St. Markus 16,1-8 | Heiliges Osterfest | Pfr. Dr. Martens

Warum sitzt ihr eigentlich heute Morgen hier? Blöde Frage, mögt ihr antworten, ist doch klar: Weil heute Ostern ist! Doch warum sitzt ihr denn heute Morgen hier in der Kirche und begnügt euch nicht damit, irgendwo im Garten Ostereier zu suchen oder Schokoladenosterhasen den Kopf abzubeißen? Ebenfalls blöde Frage, mögt ihr antworten, das wissen wir doch alle, dass wir heute Morgen hier in der Kirche sitzen, weil Jesus auferstanden ist. Doch ich lasse nicht locker: Warum sitzt ihr eigentlich heute Morgen hier in der Kirche, woher wisst ihr das denn eigentlich, dass Jesus auferstanden ist? Diese Frage ist in der Tat mehr als berechtigt, wenn man sich das Heilige Evangelium des heutigen Sonntags durchliest oder anhört. Es ist, kurz gesagt, ein Bericht darüber, wie die Botschaft von der Auferstehung Jesu nicht weitererzählt worden ist, wie kein Mensch davon erfahren hat, dass Jesus auferstanden ist, weil die Frauen, die diese Botschaft weitererzählen sollten, einfach den Mund gehalten haben, niemandem weitererzählt haben, was doch eigentlich die Jünger, ja letztlich alle Menschen erfahren sollten.

Traurig beginnt das Heilige Evangelium dieses Sonntags: Da haben die drei Frauen, die Jesus bis an den Ort seiner Kreuzigung gefolgt waren und auch mitbekommen hatten, wo er begraben worden war, nur das Ende des Sabbats abgewartet, um endlich einkaufen gehen zu können: Sie wollen Salböle kaufen, um den Leichnam Jesu zu salben – ein letzter Liebesdienst, eigentlich schon zu spät am dritten Tag nach dem Begräbnis. Und dann sind sie mit ihrer Shoppingtour fertig, machen sich auf den Weg zum Grab, offenkundig noch ganz benommen von ihrer Trauer über den Tod Jesu – und erst kurz vor dem Grab fällt ihnen ein, dass sie sich den Einkauf der Salböle wohl doch hätten schenken können. Denn um den Leichnam Jesu salben zu können, mussten sie ja erst mal in das Grab hinein – und wie sollten sie das schaffen, da das Grab doch mit einem schweren Rollstein verschlossen war? Mehr als ein paar andächtige Minuten draußen am Grab – mehr war für sie wohl nicht drin. Doch dann blicken sie nach vorne und stellen fest: Der Stein ist ja weggewälzt; das Grab steht offen. Also gehen die Frauen nun gleich in das Grab hinein und wollen sehen, was da los ist. Doch bevor sie dazu kommen, nach dem Leichnam Jesu zu schauen, sehen sie dort im Grab jemand anders: Nein, nicht den auferstandenen Jesus, sondern einen Jüngling mit einem langen, weißen Gewand, einen Boten Gottes, der aber offenkundig nicht mit Flügeln ausgestattet ist. Solch eine Begegnung in einem Grab ist wahrlich kein Spaß; plötzlich einem unbekannten Mann in einem Grab zu begegnen, ist für die Frauen der Horror pur. Man kann erahnen, wie laut die Frauen dort im Grab aufgeschrien haben, als dieser junge Mann ihnen da plötzlich begegnete. Osterchoräle haben sie da jedenfalls sicher nicht angestimmt. Der junge Mann muss die drei Frauen erst einmal beruhigen: „Entsetzt euch nicht!“ Ihr braucht euch nicht zu fürchten. Ich weiß, warum ihr hier seid: Ihr sucht Jesus von Nazareth, den am Kreuz zu Tode gefolterten. Ja, da hat er sehr recht. Genau darum sind die drei Frauen gekommen. Doch was der Jüngling dann zu den Frauen sagt, übersteigt bei weitem alles, womit sie auch nur ansatzweise an diesem Morgen gerechnet hatten: Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Nein, das war für die Frauen nicht logisch und selbstverständlich; das lag völlig jenseits ihres Horizonts. Eins macht der Jüngling in seiner Rede ganz klar: Weil Jesus auferstanden ist, ist sein Leichnam nicht mehr im Grab zu finden. Was für ein Blödsinn, wenn heutzutage auch in kirchlichen Kreisen behauptet wird, es sei doch für den christlichen Glauben nicht wichtig, ob das Grab Jesu denn nun leer gewesen sei oder nicht, Jesus könne doch auch auferstanden sein, wenn sein Leichnam weiter im Grab gelegen habe! O nein, eine Auferstehung, bei der der Leichnam noch weiter im Grab liegt, ist keine Auferstehung, das wusste der Engel im Grab ganz genau, das macht er hier auch den Frauen deutlich: Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Weil Jesus auferstanden ist, ist er weg, ist er nicht mehr hier, kann er hier im Grab nicht mehr zu finden sein.

