St. Matthäus 21,1-11 | Erster Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens
Vor einigen Tagen war die Botschaft in allen Zeitungen zu lesen: Die Bundesregierung hat für die Errichtung des „House of One“ hier in Berlin zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das House of One ist eine Initiative der evangelischen Kirche sowie von jüdischen und muslimischen Organisationen: Unter dem Dach eines Gebäudes sollen eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee entstehen – als ein gemeinsames Bet- und Lehrhaus, wie es heißt. House of One – der Name macht schon deutlich, von was für Voraussetzungen man bei der Errichtung dieses Gebäudes ausgeht: Es ist der eine Gott, an den Christen, Juden und Muslime gemeinsam, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen glauben – aber letztlich wollen doch alle drei Religionen dasselbe.
Ja, das klingt so schön und anrührend, dass sich nicht nur die Bundesregierung dieses Projekt zu eigen macht, sondern dass es auch vom Deutschen Theater Berlin, von der Dussmann Group, ja sogar vom Wirtschaftsrat des 1.FC Union Berlin unterstützt wird. Doch während bei den Organisatoren des House of One noch die Sektgläser klingeln, werden sie an diesem Ersten Sonntag im Advent ganz gewaltig gestört von einem Mann, der auf einem Esel dahergeritten kommt und damit eine Frage provoziert, die das ganze Konzept des House of One grundlegend durcheinanderzubringen vermag: „Wer ist der?“
„Wer ist der?“ Ja, ich bin froh, dass in der neuen Ordnung der Predigttexte des Kirchenjahres, die in vielen Kirchen, auch in unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, mit dem Beginn dieses neuen Kirchenjahres eingeführt wird, ich bin froh, dass in dieser neuen Ordnung der Predigttexte das alte Evangelium aus Matthäus 21 um zwei Verse erweitert worden ist. Nun gehört auch die Reaktion der Einwohner Jerusalems auf den Einzug dieses Mannes auf dem Esel mit zur Predigtlesung, wie gut! Denn sie stellen genau diese eine Frage, die die wichtigste Frage unseres christlichen Glaubens überhaupt ist, die Frage, mit deren Beantwortung unser christlicher Glauben steht und fällt: Wer ist der? Wer ist dieser Jesus, der da auf dem Esel mitsamt dem Begleittier in Jerusalem Einzug hält? Um diese Frage dürfen wir uns nie irgendwie herummogeln mit dem Verweis darauf, was wir doch für schöne gemeinsame Erfahrungen oder Traditionen in den verschiedenen Religionen haben. Das Bekenntnis zu dem Einen Gott und das Bekenntnis zu diesem Jesus, sie lassen sich niemals voneinander trennen!
Wer ist der? Darauf müssen wir als Christen klar und eindeutig Antwort geben können – und genau dazu will uns auch das Heilige Evangelium dieses Sonntags helfen. Es gibt uns gleich drei Antworten:
- Er ist der Herr.
- Er ist sanftmütig.
- Er ist mehr als ein Prophet.
I.
Schwestern und Brüder: Jesus war kein Hippie. Er war nicht einfach nur ein netter Alternativer, der sich auf einem umweltfreundlichen Fortbewegungsmittel zu einer Party nach Jerusalem begab und dabei jede Menge gute Laune verbreitete. Sondern wenn wir uns das Heilige Evangelium dieses Sonntags genauer durchlesen, merken wir schnell: Hier ist von einem Herrscher, von einem Herrn die Rede, der sehr wohl darum weiß, dass er nicht weniger als ein König ist.
