St. Markus 2,23-28 | 20. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Da sitze ich am späten Abend an meinem Computer und schaue auf meine Facebookseite. Ganz rechts sehe ich die Namen all der Gemeindeglieder, die gerade online sind. Manche habe ich schon eine Weile nicht mehr in der Kirche gesehen. Da juckt es mir in den Fingern, ihnen eine kurze Nachricht zu schicken. Ja, auf der einen Seite möchte ich, dass sie den Kontakt zur Gemeinde, zu Gottes Wort, zum Leib und Blut unseres Herrn nicht verlieren. Dafür bin ich als Pastor ja auch verantwortlich. Aber auf der anderen Seite möchte ich auch nicht, dass die Gemeindeglieder den Eindruck bekommen, ich wäre so etwas wie eine christliche Religionspolizei, die immer genau aufpasst, wenn ein Gemeindeglied mal nicht im Gottesdienst erscheint. Unsere Gemeindeglieder sind da ja sehr empfindlich. Sie haben das in ihrer Heimat erfahren, wie die Bassij und andere unerfreuliche Erscheinungen auf den Straßen unterwegs waren und immer genau kontrollierten, ob sich die Leute auch an alle islamischen Gesetze hielten, ganz besonders natürlich im Ramadan, wenn man von morgens bis abends nichts essen und trinken darf. Nein, wie ein christlicher Bassij möchte ich nun wirklich nicht von unseren Gemeindegliedern wahrgenommen werden.

Mit solchen Religionskontrolleuren hatte sich auch Jesus damals schon herumzuschlagen. Da zieht Jesus mit seinen Jüngern durch Galiläa. Sie gehen durch die Kornfelder, und die Jünger reißen ein paar Ähren ab und knabbern die Körner. Sie hatten ja kein festes Zuhause, und so waren sie sicher dankbar, unterwegs mal etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Was sie da machten, war grundsätzlich auch nicht verboten, sondern nach dem Gesetz des Alten Testaments sogar ausdrücklich erlaubt, dass man auf dem Weg durch ein Kornfeld ein paar Ähren abreißen und die Körner essen durfte. Aber da lauert schon irgendwo zwischen den Kornfeldern die Religionspolizei: Es ist Sabbat, und am Sabbat darf man natürlich nicht arbeiten – und wenn man es sich ganz genau überlegt, dann ist das Herauspuhlen der Körner natürlich so etwas wie Essenszubereitung. Und Essenszubereitung ist Arbeit und folglich am Sabbat verboten. Das muss sofort dem Chef gemeldet werden. Nun ja, ganz so brutal wie die Bassij sind diese Religionswächter nicht. Sie lassen die Jünger nicht verhaften oder auspeitschen. Eigentlich geht es ihnen ja auch gar nicht um die Jünger, sondern um ihren Chef selber, den sie gerade vor kurzem dabei erwischt hatten, dass er gemeinsam mit schlimmen Sündern Partys feierte und das auch noch rechtfertigte. Den musste man doch irgendwie zur Strecke bringen – und sei es mit einer noch so absurden Argumentation.

Doch Jesus reagiert ganz anders, als es uns vielleicht naheliegend erscheinen würde. Er fängt mit den Religionswächtern keine Diskussion darüber an, ob denn das Ährenpuhlen nun Arbeit und damit eine Übertretung des Sabbatgebots ist oder nicht. Und er fängt auch nicht an, sich darüber aufzuregen, dass diese Religionswächter nun dauernd hinter ihm herschleichen und ihn mit solch einem Kikifax belämmern. Sondern er nimmt diese Beschwerde der selbsternannten Aufpasser zum Anlass, um ganz grundsätzlich zu werden.

