St. Markus 14,17-26 | Gründonnerstag | Pfr. Dr. Martens

„In diese Kirche gehe ich nicht mehr. Da sind Leute in der Gemeinde, die ich überhaupt nicht mag, mit denen ich nicht mehr zusammen sein will. Ich möchte in einer Gemeinde sein, in der sich alle untereinander gut verstehen, in der eine richtig gute Stimmung herrscht!“

Schwestern und Brüder: Habt ihr solche Kommentare auch schon mal gehört, ja, sind euch solche Gedanken vielleicht auch schon einmal selber durch den Kopf gegangen? Mit was für Erwartungen kommt ihr hierher in den Gottesdienst, seid ihr gerade auch heute Abend in diesen Gottesdienst am Tag der Einsetzung des Heiligen Altarsakraments gekommen?

Die erste Abendmahlsfeier, von der uns St. Markus in der Predigtlesung des heutigen Abends berichtet, erfüllt jedenfalls nicht die Erwartungen, die so viele an eine Sakramentsfeier, die ihnen zusagt, richten mögen. Da geht es nicht um gute Stimmung, um ein schönes Gemeinschaftsgefühl – ganz im Gegenteil! Vielmehr berichtet St. Markus hier

  • von zerbrochener Gemeinschaft
  • von neu gestifteter Gemeinschaft
  • von vollendeter Gemeinschaft


I.

Eigentlich fängt die Geschichte, die uns St. Markus hier erzählt, scheinbar erst einmal ganz harmlos an – wenn man nicht den Zusammenhang beachtet, in dem sie steht. Jesus kommt mit den zwölf Jüngern in den vorbereiteten Saal, in dem er mit ihnen das Passamahl feiern will, das große Festmahl zur Erinnerung an die Befreiung der Israeliten aus Ägypten. Alles sieht nach einem netten, fröhlichen, harmonischen Abend aus. Aber dann lässt Jesus mit einem Mal die Bombe platzen, mitten beim Essen: „Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ Und was machen die Jünger? Sie stehen nicht auf und gehen empört weg: Also, wenn da solch ein mieser Typ unter uns ist, dann wollen wir mit diesem gemeinsamen Essen nichts mehr zu tun haben; dann gehen wir lieber weg und suchen uns ein anderes! Nein, sagen die Jünger nicht! Sondern sie werden traurig, so betont es St. Markus hier, und blicken dann bezeichnenderweise nicht im Kreis herum, wer denn der Verräter sein könnte. Sondern jeder von ihnen traut es sich zu, dass er es selber sein könnte: Bin ich’s? Und dann betont es Jesus ausdrücklich noch einmal: Ja, es ist einer aus eurem Kreis, einer, der jetzt hier mit mir zusammen ist, der, der jetzt gleich mit mir gemeinsam das Brot in die Schüssel mit den Bitterkräutern taucht.

Was für ein Rahmen, in dem Jesus das Heilige Abendmahl einsetzt! Es gibt ja heutzutage in den Kirchen immer mehr Tendenzen, das Heilige Abendmahl nur auf ein Mahl der mitmenschlichen Gemeinschaft zu reduzieren: Wir feiern das Heilige Abendmahl, um zu zeigen, wie gut wir uns verstehen, wie nett es doch bei uns zugeht. Das Händeschütteln beim Friedensgruß, eigentlich ein Zeichen der Bereitschaft zur Versöhnung, wird selber zu einem kleinen Happening: Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb! Wenn das bei der Feier des Heiligen Abendmahls das Entscheidende wäre, dass wir miteinander essen, um unsere Gemeinschaft untereinander zu pflegen und zu feiern, dann hätte Jesus an diesem Abend wohl besser darauf verzichtet, das Heilige Abendmahl einzusetzen. Denn da war keine Gemeinschaft von Menschen, die sich untereinander alle so gut verstanden. Die mitmenschliche Gemeinschaft, sie zerbricht gerade, bevor Jesus sein Heiliges Mahl stiftet: Da liegen mit ihm lauter Leute zu Tisch, die es sich zumindest zutrauen, Jesus zu verraten, wenn sie es denn nicht im Fall des Judas dann auch tatsächlich tun.  

Jesus feiert das Heilige Mahl nicht, um die gute Stimmung im Jüngerkreis zu bestärken; er feiert es aber sehr wohl mit Leuten, die selber erkennen, dass sie zumindest potentielle Zerstörer der Gemeinschaft sind, in der Jesus mit seinen Jüngern zusammen ist. Ja, genau darum geht es auch heute noch: Wir feiern das Heilige Mahl gemeinsam mit Menschen, mit denen uns menschlich gesprochen vielleicht gar nicht so viel verbindet, mit Menschen, bei denen wir damit rechnen müssen, dass sie ihren Glauben an Jesus Christus früher oder später auch verraten und preisgeben werden. Aber wir feiern das Heilige Mahl, Gott geb’s, vor allem als Menschen, die nicht mit dem Finger auf andere zeigen, die nicht glauben, sie wären besser als andere, sondern als Menschen, die erkennen, dass auch sie das Zeug zum Verräter haben, als Menschen, die dringend selber auf Vergebung angewiesen sind.

Ja, vergessen wir es nie: Jesus stiftet sein Heiliges Mahl in einer zerbrochenen Gemeinschaft.


II.

