St. Markus 9, 17-27 | 19. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Es gibt Tage in unserer Gemeinde, an denen passiert so viel innerhalb von kurzer Zeit, was für unsere Gemeinde bezeichnend und typisch ist, dass ich gar nicht anders kann, als darüber etwas auf Facebook zu posten. Ja, wie in einem Brennglas kann man an manchen Tagen in unserer Gemeinde miterleben, was das Leben unserer Gemeinde prägt und ausmacht.

So eine Art von Facebook-Post lesen wir auch in der Predigtlesung dieses Sonntags: Da schildert der Evangelist St. Markus anhand eines Tages aus dem Wirken Jesu, was für sein ganzes Wirken typisch war, was dieses Wirken gleichsam zusammenfasst. Besser gesagt: Er schildert das nicht anhand eines Tages, sondern hier in dieser Predigtlesung anhand einer Nacht. Denn was er uns hier berichtet, beginnt an einem Abend, nach Sonnenuntergang, im Dunklen, und endet dann am nächsten Tag mit dem Sonnenaufgang. Ja, was uns St. Markus hier berichtet, ist nicht nur ein typischer Tag beziehungsweise eine typische Nacht aus dem Wirken Jesu, sondern es zeigt zugleich in ganz typischer Weise, worum es auch hier und heute in der Kirche Christi, worum es ganz konkret auch in unserer Gemeinde geht.

Um diesen Zusammenhang verstehen zu können, muss natürlich zunächst einmal eines klar sein: Bei allem, was in der Kirche geschieht, was auch hier in unserer Gemeinde geschieht, geht es immer zunächst und vor allem um ihn, Jesus Christus, von dem auch St. Markus hier in unserer Predigtlesung berichtet. Ach, was sage ich: Es geht nicht einfach bloß um ihn, sondern derselbe Jesus Christus, dessen Wirken St. Markus hier schildert, ist auch hier und heute in unserer Mitte gegenwärtig, verrichtet seine Arbeit auch hier in unserer Gemeinde, weil er eben nicht bloß eine ehrwürdige Person der Vergangenheit ist, sondern der auferstandene Herr, dessen Wirken am Kreuz von Golgatha eben nicht sein Ende fand, sondern danach erst so richtig losging.

Da drängeln sich die Menschen draußen bei Jesus vor der Tür. Der Sabbat ist mit dem Sonnenuntergang vorbei, und jetzt dürfen sie wieder Kranke tragen, können sie jetzt zu Jesus tragen, damit er sie gesundmacht. Ja, was diese Menschen von Jesus erwarten, ist zunächst einmal ganz praktische Hilfe, Heilung an Leib und Seele. Und Jesus verweigert sich dem nicht, er hilft vielen Kranken, er treibt viele Dämonen aus, arbeitet bis an die Grenzen seiner Kräfte.

Schwestern und Brüder, manchmal muss ich an diese Predigtlesung denken, wenn ich an so manchen Tagen in meinem Besprechungszimmer sitze und sich draußen die Leute so sehr drängeln, dass ich selber kaum noch aus der Tür herauskomme. Nein, natürlich bin ich nicht Jesus, und auch als Wundertäter bin ich denkbar ungeeignet. Aber der Anblick dieser Menschen, die mit der ganzen Not und dem ganzen Elend ihres Lebens hierher in das Haus des Herrn kommen und immer wieder nur den einen Wunsch haben: dass ihnen geholfen wird an Leib und Seele, dieser Anblick erinnert doch sehr an das, was auch Jesus damals in Kaper-naum vor Augen hatte. Und wir – wir versuchen es so ähnlich zu machen wie Jesus damals auch: Wir können und wollen unsere Augen nicht verschließen vor der Not der Menschen, versuchen, uns ihnen zuzuwenden, so gut es geht. Nein, wir können keine Wunder vollbringen. Wohl aber dürfen wir darum wissen, was für eine heilende Kraft das Wort Gottes, was für eine heilende Kraft das Wort der Vergebung, die Gabe des heiligen Leibes und Blutes Christi hat, was für eine heilende Kraft das Leben in der Gemeinschaft der Kirche hat. Nein, da sind nicht wir es, die heilen, da ist es Christus, der hier in unserer Mitte nicht anders als damals Menschen wirklich wieder heil werden lässt. Wie viele solcher Geschichten von Menschen, die hier in unserer Mitte Heilung an Leib und Seele erfahren haben, könnte ich nun erzählen. Und erzählen kann ich auch von geistlichen Kämpfen, die Menschen, die vom Islam zum christlichen Glauben konvertieren, vor und nach ihrer Taufe durchmachen. Da erfahren wir es immer wieder sehr handfest, dass der Wechsel vom Islam zum christlichen Glauben eben nicht bloß so etwas ist wie ein Trikotwechsel, dass man seinen Lieblingsfußballverein wechselt. Nein, da haben wir es mit wirklichen Mächten, ja, dunklen Mächten zu tun, die Menschen bedrängen und mit allen möglichen Tricks von Christus fernzuhalten versuchen. Und nicht umsonst praktizieren wir bei jeder Taufe genau dasselbe, was Jesus damals auch getan hat, befehlen dem unreinen Geist, von dem Taufbewerber zu weichen, befehlen dies nicht aus eigener Kraft, sondern in der Vollmacht des gegenwärtigen auferstandenen Herrn. Ja, was St. Markus hier schildert, ist in der Tat eine sehr eindrückliche Zusammenfassung dessen, was auch hier bei uns in unserer Gemeinde abläuft.