Ganz hoch fängt er mit seiner Argumentation an. Er verweist auf David, der damals auf der Flucht vor König Saul Hunger hatte und sich an den heiligen Broten im Heiligtum von Nob bediente, obwohl diese Brote doch eigentlich nur von Priestern gegessen werden durften. Jesus vergleicht sich also mit David, bringt schon an dieser Stelle zum Ausdruck, dass er nicht bloß irgendein Wanderprediger ist, sondern nicht weniger als der neue David, der König, auf den sein Volk seit 1000 Jahren gewartet hatte. Und noch mehr steckt in dieser ersten Antwort von Jesus: Wenn für David damals es wichtiger war, den Hunger der Menschen zu stillen, als irgendwelche rituellen Gesetze einzuhalten – dann gilt das heute erst recht. Man darf nicht mit dem Verweis auf irgendwelche Gesetzesbestimmungen über Reinheit und Unreinheit Menschen hungern lassen.

Und dann spricht Jesus Klartext: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht Mensch um des Sabbats willen.“ Gott will mit seinen Gesetzen die Menschen nicht schikanieren, sondern will mit seinen Gesetzen das Leben der Menschen fördern. Ja, der Sabbat ist in der Tat eine Gabe und Setzung von Gott. Gott möchte, dass dieser eine Tag in der Woche anders ist als alle anderen Tage. Aber das möchte er nicht, um den Menschen das Leben schwerzumachen, sondern weil er weiß, dass wir Menschen das in jeder Hinsicht nötig haben, dass wir uns an einem Tag in der Woche erholen, dass nicht unser ganzes Leben nur von Arbeit bestimmt ist. Gott will uns damit nicht belasten, sondern uns aufatmen lassen, und dieses Aufatmen ist schwerlich möglich, wenn da immer wieder Leute kontrollieren, ob wir denn tatsächlich auch richtig aufatmen.

Und dann setzt Jesus hier am Ende noch einen obendrauf: „So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ Ja, woher können wir wissen, dass Gott das tatsächlich so mit seinen Geboten gemeint hat, dass sie dem Leben dienen sollen und uns nicht schikanieren sollen? Wissen kann das letztlich nur Gott allein. Und der meldet sich hier zu Wort, bezeichnet sich selber als Herr über den Sabbat. Herr über den Sabbat ist allein der, der ihn geschaffen hat. Und er, der Herr über den Sabbat, der steht nun dort vor den Menschen, gibt sich für die, die etwas genauer hinzuhören vermögen, sehr offen zu erkennen: Hier stehe ich, ich, der Herr, der euch die Gebote am Berg Sinai gegeben habe. Ich sage euch, wie sie zu verstehen sind. Was für eine atemberaubende Klarstellung, die Jesus hier vornimmt!

Und was hat diese Geschichte, die uns St. Markus hier erzählt, nun mit uns, mit unserem Leben zu tun? Mit dem Sabbat haben wir als Christen ja nun nicht so viel zu tun – und Glaubenswächter, die aufpassen, ob wir ihn auch richtig einhalten, die verfolgen uns auch nicht unbedingt.

Und dennoch ist diese Geschichte auch für uns hochaktuell. Denn Jesus macht uns in ihr sehr deutlich, worum es eigentlich in unserem Glauben geht. Es geht eben gerade nicht darum, dass wir bestimmte Gesetze einhalten müssen, um auf diese Art und Weise unser Verhältnis zu Gott in Ordnung zu bringen. Sondern es geht in unserem Glauben darum, dass wir den erkennen, der sich hier in dieser Geschichte zunächst nur verborgen und doch eigentlich schon so deutlich als Gott selber zu erkennen gibt. Nicht um Einhaltung von Gesetzen geht es, sondern darum, in Jesus Christus selber Gott zu finden, in ihm zu erkennen, wer Gott wirklich ist: Eben gerade nicht ein himmlischer Buchhalter, der genau registriert, ob wir überall auch seine Gesetzesbestimmungen eingehalten haben, sondern ein Gott, der sich uns so voller Liebe zuwendet, dass er für uns seinen einzigen Sohn in diese Welt schickt und ihn für uns am Kreuz sterben lässt, damit wir ja nie mehr auf die Idee kommen, wir könnten uns dadurch den Zugang zum Himmel erwerben, dass wir alle Gesetze und himmlischen Vorschriften genau einhalten.