Und so hören wir hier, wie Jesus seine Jünger in das nächste Dorf schickt und dort gleich zwei Esel konfiszieren lässt, wie es Herrscher damals taten. Da gibt es keine Diskussion, noch nicht einmal eine Ausleihbitte, sondern es reicht das Argument: „Der Herr bedarf ihrer.“ Wenn der König etwas braucht, dann sind weitere Verhandlungen überflüssig. Und so werden die Esel zu Jesus gebracht, und er setzt sich auf einen von ihnen. Wenn ein König damals auf einem Reittier ritt, dann wurde immer auch gleich ein Ersatztier mitgeführt für den Fall, dass das Reittier irgendwie schlapp machen sollte. Und genauso handelt Jesus hier auch. Als er sich auf den Esel setzt, weiß er natürlich, dass auch Salomo im Alten Testament auf solch einem Tier zu seiner Königssalbung geritten ist. Und das Volk, das am Wegesrand steht, versteht das auch sogleich, begrüßt ihn als den neuen Salomo, den Sohn Davids, begrüßt ihn als den König, der in seiner Stadt Einzug hält, begrüßt ihn mit dem Gruß, mit dem auch sonst Königen bei ihrem Einzug gehuldigt wurde: Hosianna, hilf doch! Ja, du bist unser Helfer und Retter!
Ja, wer ist der, der da in Jerusalem einzieht? Er ist der Herr, er ist König, einer, gegenüber dem man sich nicht neutral verhalten kann, der uns vor die Entscheidung stellt, ob wir seinem Wort folgen, ob wir seinen Anspruch über uns anerkennen – oder ob wir ihn ablehnen. Um diese Entscheidung kann sich niemand herummogeln – niemand hier in der Kirche, niemand auf den unzeitigen Weihnachtsmärkten dieser Stadt, und auch niemand im House of One.
II.
Doch dieser König ist zugleich auch wieder ganz, ganz anders, als wir uns ansonsten Herrscher vorstellen. Ja, er erwartet Gehorsam, gewiss. Und doch übt er keinen Zwang aus, erst recht keine Gewalt. Sanftmütig ist dieser König, so betont es St. Matthäus mit einem Zitat aus dem Propheten Sacharja. Und eben auch dafür steht der Esel, auf dem Jesus einreitet: Mit einem Esel kann man keinen Krieg führen. Der König, der da einreitet, ist ein König des Friedens. Es ist kein Zufall, dass Mohammad auf einem Pferd geritten ist und Jesus auf einem Esel.
Wer ist der? Dahinter steht natürlich auch die Frage nach der Botschaft, die der, nach dem da gefragt wird, mit sich bringt. Undenkbar ist in dem Munde dieses Königs auf seinem Esel der Ruf: „Tötet die Ungläubigen, wo auch immer ihr sie findet!“ Und wo Christen im Verlaufe der Geschichte eben dies doch getan haben, haben sie sich eben damit in aller Deutlichkeit losgesagt von diesem König, der auf seinem Esel in Jerusalem eingeritten ist. Dieser König bekehrt keinen mit Gewalt zu sich, dieser König begehrt auch keinerlei politische Macht. Er weiß, dass sein Königsthron ganz anders aussehen wird, als es sich auch all diejenigen vorstellen, die vor ihm jetzt bei seinem Einzug noch Kleider auf dem Weg ausbreiten. Er weiß, dass sein Machtmittel ein ganz anderes ist als das Machtmittel aller anderen Herrscher dieser Welt: Er weiß, dass er mit einem viel stärkeren Machtmittel regiert: mit der Macht seiner Liebe.
Wer ist der? Lassen wir uns von der Sanftmut dieses Königs auch im Umgang mit Menschen leiten, die einen anderen Glauben haben als wir! Aber sprechen wir eben diese Menschen dann auch ganz direkt auf dieses Thema an, wie es mit dem Verhältnis ihres Glaubens zu Zwang und Gewalt aussieht, ob sie sich von dem Wort eines Menschen leiten lassen, der selber offen zu Gewalt aufgerufen hat, oder nicht.
III.
