St. Markus 4,35-41 | Vierter Sonntag nach Epiphanias | Pfr. Dr. Martens

Es gibt wohl nur wenige Geschichten in der Heiligen Schrift, die die Glieder unserer Gemeinde in derselben unmittelbaren Weise ansprechen wie das Heilige Evangelium dieses Sonntags, die Geschichte von der Sturmstillung. Da gibt es viele Glieder unserer Gemeinde, die haben in den vergangenen Jahren etwas ganz Ähnliches erlebt wie die Jünger damals auf dem See Genezareth. In ein Boot waren sie gestiegen in der Hoffnung, endlich die islamische Welt, aus der sie stammten und in der sie so viele Bedrohungen erfahren hatten, hinter sich lassen zu können. Ja, um davon loszukommen, waren sie dazu bereit, auch das Risiko einer Bootsfahrt über das offene Meer auf sich zu nehmen. Doch dann waren sie mitten auf dem Meer, der Sturm kam – und sie erfuhren etwas von der Macht der Naturgewalten, denen sie so völlig ausgeliefert waren. Aber so mancher erfuhr dann eben auch, dass er in dieser verzweifelten Situation zu diesem Jesus Christus schrie, von dem er bisher erst ein wenig gehört hatte – und dann auf wundersame Weise die Rettung in dem Sturm und aus dem Sturm erfuhr. Ja, kein Wunder, dass die Geschichte von der Sturmstillung für nicht wenige Glieder unserer Gemeinde die Lieblingsgeschichte in der Bibel ist.

Vor einigen Jahren habe ich so eine ähnliche, wenn vielleicht auch nicht ganz so dramatische Erfahrung gemacht, als ich mit den Konfirmanden auf einer Freizeit unterwegs war. Mit Elektrobooten waren wir auf dem Edersee bei herrlichem Sonnenschein losgefahren. Doch innerhalb von Minuten zog hinter den Hügeln des Edersees eine schwarze Wolkenfront auf – und bevor wir uns versehen konnten, entlud sich über uns mitten auf dem Edersee ein heftiges Gewitter mit Windböen, gegen die die Elektromotoren einfach nicht mehr ankamen. Wie gut, dass ich einige pfiffige russlanddeutsche Jugendliche als Mitarbeiter mit dabeihatte, die die Stoffüberdachung der Boote als Segel nutzten, um die Boote so zum Anlegesteg zurückzubefördern. Ja, da habe ich es selber auch am eigenen Leibe erfahren, wie hilflos man als Mensch den Naturgewalten ausgesetzt sein kann.

Doch ich finde mich in dieser Geschichte auch noch in einer anderen Weise wieder: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ – Dieser Gedanke geht mir beinahe täglich über den Kopf, kommt mir in ähnlicher Weise als Gebet fast täglich über die Lippen. Ja, mitten in einem Sturm befinden wir uns in unserer Gemeinde, Mächten ausgeliefert, gegen die wir menschlich gesprochen nicht die geringste Chance haben und die immer wieder darauf aus sind, die, die mit uns im Boot sind, in unserer Gemeinde, umkommen zu lassen, ja, im ganz wörtlichen Sinne des Wortes. Das Boot unserer Gemeinde läuft nicht unbedingt mit Wasser voll, dafür läuft es voll mit zynischen Abschiebebescheiden, die für so viele von uns nicht weniger gefährlich sind als der Windwirbel für die Jünger im Boot hier in unserer Geschichte. „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ Warum unternimmst du nichts angesichts des schreienden Unrechts, das denen, die an dich glauben, hier in unserem Land, hier in unserer Gemeinde angetan wird? Warum unternimmst du nichts dagegen, dass dein Name von angeblich christlichen Politikern aufs Schändlichste gelästert wird, von denen, die in deinem Namen deine Brüder und Schwestern in den Tod schicken wollen? Warum unternimmst du nichts gegen die Verleumdungen, die von staatlichen Behörden und von den Medien immer wieder gegen die, die dir nachfolgen, ausgestreut werden? Wir kämpfen ja, wie wir können – aber gegen diesen Sturm, gegen diese Mächte, die uns kaputtzumachen versuchen, kommen wir einfach nicht an! Herr, fragst du nicht danach?