Aber das bedeutet umgekehrt nun nicht, dass die Frauen in dem Augenblick, in dem sie sehen, dass der Leichnam Jesu nicht mehr im Grab zu finden ist, nun gleich glauben, dass Jesus auferstanden ist. Ganz im Gegenteil: Der Jüngling gibt den Frauen noch ausdrücklich eine Botschaft mit, die sie den Jüngern und ganz besonders dem Petrus ausrichten sollen: Sie sollen nach Galiläa gehen, dorthin, wo sie zuerst Jesus begegnet waren – und dort werden sie ihn dann auch selber mit eigenen Augen sehen, ihn, der jetzt im Augenblick erst einmal nur spurlos verschwunden ist. Noch etwas gibt der Jüngling den Frauen mit auf den Weg: Denkt doch daran: Jesus hatte es doch zuvor schon angekündigt, dass er auferstehen wird, dass er ihnen, den Jüngern wieder begegnen wird. Doch selbst diese Erinnerung hilft den Frauen nicht weiter. Sie gehen nicht fröhlich Osterlieder pfeifend vom Grab zu den Jüngern, um mit ihnen eine große Osterparty zu feiern. Sondern sie verlassen fluchtartig das Grab, rennen nur noch weg. Nicht Freude übermannt sie, sondern Zittern und Entsetzen, ja große Furcht. Und diese Furcht, dieses Zittern verschließt ihnen den Mund. Nichts, aber auch gar nichts sagen sie irgendjemandem. Sie halten den Mund, verschweigen die wichtigste Botschaft der Weltgeschichte. Was für ein ungewöhnliches Ende eines Evangeliums!

Warum sitzen wir also heute Morgen hier in der Kirche? Ja, wir können noch weiter zurückfragen: Wie konnte der Markus überhaupt sein Evangelium schreiben, wenn die Frauen doch nichts erzählt haben, wenn die Jesusgeschichte doch scheinbar so traurig endet, dass es sich eigentlich nicht lohnt, sich damit noch weiter zu befassen?

Schwestern und Brüder: Was der Markus hier am Schluss seines Evangeliums macht, ist einfach großartig: Er stößt uns gleichsam mit der Nase auf das Allerwichtigste, indem er es selber nicht erzählt, sondern es gerade verschweigt, damit wir von selber darauf kommen: Da muss etwas passiert sein, was am Ende nicht mehr verschwiegen werden konnte, was so überwältigend war, dass es dann schließlich doch erzählt wurde, erzählt werden musste, Glauben weckte, Kirche sammelte, ja schließlich auch die Gestalt eines schriftlichen Evangeliums annahm. Die Begegnung mit ihm, dem auferstandenen Jesus, sie hat stattgefunden, und es ist zu vermuten, dass das doch auch daran gelegen hat, dass die Frauen irgendwann bald darauf doch angefangen haben zu reden. Jedenfalls hat die Begegnung mit dem auferstandenen Christus Konsequenzen gehabt: Die Jünger sind losgezogen in alle Welt, haben von dieser entscheidenden Begegnung ihres Lebens erzählt, davon, dass sie es selber erfahren haben, dass Jesus Christus die Macht des Todes gebrochen hat, dass er auferstanden ist, dass er lebt. Was da am Ostermorgen passiert ist, das lässt sich auf die Dauer nicht verbergen und verschweigen, das muss raus, raus in alle Welt, auch wenn diejenigen, die zuerst davon erfahren haben, alles getan haben, dass es nicht dazu kommt. Doch die Auferstehung Jesu, sie hat solch eine Kraft, dass auch alles Versagen derer, die sie verkündigen sollen, ihre Verkündigung nicht verhindern kann. Denn hinter dieser Verkündigung der Auferstehung Jesu steht eben er selber, der auferstandene Herr, der das Grab lebendig verlassen hat und nicht nur den Jüngern damals begegnet ist, sondern uns auch heute noch begegnet, jawohl, heute Morgen in diesem Ostergottesdienst. Ja, darum sitzen wir heute Morgen hier in der Kirche, weil sich die Botschaft von der Auferstehung Christi, ja, weil sich der auferstandene Christus selber Bahn gebrochen hat, weil sich die frohe Botschaft von der Niederlage des Todes letztlich doch als stärker erwiesen hat als alle Furcht und alles Entsetzen.

Ja, darum sitzen wir heute Morgen hier in der Kirche, weil die Auferstehung Jesu eine Kraft in sich birgt, der keine Macht auf Erden widerstehen kann, weil sie eine solche Kraft in sich birgt, dass sie auch dein und mein Herz verändert hat, dass wir unbedingt ihm begegnen wollen, ihm, diesem auferstandenen Herrn, wenn er nun gleich in unsere Mitte tritt mit seinem Leib und Blut im Heiligen Mahl.

Aber vergessen wir es dabei nie: Dass Jesus auferstanden ist, war und ist niemals eine Selbstverständlichkeit, ist nicht logisch, ist nichts, was wir jemals nur als eine nette Anekdote bei Kaffee und Kuchen zum Besten geben könnten. Um zu verstehen, was damals an jenem Morgen in Jerusalem geschehen ist, brauchen wir ihn, diesen Bericht von den Frauen, die voller Zittern und Entsetzen vom Grab weglaufen, haben wir es immer wieder neu nötig, zu bedenken, wie unfasslich das eigentlich ist, dass Jesus tatsächlich nicht im Grab geblieben ist, dass sein Grab leer ist. Sieh es darum niemals als selbstverständlich an, dass du hier in der Kirche sitzt, staune darüber, was dieses Geschehen von vor 2000 Jahren auch mit dir, mit deinem Leben angestellt hat. Dann, ja dann kannst und darfst auch du mit einstimmen in den Osterruf der Kirche, ja, vielleicht erst einmal nur mit bebender, zitternder Stimme – aber dann schließlich immer lauter und fröhlicher: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!“ Amen.

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