Das Volk gibt hier in unserer Predigtlesung eine eigene Antwort auf die Frage: „Wer ist das?“ es sagte: „Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.“ Jesus – der Prophet. Das ist eine Formulierung voller Respekt, eine Formulierung, in der vielleicht auch die Erinnerung an die Ankündigung des Mose mitschwingt: „Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen.“ Doch so sehr Jesus mit dieser Aussage auch verehrt und geehrt wird – sie greift eben doch viel zu kurz: Jesus, der Prophet: Darauf könnte sich das Volk in Jerusalem mit den Muslimen einigen, die Isa ebenfalls als Propheten verehren. Doch Jesus gibt auf diese Erwartung des Volkes seine eigene Antwort: Im Anschluss an seinen Einzug in Jerusalem begibt er sich unmittelbar in den Tempel und wirft dort die Verkäufer und Händler heraus, begründet dies mit einem Wort aus dem Alten Testament: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen.“ Mein Haus – da spricht Gott selber, und diese Worte Gottes bezieht Jesus hier auf sich. Und für die, die es immer noch nicht verstanden haben, hat Jesus anschließend noch ein weiteres Wort Gottes parat: Als die Kinder im Tempel immer noch nicht aufhören, die Worte des Volkes bei seinem Einzug zu rufen: „Hosianna dem Sohn Davids!“ – Da antwortet Jesus: „Habt ihr nie gelesen: Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du, Gott, dir Lob bereitet?“ Der Jubel der Kinder – er ist Lob Gottes, Lob des Gottes, der gerade in seinem Haus eingezogen ist.
Ja, erst da verstehen wir den Einzug Jesu richtig, wenn wir nicht bei dem Bekenntnis des Volkes stehen bleiben, sondern in Jesus den erkennen, der er in Wirklichkeit ist: The One, der Eine Gott, der zugleich aus keinem anderen Grund in seine Stadt Jerusalem gezogen ist, als aus Liebe für uns am Kreuz zu sterben.
Wer ist der? Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott – und zugleich das Lamm Gottes, der, der am Kreuz schreit: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Nein, wir kommen auch im Gespräch mit Vertretern anderer Religionen nicht weiter, wenn wir einfach nur unsere persönlichen Vorstellungen von Gott oder auch von Jesus austauschen und uns schließlich darauf einigen, dass Jesus doch auf jeden Fall eine sehr bedeutende religiöse Persönlichkeit, ja, vielleicht gar ein Prophet war. Sondern wir kommen nur weiter, wenn wir offen aussprechen, was auch Martin Luther in seinem Lied so deutlich formuliert hat: „Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der HERR Zebaoth – und ist kein anderer Gott!“ Es gibt keinen anderen Gott außer Jesus Christus. Und wer diesen Gott nicht bekennt, der für uns am Kreuz gestorben ist, der sagt sich von dem einen Gott los. Das ist der Anspruch, den Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem erhebt.
Darum und um nicht weniger geht es auch jetzt in dieser Adventszeit: Dass wir uns diesem Anspruch unseres Herrn stellen, dass wir die Worte des Alten Testaments wieder neu so zu verstehen lernen, dass sie auf diesen einen Herrn verweisen, wie uns St. Matthäus hier anleitet. Darum geht es in der Adventszeit, dass wir unseren Blick gerade nicht auf all das Brimborium lenken lassen, das die Botschaft der Adventszeit längst überlagert und verdeckt hat, sondern uns wieder neu ganz auf den konzentrieren, dessen Ankunft doch das eigentliche Thema dieser Zeit ist. Und wie könnten wir das besser machen, als dass wir uns immer wieder neu einreihen in die Schar derer, die Jesus zujubeln, wenn er auch hier in unserer Mitte leibhaftig Einzug hält auf dem Esel von Brot und Wein mit seinem Leib und Blut! Ja, Hosianna, so werden auch wir es gleich wieder singen, werden ihn damit begrüßen und ihm huldigen, ihm, der unendlich mehr ist als bloß ein Prophet, ihm, der unser König ist, ja, mehr noch: unser Herr und Gott – und eben so unser Helfer und Retter. Ja, genau das ist er! Amen.