Ja, es lohnt sich, dass wir das Heilige Evangelium dieses heutigen Sonntags noch einmal genauer anschauen.

Warum war Jesus eigentlich in das Boot gestiegen? Wo wollte er eigentlich hin? Das andere Ufer, an das er fahren wollte, war durchaus kein naheliegender Ausflugsort. Da hatte ein Jude eigentlich überhaupt nichts zu suchen, denn dieses andere Ufer war heidnisches Gebiet, was man schon allein daran erkennen konnte, dass Jesus nach seiner Ankunft eine Schweineherde nicht weit entfernt vom Ufer erwartete. Jesus verlässt das vertraute Umfeld, in dem er sich sonst aufhielt, und bricht auf zu neuen Ufern, wendet sich auch den Nichtjuden zu. Das löst Widerstand aus, Gegenwind, ja einen regelrechten Sturm. Der Widersacher Gottes lässt nichts unversucht, um zu verhindern, dass Menschen in Verbindung mit Jesus kommen, die vorher noch nie etwas von ihm gehört hatten.

Genau das ist die Erfahrung, die wir auch in unserer Gemeinde gemacht haben, ja gerade jetzt immer mehr machen. Da sind auch wir in unserer Gemeinde zu neuen Ufern aufgebrochen, haben uns nicht damit begnügt, in einem kleinen, gemütlichen Kreis zu bleiben, dort, wo wir immer schon waren. Sondern wir haben uns auf einen ungewöhnlichen Weg begeben, dorthin, wo wir doch eigentlich gar nicht hingehören, so wird es uns von so vielen Seiten bescheinigt. Ja, wir haben Menschen in den Blick genommen, die vorher so gar nicht in unserem Blick waren und die es doch so dringend nötig haben, dass auch sie Christus als ihren Herrn und Retter kennenlernen. Und damit haben nun auch wir Widerstände ausgelöst, spüren nun auch, wie kräftig uns der Wind ins Gesicht weht. Er weht uns von denen ins Gesicht, die den christlichen Glauben nur für ein deutsches Kulturgut halten und entsetzt darüber sind, dass Menschen, die doch so gar nicht deutsch sind, sich diesen Glauben zu eigen machen. Nein, das geht nicht, die müssen wieder weg aus Deutschland, die können es doch gar nicht ernst meinen! Nur ein Deutscher kann ein richtiger Christ sein! Und hinter diesen Widerständen und Stürmen verbirgt sich kein anderer als der Widersacher Gottes selbst, der Teufel, der alle Möglichkeiten nutzt, um uns die Überfahrt ans andere Ufer so weit wie möglich zu erschweren, ja, uns möglichst auf dieser Überfahrt untergehen zu lassen. Wir können die Stürme, die unseren Brüdern und Schwestern aus unserer Gemeinde und darüber hinaus zurzeit ins Gesicht wehen, nur verstehen, wenn wir sie als einen geistlichen Kampf wahrnehmen, als den verzweifelten Versuch des Teufels, die Ausbreitung des Evangeliums unter Menschen aus dem Iran und Afghanistan so weit wie möglich zu verhindern.

Und der Teufel hat tatsächlich so viele Tricks auf Lager, dass er uns mitunter bis an den Rand der Verzweiflung zu treiben vermag, dass wir nur noch zu Christus schreien: Fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Fragst du nicht nach unseren Brüdern und Schwestern, schaust du einfach nur zu, wie deine Feinde oft genug auch noch unter deinem Namen zerstören wollen, was du doch selbst aufgebaut hast?

Ja, so schreien wir, so weinen wir – und haben den Eindruck: Jesus schläft. Der unternimmt nichts, der lässt uns einfach untergehen. Und es scheint ihn überhaupt nicht zu kümmern. Von einem happy end können wir jedenfalls, menschlich gesprochen, überhaupt nichts erkennen.

