St. Markus 9,24b | Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu (Neujahr) | Pfr. Dr. Martens

Zu den besonderen Einrichtungen in unserer Bundesrepublik Deutschland gehört das Glaubensvermessungsinstitut, auch Bundesamt für Migration und Flüchtlinge genannt. Ja, dieses Institut maßt sich allen Ernstes an, die Tiefe des Glaubens von Christen zu vermessen und erklärt dann in seinen Bescheiden immer wieder als Ergebnis dieser Vermessung, dass eine genügende Glaubenstiefe nicht erkannt werden konnte.

Ja, was da behauptet und betrieben wird, ist in Wirklichkeit vollkommen absurd, und die Methodik, die dabei angewendet wird, entspricht in ihrer Wissenschaftlichkeit in etwa der Rassenkunde, die vor 80 Jahren in unserem Land mit dem Anspruch größter Seriosität gelehrt wurde. Und warum das so absurd ist, macht die Jahreslosung dieses neuen Jahres 2020 in besonders eindrücklicher Weise deutlich:

Die Worte der Jahreslosung wurden damals von einem Mann gesprochen, der in einer verzweifelten Situation war: Sein Sohn wurde immer wieder von unerklärlichen Anfällen gepackt, die regelmäßig in lebensgefährlichen Situationen endeten. So viel hatte er schon versucht – aber nichts, gar nichts hatte seinem Sohn geholfen. Und nun hatte sich der Vater in seiner Verzweiflung an die Jünger Jesu gewendet, die unten am Fuß des Berges warteten, während Jesus mit dreien der Jünger nach oben stieg und dort verklärt wurde. Doch Jesu Jünger hatten bei dem Versuch, diesen Jungen zu heilen, kläglich versagt. Wieder hatte sich die Hoffnung des Vaters zerschlagen, wieder war er der Verzweiflung ein Stück nähergekommen. Und in dieser Verzweiflung wendet sich der Vater nun an Jesus selbst nach dessen Rückkehr vom Berg: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ „Wenn du etwas kannst“ – Das klingt in unseren Ohren ein wenig respektlos: Wie kann man die Vollmacht Jesu so in Frage stellen? Doch aus der verzweifelten Situation des Vaters heraus wird diese Formulierung verständlich: Er will Jesus geradezu provozieren, nun endlich etwas für seinen Sohn zu tun – wenn nicht er, wer denn sonst noch?

Und Jesus – der antwortet darauf mit einer erstaunlichen Feststellung: Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Aus dem Zusammenhang betrachtet kann sich dieser Satz zunächst einmal nur auf ihn, Jesus, beziehen: Warum stellst du in Zweifel, dass ich helfen kann? Weil ich glaube, weil ich in einer vollkommen ungestörten Beziehung zu Gott, meinem Vater, lebe, ist mir alles möglich, ja, natürlich auch dies, dass ich deinen Sohn heile.

Doch damit ist nun gleichsam von selbst der Glaube des Vaters herausgefordert: Ist er dazu bereit, kann er das überhaupt: ihm, Jesus, zu glauben, ihm eben dies zuzutrauen? Und so schreit der Vater unter Tränen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Beides gehört zusammen: Der Glaube, den die Worte Jesu bei dem Vater hervorrufen – und die eigene Unfähigkeit zum Glauben, der eigene Unglaube, der genau das nicht vermag, was die Worte Jesu vermögen.

Und das gilt eben nicht nur für den Vater damals, das gilt genauso auch für uns heute: Wenn wir über unseren eigenen Glauben sprechen, dann können wir dies eben immer wieder nur so tun, dass wir diesen Satz des Vaters nachsprechen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Ja, wir erleben das Wunder immer wieder hier in unserer Gemeinde und auch an uns selber, dass Menschen, dass auch wir selber allen Ernstes sagen: „Ja, ich glaube.“ Ich glaube nicht bloß allgemein daran, dass es Gott gibt. Sondern ich glaube ganz konkret an Jesus Christus, ich vertraue ihm, dass er zu tun vermag, was mir vollkommen unmöglich ist, dass er mich mit Gott verbinden, ja in den Himmel bringen kann, dass er das nicht nur kann, sondern tatsächlich tut. Doch wenn wir dies sagen, müssen wir immer gleich dazu sagen: Wir selber können doch überhaupt nicht glauben. Wir sind überhaupt nicht dazu in der Lage, solch ein Bekenntnis zu Jesus Christus zu sprechen, denn in uns selber befindet sich nichts anderes als Unglaube, als die völlige Unfähigkeit, sich Jesus Christus zuzuwenden und zu ihm Vertrauen zu fassen. Glaube ist niemals eine Fähigkeit des Menschen, und er ist erst recht nicht das Ergebnis einer Entscheidung eines Menschen. Sondern Glaube ist im christlichen Verständnis immer nur das Ergebnis der Anrede Jesu in seinem Wort, in seinem schöpferischen Wort, das die Kraft hat, Glauben aus dem Nichts zu wirken.

