St. Matthäus 20,1-16 | Septuagesimae | Pfr. Dr. Martens
Ist Gott ein Kommunist? Diesen Eindruck kann man nach der Lektüre des heutigen Evangeliums durchaus gewinnen: Was der Besitzer des Weinbergs da macht, geht ja weit über jegliche Forderungen hinaus, die selbst die Gewerkschaften in unserem Land erheben würden. Mindestlohn und Respektrente – diese Forderungen sollen ja nicht eine unterschiedliche Bezahlung von Menschen je nach ihrer Leistung aufheben, im Gegenteil: Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bedeutet ja zugleich auch, dass das Leistungsprinzip berücksichtigt werden soll. Doch der Besitzer des Weinbergs in dem Gleichnis, das Jesus uns hier erzählt, geht viel weiter: Gleiche Bezahlung für alle, ganz egal, wie kurz oder wie lange sie gearbeitet haben. Völlige Aufhebung des Leistungsgedankens. Jeder bekommt am Ende dasselbe.
Wir mögen geneigt sein, diesem Weinbergsbesitzer doch ein paar Erfahrungen aus der Geschichte mit auf den Weg zu geben: Diesen Coup mit der Lohnverteilung, den kannst du dir wirklich auch nur einmal leisten. Am nächsten Tag wirst du morgens um 6 Uhr keinen mehr auf dem Marktplatz finden, der für dich arbeitet. Du kannst froh sein, wenn die ersten Arbeiter sich um 15 Uhr dort einfinden werden, und die meisten werden eben erst um 17 Uhr kommen, wenn am Ende doch jeder dasselbe bekommt. Schau dir die Geschichte an: Das mit dem Kommunismus ist eine wirklich schöne Idee, die nur einen Haken hat: Sie funktioniert nicht in der Realität, weil die Menschen eben nicht so edel und gut sind, sondern am Ende doch nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Und sie lassen sich eben auch nicht zu guten Menschen umerziehen. Schau dir einmal die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts an, dann wirst du schnell wieder zu einer leistungsgerechten Bezahlung übergehen, wirst verstehen, warum der Kapitalismus besser funktioniert: Eben weil der Kapitalismus davon ausgeht, dass der Mensch in seinem Wesen böse und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Recht hat er in diesem Punkt.
Nun geht es Jesus in diesem Gleichnis nicht darum, eine neue utopische Gesellschaftsordnung aufzurichten, und er will hier auch nicht den Gewerkschaften Tipps für ihre nächsten Tarifverhandlungen geben. Vielmehr will er uns in diesem Gleichnis die Augen dafür öffnen, wer und wie wir Menschen sind – und wer und wie Gott ist. Und da gibt es tatsächlich jede Menge zu staunen:
Die Ausgangssituation, die Jesus hier in diesem Gleichnis beschreibt, dürfte für jeden Gewerkschafter den absoluten Horror darstellen, war aber damals zur Zeit Jesu traurige Realität:
Da gab es keine Tarifverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, keine langfristigen Beschäftigungsverhältnisse inklusive Sozialversicherung, sondern Arbeiter wurden immer wieder tageweise eingestellt. Sie waren auf das Wohlwollen von Arbeitgebern angewiesen, die ihnen jeweils für einen Tag einen Job gaben und, wenn sie denn anständig waren, den Arbeitern am Ende ihres 12-Stunden-Arbeitstags einen Dinar auszahlten. Mit einem Dinar konnte ein Arbeiter sich und seine Familie für einen Tag ernähren. Der eine Dinar stand also gleichsam als Symbol für das Leben des nächsten Tages. Und so fragten die Arbeiter jeden Tag neu: Würde sich ein Arbeitgeber finden, der mit seinem Arbeitsangebot diese Überlebensmöglichkeit schenkt oder nicht?