Doch gerade wenn wir denken, dass es nun wirklich nicht mehr weitergeht, dass wir absaufen in unserer Fahrt zum anderen Ufer, gerade wenn wir denken, dass Jesus uns nur noch im Stich lässt, lässt er, Jesus, uns erkennen: Habt ihr denn übersehen, dass ich bei euch im Boot bin? Wenn das Boot absaufen würde, dann würde ich ja mit euch absaufen. Und das wird niemals geschehen. Solange ich im Boot bin, geht dieses Boot nicht unter, und wenn euch die Wellen noch so sehr ins Gesicht schlagen. Ja, gerade, wenn wir nicht mehr weiterwissen, dann ist es umso wichtiger, dass wir uns dessen immer wieder neu vergewissern: Jesus ist an Bord, er ist bei uns, und wo er ist, da werden die Pforten der Hölle das Boot der Kirche nicht überwältigen. Ja, darum ist das Allerwichtigste, was wir in diesen Stürmen tun können, dass wir uns immer wieder dort versammeln, wo wir erfahren können: Jesus ist unter uns, ganz gleich, ob wir es verstehen können oder nicht. Darum ist das Allerwichtigste, was wir in diesen Stürmen tun können, eben dies, dass wir uns immer wieder um den Altar versammeln, um den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Darum ist das Allerwichtigste, dass wir immer wieder erfahren, was für eine Kraft das Wort Christi hat, dass es Sünden wegzunehmen und den Himmel aufzuschließen vermag – und dass gegen dieses machtvolle Wort Jesu keine andere Macht dieser Welt ankommt. Vor diesem Wort muss der Teufel verstummen, dagegen kommt er nicht an mit all seinen Tricks. Es ist dasselbe machtvolle Wort, das damals den Sturm auf dem See Genezareth zum Erliegen brachte, das du auch jetzt in jedem Gottesdienst hier zu hören bekommst.

Halte dich nur an Jesus – das gilt auch für jeden von uns persönlich. Wenn du in deiner Angst und Verzweiflung gar nicht mehr weiter weißt, dann schaue zuerst und vor allem darauf, dass du Jesus im Boot deines Lebens hast, dass du ihn nicht aus dem Boot deines Lebens herausbefördert hast, weil für ihn angeblich kein Platz mehr bei dir ist. Ja, es mag sein, dass du den Eindruck hast, dass es ohne Jesus in deinem Leben erst einmal ruhiger zugeht. Da, wo du den Kontakt zu Jesus verlierst, braucht dir der Widersacher Gottes auch nicht mehr ins Gesicht zu blasen. Aber ohne Jesus wirst du am Ende deines Lebens einmal untergehen, wenn der Sturm des Todes dich treffen wird. Dann hilft wirklich nur noch er, dein Heiland, allein, wenn alle andere Hilfe versagt, er, dem Wind und Meer gehorsam sind, ja der sogar den Tod besiegt hat.

Ja, noch sind wir mitten im Sturm, noch ist ein Ende dieses Sturms nicht abzusehen, in dem wir uns als Gemeinde und jeweils auch als Christen befinden. Noch erfahren wir, was der Apostel Paulus in der Epistel des heutigen Sonntags so eindrücklich beschreibt, dass wir über die Maßen beschwert waren und sind und über unsere Kraft, sodass wir auch am Leben verzagten. Doch Jesus bleibt an Bord – und er wird auch uns einmal erfahren lassen, dass er diesen Sturm einmal beenden wird, dass er auch uns Anteil geben wird an einer großen Stille, in der wir nur noch aufatmen werden, in der wir nur noch staunen werden über den, den wir in seinen Möglichkeiten in unserem Leben immer wieder so schnell und so sehr unterschätzen. Nein, wir brauchen uns nicht zu fürchten, was uns auch widerfährt. Jesus ist da. Das reicht. Das reicht bis zum Ziel unseres Lebens. Amen.

Zurück