Irgendwann muss Jesus sich dann in der Nacht aber doch noch hingelegt haben, denn St. Markus erwähnt hier, dass Jesus noch vor Tage, noch vor dem Sonnenaufgang wieder aufstand und betete. Doch diese Zeit des Gebets gönnen die Jünger ihm nicht: Sie laufen hinter ihm her, und als sie ihn gefunden haben, haben sie gleich den Vorwurf auf den Lippen: „Jedermann sucht dich!“

Ganz wichtige Worte sind das auch für uns, für unser Leben in der Gemeinde. Ja, da stehen wir gerade hier in unserer Gemeinde in der Gefahr, gleichsam aufgefressen zu werden von all den wirklich dringenden Nöten und Problemen, von all den Dingen, die drängen, die scheinbar keinen Aufschub dulden. Ja, eigentlich könnte man sich Tag und Nacht nur noch damit beschäftigen – und der Vorwurf „Jedermann sucht dich!“ ist mir persönlich auch nicht so ganz unbekannt. Umso wichtiger ist, dass wir immer wieder ganz deutlich markieren, wo denn nun das Herz unserer Gemeinde schlägt, wo denn nun ihr Kraftzentrum ist: Es ist das Gebet, es ist der Gottesdienst, es ist der Ort, an dem nicht wir etwas tun und leisten, sondern an dem wir einfach nur empfangen, einfach nur beschenkt werden. Für Jesus war das so wichtig, dass er dafür in aller Herrgottsfrühe aufstand, nur um diese Verbindung mit seinem Vater immer wieder neu erfahren zu können. Und für uns ist das Gebet, der Gottesdienst eben auch so wichtig, dass dahinter immer wieder erst einmal alles andere zurückstehen muss. Mehrfach in der Woche feiern wir hier in der Kirche unsere Gottesdienste, holen uns hier die Kraft, um all das andere bewältigen zu können, was dann sonst noch so in unserer Gemeinde ansteht. Ohne das Gebet, ohne den Gottesdienst wäre alles, was wir hier in der Gemeinde tun, hohl und leer, hätte am Ende auch keine Verheißung. Lassen wir uns durch nichts und niemanden davon abbringen, dies immer wieder an erster Stelle zu setzen – im Leben der Gemeinde und auch im persönlichen Leben, ja, schauen wir auf Jesus, und seien wir dann auch dazu bereit, wie er früh aufzustehen, um diese Quelle unseres Lebens als Christen ja nicht zu verpassen! Ja, anderes mag dann unerledigt bleiben. Doch dafür können und werden wir niemals auf das Allerwichtigste verzichten können und dürfen: auf die leibhaftige Begegnung mit ihm, unserem Herrn Jesus Christus, im Heiligen Mahl.

Die Jünger Jesu wollen Jesus wieder zurück nach Kapernaum holen, wollen, dass er immer das weitermacht, was er vorher gemacht hatte. Doch Jesus verweigert sich diesem Versuch, ihn für die eigenen Wünsche und Zwecke zu vereinnahmen: Lasst uns anderswohin gehen, so sagt er es, denn meine wichtigste Aufgabe ist es, den Menschen zu predigen, ihnen die frohe Botschaft zu bringen. Und die soll ich auch denen bringen, die sie bisher noch nicht gehört haben, in den anderen Städten.

Wir kennen diesen Wunsch auch aus der Arbeit in der Kirche: Alles soll möglichst immer so weitergehen, wie es früher war, nichts soll sich ändern, Hauptsache, ich bekomme in der Kirche das, was ich will! Doch mit Jesus ist das nicht zu machen. Der sieht klar, dass es die Aufgabe der Kirche ist, weiterzuziehen, immer wieder die nächsten zu erreichen, die die frohe Botschaft noch nicht vernommen haben. Nein, wir sind hier kein Traditionsverein, in dem sich Leute zusammenfinden, um sich an die gute alte Zeit zu erinnern. Sondern es geht hier in der Kirche darum, dass wir immer wieder neu mit Jesus mitziehen, wenn er dabei ist, schon wieder die nächsten mit seiner frohen Botschaft zu erreichen. Ja, wir bleiben miteinander unterwegs, immer wieder neu im Aufbruch, immer wieder neu auf einem Weg in die Zukunft, den wir noch gar nicht kennen. Ja, wir bleiben miteinander unterwegs, weil genau dazu Jesus gekommen ist, immer noch mehr Menschen mit seiner Botschaft zu erreichen. Bleiben wir darum nicht sitzen und beschweren wir uns, sondern begleiten wir ihn, unseren Herrn, wenn er auch heute hier in Berlin und Brandenburg weiter nach denen Ausschau hält, die seine Botschaft noch nicht gehört haben! Wir können es aus unserer Gemeindearbeit bestätigen: Wenn wir unserem Herrn folgen und immer wieder neue Menschen erreichen, dann wird es bei uns zwar nicht unbedingt gemütlich, aber lebendig und spannend allemal. Denn dann erfahren wir es immer wieder neu: Nicht wir bauen die Kirche, bauen unsere Gemeinde. Das ist er, Christus, allein, derselbe Christus, von dem wir hier in unserer Predigtlesung gehört haben, und der auch hier und heute am Werk ist. Denn da, wo er ist, bleibt auch die Dunkelheit nicht finster, gehen wir miteinander dem einen großen Morgen entgegen, an dem einmal all das, was uns jetzt noch so sehr besorgt und erschreckt, einmal endgültig Vergangenheit sein wird! Amen.

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