt. Ja, Jesus Christus steckt dich an mit seiner Reinheit, zieht sich nicht von dir zurück, sondern schenkt dir seine Reinheit, seine Gerechtigkeit, sein Leben.

Das ist genau das Gegenteil aller religiösen Bemühungen um Reinheit, das ist genau das Gegenteil aller religiösen Bemühungen, sich von Unreinheit fernzuhalten. Und das soll und wird sich dann eben auch auswirken in unserem Umgang mit anderen Menschen: Dann werden wir eben nicht auf Abstand gehen zu den Ungläubigen und versuchen, unseren eigenen kleinen frommen Club der Reinen zu pflegen, der sich von keinem Unreinen durcheinanderbringen lässt. Sondern dann werden auch wir in der Nachfolge unseres Herrn auf die zugehen, die noch nicht durch Jesus Christus mit Gott verbunden sind, die noch nicht Anteil an seiner Reinheit erhalten haben. Dann werden wir keine Berührungsängste mit irgendwelchen anderen Menschen oder Religionen kennen, eben weil wir um die ansteckende Kraft des Evangeliums von Jesus Christus wissen. Darum nehmen wir als Christen Muslime nicht zuerst und vor allem als Bedrohung wahr, von der wir uns fernhalten sollten, die wir möglichst gleich wieder wegschicken sollten. Sondern wir wissen, was für eine ansteckende Kraft das Evangelium auch und gerade im Kontakt mit Muslimen zu entfalten vermag. Wir sind als Christen nicht in der Defensive, sondern wir können und dürfen fröhlich ihn, Christus, als den Herrn bezeugen, der alle Menschen wirklich rein zu machen vermag.

Damals hat Jesus dem geheilten Aussätzigen zunächst streng verboten, anderen von seiner Reinigung zu erzählen. Er wollte gerade nicht, dass er, Jesus, nur als eine Art von Wundertäter wahrgenommen wurde. Wer er, Jesus, wirklich ist, das sollten die Leute erst da richtig erkennen, als sie sahen, dass er für sie am Kreuz starb. Doch der Mensch, den Jesus rein gemacht hatte, hielt sich schon damals nicht an das, was Jesus ihm sagte, konnte seine Freude über das neue Leben, das Jesus ihm geschenkt hatte, einfach nicht für sich behalten. Mittlerweile ist Jesus längst am Kreuz gestorben und auferstanden. Er verbietet uns nicht den Mund, hat keine Einwände dagegen, dass wir auf andere zugehen und ihnen Jesus bezeugen, ja ihnen Anteil geben an der Reinheit, die Jesus durch seinen Tod am Kreuz für uns erworben hat. Gehen wir also los, stecken wir die Leute kräftig an mit dem, was Jesus uns anvertraut hat, und kehren wir selber immer wieder zu ihm, Jesus, zurück, dass wir von ihm immer wieder neu die Reinheit empfangen, die wir uns selber niemals geben könnten! Ja, kommt darum auch gleich wieder zum Heiligen Mahl, empfangt den Leib und das Blut eures Herrn! Ja, kommt und lasst euch alle von ihm, von seiner Reinheit anstecken! Amen.

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