Und dann setzt Jesus dieser zerbrochenen Gemeinschaft seiner Jünger eine ganz andere Gemeinschaft gegenüber, eine Gemeinschaft, die er, Jesus, selber stiftet: Nein, Jesus veranstaltet mit seinen Jüngern nicht gruppendynamische Spielchen, er macht sich auch nicht daran, mit den Jüngern nun im vertrauten Gruppenkreis über ihre Probleme zu sprechen. Sondern völlig unvermittelt unterbricht er den Ablauf der Passahliturgie am Tisch und stiftet eine neue Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die nicht auf den Gefühlen der Jünger beruht, sondern allein in den Gaben gegründet ist, die er, Jesus, austeilen lässt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Nein, das ist kein Spiel, das Jesus hier veranstaltet, keine Symbolhandlung, mit der er etwas erklärt. Sondern hier stiftet Jesus eine neue Wirklichkeit, die viel tiefer reicht als alle nette Mitmenschlichkeit, als alle Gemeinschaftsgefühle: Jeder der Jünger, der das Brot isst, das Jesus austeilt, empfängt damit den Leib des Herrn, der für uns am Kreuz stirbt, wird dadurch mit ihm, dem Gekreuzigten, untrennbar verbunden. Und jeder der Jünger, der aus dem einen Kelch trinkt, empfängt darin das Blut des Herrn, am Kreuz vergossen für die Vielen, für Menschen aus allen Völkern. Und wenn St. Markus uns dies hier berichtet, dann ganz sicher nicht, um einfach nur ein einmaliges besonderes Ereignis aus der Vergangenheit in Erinnerung zu rufen. Nein, was er schildert, betrifft uns ganz unmittelbar: Er beschreibt, wie Jesus in diesem Mahl eine Gemeinschaft stiftet, die auch dann, ja gerade dann Bestand haben wird, wenn er sein Blut am Kreuz vergossen hat, eine Gemeinschaft, die begründet ist in der gemeinsamen leibhaftigen Teilhabe an ihm, dem Herrn, der hier seinem Tod entgegenblickt und doch schon zugleich auf die Zeit danach blickt, auf die Zeit nach seiner Auferstehung.

Warum kommen wir also zum Gottesdienst, warum kommen wir also in die Kirche? Es geht nicht darum, dass wir hier vielleicht einige ganz nette Leute treffen, es geht auch nicht um das gemeinsame Mittagessen am Sonntag. Sondern es geht um Christus, um ihn allein, es geht darum, dass wir mit ihm leibhaftig verbunden werden, dass wir eins werden mit ihm – und eben dadurch dann auch untereinander. Nur weil wir mit Christus verbunden werden, weil wir mit seinem Leib und seinem Blut zugleich Anteil bekommen an seiner Vergebung, kann dann auch wieder Gemeinschaft untereinander wachsen, können wir aus der Kraft des Heiligen Mahles dann auch immer wieder auf Menschen zugehen, mit denen uns rein menschlich vielleicht gar nicht so viel verbindet. Wer sich aus der Gemeinschaft der Gemeinde ausklinkt, weil ihm Menschen nicht passen, der hat noch gar nicht begriffen, woraus er sich in Wirklichkeit ausklinkt: aus der Gemeinschaft mit Christus selber, die er an den Empfang seines Leibes und Blutes im Heiligen Mahl gebunden hat.


III.

Und diese Gemeinschaft mit Christus, aus der auch die Gemeinschaft der Gemeindeglieder untereinander erwächst, diese Gemeinschaft mit Christus, die hier am Altar Deutsche, Iraner, Afghanen und Amerikaner zusammenschließt, die bekommt nun auch noch einmal eine ganz andere Dimension: Christus blickt am Schluss der Austeilung seines Leibes und Blutes nach vorne, spricht von der vollendeten Gemeinschaft, zu der der Empfang seines Heiligen Mahles führen soll: Der Tag wird kommen, an dem die, die jetzt noch hier auf Erden das Heilige Mahl empfangen, dann auch hineingenommen werden in das große Freudenmahl im Reich Gottes, in Gottes neuer Welt.

Wenn wir das Heilige Mahl feiern, dann blicken wir also bitte immer nach vorne, dann feiern wir ganz bewusst dem wiederkommenden Herrn Jesus Christus entgegen. „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!“ – So singen wir es bei jeder Abendmahlsfeier. Die Gemeinschaft, die Christus hier und jetzt schon stiftet, ist ein kleiner Vorgeschmack dessen, was uns am Ziel erwartet, dort, wo wir einmal völlig ungetrübte Gemeinschaft erfahren werden, wo es keine Verräter und keine Spione mehr geben wird, ja, auch keine Angst vor einer Abschiebung, dort, wo wir den einmal mit eigenen Augen sehen werden, der uns jetzt schon so unscheinbar in den Gestalten von Brot und Wein begegnet.

Ach, was verpassen all diejenigen, die ihre Teilnahme am Gottesdienst abhängig machen von irgendwelchen Menschen! Was verpassen sie, wenn sie nicht leibhaftig Anteil bekommen am Leib und Blut unseres Herrn, nur weil ihnen die Nase eines anderen Menschen nicht gefällt und sie darum dem Altar fern bleiben! Was verpassen sie, wenn sie sich nicht selber immer wieder hineinnehmen lassen in eine Gemeinschaft, die schließlich einmünden wird in das große Festmahl im Reich Gottes, das niemals mehr enden wird!

Lassen wir uns vielmehr durch die Worte unserer heutigen Predigtlesung wieder ganz neu dazu anlocken, den Leib und das Blut unseres Herrn immer und immer wieder neu zu empfangen, uns immer wieder dadurch in seine Gemeinschaft hineinziehen zu lassen! Es geht doch wirklich nicht bloß um gute Stimmung! Es geht darum, dass wir Anteil bekommen am ewigen Leben. Dafür hat Christus sein Heiliges Mahl eingesetzt, und dafür ist er dann anschließend hinausgegangen in die Nacht des Verrats: Damit du einmal gemeinsam mit Christus leben und feiern wirst – in seiner neuen Welt, die einmal kein Ende mehr haben wird! Amen.

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