Wenn du also in dich hineinhörst und versuchst, herauszufinden, wie stark dein Glaube ist, dann wirst du auf Erschreckendes stoßen – nämlich auf ein Nichts, besser noch gesagt: auf einen starken Widerstand gegen das Vertrauen auf Christus. Du kannst nicht glauben und wirst niemals glauben können, ganz klar. Aber eben darum sollst du auch nicht in dich hineinhören, sollst nicht versuchen, deinen eigenen geistlichen Puls zu messen, um deine eigene Glaubensstärke oder Glaubenstiefe zu bestimmen. Setze dich stattdessen immer wieder dem Wort Christi aus, schrei ihm deine Not ins Gesicht – und lass ihn dann antworten in seinem Wort. Ja, dieses Wort wird auch in dir immer wieder den Glauben wirken, den du selbst nicht zu wirken vermagst, wird dich sagen lassen, was du doch eigentlich gar nicht kannst: Ja, ich glaube. Nein, aus dieser Spannung wirst du dein Leben lang nicht herauskommen, wirst niemals hier auf Erden an einen Punkt kommen, an dem du nicht mehr zu sagen brauchst: Hilf meinem Unglauben! Dein Glaube hängt immer einhundertprozentig an Christus, an seinem Wort, niemals auch nur zu einem Prozent an dir selber. Und eben darum hör auf, deinen eigenen Glauben zu untersuchen – schau einfach nur auf Christus, auf das, was er für dich getan hat, was er dir schenkt. Das reicht, das ist allemal genug, um in den Himmel zu kommen.

Und von daher wird nun auch noch einmal so besonders deutlich, wie absurd die Arbeit des deutschen Glaubensvermessungsinstituts ist: Glauben lässt sich nicht in der sterilen Atmosphäre einer Anhörung oder einer Gerichtsverhandlung vermessen. Abgesehen davon, dass das sowieso überhaupt unmöglich ist, erweist sich der Glaube als Glaube gerade da, wo er durch gegenteilige Erfahrungen grundlegend in Frage gestellt und herausgefordert wird: Da kommt es dann immer wieder zu dem Schrei: Ja, ich glaube, hilf meinem Unglauben. Schreien ist bei Anhörungen des Glaubensvermessungsinstituts oder bei Gerichtsverhandlungen eher nicht vorgesehen. Da soll alles ruhig und gesittet vor sich gehen. Aber so lässt sich über die Kraft des Glaubens überhaupt nicht richtig sprechen.

Und ebenso ist es absurd, wenn Menschen über die Stärke ihres eigenen Glaubens sprechen sollen, ankündigen sollen, als wie stark sich ihr Glaube in der Zukunft erweisen wird, wenn sie wieder in ihre muslimische Heimat zurückgeschickt werden und dort unter Todesgefahr ihren Glauben bewähren sollen. Ein Glaube, den man den Anhörern oder den Richtern als eigenen Besitz vorzuführen vermag, ist kein Glaube. Sondern wahrer Glaube schreit immer: Hilf meinem Unglauben! – und trägt damit gleichsam von selbst die Ablehnung durch deutsche Behörden in sich. Der Vater hier in unserer Geschichte, der die Worte der Jahreslosung laut herausschreit, hätte jedenfalls wohl keinerlei Chance, als ernsthaft Glaubender von deutschen Behörden anerkannt zu werden.

Jesus sieht die Dinge jedoch ganz anders: Auf den Schrei des Vaters hin heilt er seinen Sohn, vollbringt die Tat, die nur ihm, Christus, selber und sonst niemandem sonst möglich ist. Christus macht nicht großen, starken Glauben zur Voraussetzung für seine Hilfe, für seine Rettung. Der Hilfeschrei an ihn, Christus, angesichts des eigenen Unglaubens – der reicht ihm, um einzugreifen. Dieser Schrei zu Christus, der nichts von sich selber und alles von ihm erwartet, das allein ist die biblische Gestalt des Glaubens, die sich so ganz und gar von den abstrusen Vorstellungen über christlichen Glauben in den Hirnen deutscher Behördenvertreter unterscheidet.

Ja, angesichts dessen, was so viele von uns im vergangenen Jahr mit dem Glaubensvermessungsinstitut erlebt haben, unterscheidet sich die Lage vieler von uns gar nicht so sehr von der verzweifelten Lage des Vaters damals: Wir schreien zu Christus, weil wir keinen anderen Helfer und Retter haben, schreien zu ihm, dass er die bösen Geister vertreiben möge, die uns heute hier in Deutschland nicht weniger zu schaffen machen als dem Jungen damals in unserer Geschichte. Ja, Christus wird unseren Glauben auch in diesem kommenden Jahr wohl gewaltig herausfordern. Halten wir uns trotzdem und gerade darin ganz an ihn: Er wird den Glauben wirken, den wir nicht haben können, den Glauben, für den so viele in unserem Land nur Hohn und Spott übrighaben – und der uns eben doch in den Himmel bringt. Ja, ich glaube – hilf meinem Unglauben! Amen.

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