Mit seinem Gleichnis macht Jesus uns dies zunächst sehr deutlich: Genau so sieht unsere Position als Menschen gegenüber Gott aus: Tagelöhner sind wir – ganz und gar darauf angewiesen, dass Gott uns nimmt. Wir haben kein Recht darauf, von Gott genommen zu werden, und wir sollen erst recht nicht denken, dass wir ja so gute und anständige Leute sind, dass der liebe Gott doch eigentlich von Herzen froh sein müsste, sich mit einer solch guten Gesellschaft wie uns im Himmel zu umgeben. Nein, mit ganz leeren Händen stehen wir vor Gott; alles hängt an seiner Entscheidung, an seiner Gnade – nichts hängt an uns.
Doch genau das verstehen wir Menschen überhaupt nicht, so macht es uns Jesus im weiteren Verlauf des Gleichnisses deutlich: Da erleben diejenigen Arbeiter, die den ganzen Tag im Weinberg ihres Herrn gearbeitet haben, dass der Besitzer des Weinbergs auch denen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, den Lohn gibt, den sie brauchen, um mit ihrer Familie den nächsten Tag zu überleben. Und was machen diese Arbeiter? Sie sind nur noch darauf bedacht, sich mit den anderen zu vergleichen, statt dass sie sich darüber freuen, dass ihr Arbeitgeber sein Wort gehalten hat und ihnen gegeben hat, was er ihnen versprochen hatte. Ja, so sind wir Menschen: Wir schauen nicht auf Gottes Treue und Zusage, auf seine Gaben, sondern vergleichen uns lieber mit anderen Menschen, halten uns für besser als sie und verlangen von Gott, dass er uns besser behandelt als andere, dass er uns besser beurteilt als andere. Kennst du das auch von dir selber? Ist dir dieser Gedanke auch schon mal durch den Kopf gegangen? Also im Vergleich zu anderen bin ich doch auf jeden Fall ein besserer Christ; ich habe es eigentlich doch eher verdient, in den Himmel zu kommen als dieser und jener andere, der doch ganz offenkundig nur ein Heuchler ist und es mit seinem Glauben doch gar nicht ernst meint! Hast du das auch schon in deinem Leben erfahren, dass der Blick auf andere Christen, mit denen du dich verglichen hast, dir den Blick auf Christus und seine Gaben verstellt hat und dir seine Gaben gar nicht mehr so groß vorkamen?
Doch Christus will uns in diesem Gleichnis nicht nur zeigen, wer und wie wir Menschen sind, er will uns vor allem zeigen, wer und wie Gott ist:
Das geht schon damit los, dass Jesus hier Gott mit einem Weinbergsbesitzer vergleicht, der hinter den Leuten herläuft, um sie für sich zu gewinnen. Eigentlich hätten ja die Tagelöhner dem Besitzer die Bude einrennen müssen und ihn bitten müssen, dass er sie einstellt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Weinbergsbesitzer geht zu den Menschen, wirbt sie an, schließt mit ihnen eine Vereinbarung, die ihr Leben sichert. So ist Gott: Er wartet nicht darauf, dass wir zu ihm kommen, dass wir uns für ihn entscheiden. Sondern er geht zu uns hin, die wir auf ihn angewiesen sind, und schließt mit uns seinen Bund, ganz einseitig, so, dass wir gar nicht anders können, als dem zu folgen, was er uns sagt.
Und wie sehr es diesem Weinbergsbesitzer eigentlich gar nicht um einen möglichst hohen Ertrag in seinem Weinberg geht, sondern um die Arbeiter und ihr Leben, wird daran deutlich, dass er sich nicht mit den ersten Arbeitern, die gleich morgens anfangen, zufriedengibt. Immer und immer wieder geht er los und holt sich die nächsten, selbst noch nachmittags um 17 Uhr, kurz vor Arbeitsschluss. Ökonomisch eigentlich vollkommen sinnlos. Aber der Besitzer des Weinbergs möchte nicht, dass jemand am Ende des Tages mit leeren Händen dasteht, nichts für das Leben am nächsten Tag hat. Ja, so ist Gott: Er will nicht, dass irgendjemand ohne das Leben bleibt, das er allen geben will. Er gibt nicht auf, holt immer wieder die nächsten Leute in seinen Weinberg.