Liebe – um nichts anderes geht es dann eben auch in den Geboten, die Jesus uns in seinen Predigten noch einmal ans Herz gelegt, ja durchaus für verpflichtend erklärt hat. Gott will damit unser Leben nicht einschränken, sondern uns im Gegenteil helfen, so zu leben, wie es für uns selber gut ist. Und das lässt sich an dem dritten Gebot besonders gut zeigen.

Ja, Gott will, dass wir nicht sieben Tage in der Woche durcharbeiten. Das hat er in seiner Schöpfung so angelegt, und es ist erstaunlich, wie sich dieser Wille Gottes grundsätzlich praktisch in allen Ländern dieser Erde, auch in denen, die eigentlich mit der Bibel überhaupt nichts am Hut haben, durchgesetzt hat. Ich erinnere mich noch an meine Reise nach Nepal, ein Land, das mit hinduistischer und buddhistischer Kultur gesättigt ist – aber die biblische Sieben-Tage-Woche wird auch dort ganz selbstverständlich eingehalten. Es ist unserer Zeit vorbehalten, diesen guten Willen Gottes wieder in Frage zu stellen, Menschen diesen festen Rhythmus ihres Lebens mit immer wechselnden Arbeitszeiten zu nehmen und sie damit körperlich und seelisch kaputtzumachen. Ja, natürlich haben wir als Christen die Freiheit, auch einen anderen Tag als den biblischen Sabbat zu unserem besonderen Tag im Rhythmus der Sieben-Tage-Woche zu machen. Das haben schon die ersten Christen getan, als sie sich jede Woche am Sonntag, dem Auferstehungstag unseres Herrn, trafen. Und jetzt in dieser Corona-Zeit wird es für uns eine noch größere Herausforderung, wie wir uns an diesem guten Gebot Gottes in der rechten Weise orientieren können. Wir können eben nicht alle Gemeindeglieder in den Gottesdiensten am Samstag und Sonntag unterbringen. Und wir haben in der Tat die Freiheit, uns auch an anderen Tagen zum Gottesdienst zu versammeln. Doch eines bleibt auf jeden Fall entscheidend: Dass es einen Tag in der Woche gibt, an dem wir dem begegnen, der sich hier im Evangelium als Herr über den Sabbat zu erkennen gibt. Entscheidend ist, dass wir mit ihm verbunden bleiben, durch den allein wir in Gottes Augen richtig dastehen. Nicht um Auslegung einzelner Gesetzesbestimmungen geht es im christlichen Glauben, sondern allein um Christus, um Christus und noch einmal um Christus. Und diesem Christus können wir eben ganz konkret da begegnen, wo er in seinem Wort zu uns spricht und uns seinen Leib und sein Blut austeilen lässt.

Ja, davon zu sprechen ist in der Tat meine Aufgabe als Pastor, und dafür will ich auch weiter Facebook nutzen. Einladen möchte ich immer wieder zu Christus und hoffe, dass ich es tatsächlich so mache, dass die Glieder unserer Gemeinde mich nicht als Glaubenswächter empfinden, sondern sich darüber freuen, von Christus selber eingeladen zu sein. Es ist doch kein gutes Werk, das wir tun, wenn wir zum Gottesdienst kommen, nichts, womit wir uns den Himmel verdienen. Wir holen uns hier Geschenke ab – und nichts anderes möchte ich ja letztlich auch auf Facebook machen: Den Leuten heiße Tipps für die besten Geschenke ihres Lebens geben, sie damit selber neugierig machen auf das, was sie hier im Gottesdienst erwartet – ja, wer sie hier erwartet. Und wem das aufgeht, für den ist der Tag, an dem er Jesus begegnen darf, ein ganz besonderer Tag, ganz gleich, welcher Wochentag es auch sein mag, ein Tag, der uns inmitten der Lasten unseres Lebens aufatmen lässt. Und diesen Tag, den werden wir dann auch auf keinen Fall auch nur eine Woche verpassen wollen. Gott geb’s, dass uns daran auch kein Lockdown in der kommenden Zeit hindern wird! Amen.

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