Interessant ist allerdings, dass er den Arbeitern, die er im Laufe des Tages anwirbt, Unterschiedliches zusagt: Den ersten verspricht er ganz klar und deutlich den einen Dinar. Den nächsten verspricht er nur noch, dass er ihnen geben will, was recht ist. Und den letzten verspricht er gar nichts mehr, fordert sie nur noch auf, in den Weinberg zu gehen. Die Arbeiter, die nicht gleich zu Anfang in den Weinberg gegangen sind, arbeiteten also den ganzen Tag ohne eine feste Zusage des Besitzers, dass sie am Ende des Tages tatsächlich so viel bekommen würden, dass es zum Leben reicht. Sie waren in ihrer Arbeit die ganze Zeit angewiesen darauf, dem Weinbergbesitzer zu vertrauen, dass er ihnen mehr gibt, als sie verdient haben.
Ja, so ist Gott: Er holt Menschen, die er eigentlich gar nicht braucht, in seine Gemeinschaft und gibt ihnen dann noch viel mehr, als er ihnen versprochen hat und als was sie erwarten konnten: Das ganze Leben, nicht nur einen Teil davon.
Was für ein wunderbarer Gott, den uns Jesus hier in diesem Gleichnis vor Augen stellt. Und damit richtet er nun zugleich die Frage an uns: Kannst du dich darüber freuen, dass Gott so viele Menschen neben dir in seine Kirche, in seinen Weinberg, gerufen hat und immer noch ruft? Kannst du dich darüber freuen, dass Gott hier in seiner Kirche unterschiedslos allen Menschen Leben schenkt, Leben nicht bloß für einen Tag, sondern ewiges Leben? Kannst du dich darüber freuen, dass Gott seine Gaben nicht davon abhängig macht, ob ein Mensch besonders viel in seinem Leben oder auch in der Kirche geleistet hat? Kannst du dich so sehr über Gottes Gaben freuen, dass du darüber glatt vergisst, dich mit anderen Menschen zu vergleichen? Kannst du dich so sehr über Gottes Gaben freuen, dass du gar nicht mehr auf die Idee kommst, dass deine Arbeit im Weinberg Gottes, in der Kirche, irgendetwas mit einer Belohnung zu tun haben könnte? Ja, ist dir eigentlich klar, dass wir alle miteinander, die wir hier sitzen, 17 Uhr-Menschen sind, Menschen, auf die Gott noch gewartet hat, dass er sie noch bei sich hereinholt, bevor er dieser Welt endgültig ein Ende setzen wird?
Und dann komme gleich wieder hierher nach vorne. Nein, du musst dich nicht vordrängeln, alle bekommen dasselbe, erste und letzte! Ja, komme gleich nach vorne und empfange, was dein Herr für dich vorgesehen hat: nicht weniger als den Leib und das Blut deines Herrn und damit die Medizin des ewigen Lebens, ja das ewige Leben ganz und gar, ungeteilt, nicht gestückelt! Ja, hole dir diesen Lohn ab und staune darüber, dass du bekommen hast, was du überhaupt nicht verdient hast, sondern was ein anderer für dich verdient hat, dein Herr Jesus Christus!
Und dann wirst du dir überhaupt keine Gedanken mehr darüber machen, ob die Arbeit im Weinberg Gottes zu viel und zu anstrengend sein könnte, wirst dich einfach nur noch darüber freuen, dass dein Herr dich gerufen hat, dass er dir unendlich mehr gibt, als du jemals erarbeiten könntest. Nein, unter den Gesetzen dieser Welt funktioniert das nicht. Aber bei Christus, in seinem Reich, geht das in der Tat. Kommunistische Regime gehen früher oder später immer pleite, weil man auf Dauer nicht auf Kosten anderer leben kann. Doch wir haben einen unendlich reichen Herrn, der es sich leisten kann, uns alle miteinander so reich zu beschenken, ohne dabei selber arm zu werden. Und dieser Herr, der hat uns in seinen Weinberg gerufen. Ach, was haben wir als Christen für einen wunderbaren Arbeitsplatz! Amen.