St. Matthäus 22,15-22 | 23. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Wie kann man hier in Deutschland zurzeit am einfachsten eine Massenschlägerei anzetteln? Man muss einfach nur in eine etwas größere Menschenmenge das Wort „Flüchtling“ rufen – und schon kochen die Emotionen hoch. Da rufen die einen: Flüchtlinge sind alle Verbrecher und Kriminelle, sie vergewaltigen unsere Frauen, schlagen uns zusammen und bringen unser Land an den Rand des finanziellen Ruins. Ja, Flüchtlinge sind für alle Probleme verantwortlich, die wir hier in unserem Land haben, inklusive des schlechten Wetters und eingewachsener Fußnägel. Man sollte sie alle wieder aus dem Lande herauswerfen, ja, am besten gleich alle erschießen! Und da rufen die anderen: Flüchtlinge sind alles nur gute Menschen, und wenn sie etwas scheinbar falsch machen, dann liegt das nur daran, dass wir sie zuvor schlecht behandelt haben. Wer behauptet, dass Flüchtlinge auch kriminell auffallen könnten, ist ein Nazi, und wenn viele Flüchtlinge verlangen, dass wir uns hier in Deutschland nach den Regeln des Islam richten, dann müssen wir das natürlich den Flüchtlingen zuliebe tun! Und zehn Minuten später geht die Massenschlägerei los. Und wenn dann ein Vertreter der christlichen Kirchen es wagen sollte, dieses brisante Thema „Flüchtlinge“ anzusprechen, dann gerät auch er oder sie dabei unweigerlich irgendwie zwischen diese Fronten, wird entweder als Gutmensch beschimpft oder sofort als AfD-Anhänger, ja als Rechtsradikaler identifiziert. Das habe ich alles auch schon erlebt: Dass mir unterstellt wurde, dass ich wohl mit den Rechtsradikalen kooperiere, wenn ich von Übergriffen von radikalen Muslimen auf christliche Asylbewerber in den Asylbewerberheimen berichtete – und dass ich auf der anderen Seite als Linksradikaler beschimpft wurde, wenn ich es wagte, davon zu erzählen, wie mit Gliedern unserer Gemeinde vonseiten deutscher Behörden umgegangen wird.

Eine ganz ähnliche Situation wird uns auch im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags geschildert: Damals erregte nicht zuerst und vor allem das Thema „Flüchtlinge“ die Gemüter – da erinnerte man sich immer noch ganz gut, was Gott im Alten Testament zum Umgang mit den Fremdlingen gesagt hatte. So gottlos wie heute ging es damals noch nicht zu. Aber dafür gab es einen anderen Aufreger: Es ging um die Frage des Verhältnisses des Volkes Israel zur römischen Besatzungsmacht: Sollte man sie akzeptieren und mit ihr vielleicht sogar kooperieren – oder sollte man diese gottlosen Besatzer bekämpfen, vielleicht gar mit Waffengewalt? Für beide Auffassungen gab es in Israel Anhänger – und jeder warf der anderen Seite Verrat an der Sache, ja Verrat an der Religion vor. Von daher war dies ein hochwillkommenes Thema für die Gegner Jesu, um ihm damit eine Falle zu stellen: Man musste ihn einfach nur in diesen Konflikt zwischen den beiden Gruppen in Israel hineinziehen – und wie auch immer er sich positionierte, würde er deswegen beschimpft und als Gegner der einen oder der anderen Gruppe hingestellt werden. Und um ihrem Plan Nachdruck zu verleihen, stellen sie eine Delegation zusammen, die sowohl aus Vertretern der einen wie auch der anderen Position bestand. Die würden, so hofften sie, es ja wohl schaffen, Jesus so richtig hereinzureißen, dass er am Ende so richtig demontiert dastehen würde, eben als Vertreter einer bestimmten Interessensgruppe, auf den sich die andere Seite dann umso mehr einschießen konnte.

Ja, vergiftet ist die Frage, die die Vertreter dieser Delegation an Jesus richten – und Jesus erkennt dies auch sofort, bezeichnet die, die durch ihn angeblich einfach nur ihr spirituelles Wissen erweitern wollten, als Heuchler, eben weil es diesen Leuten in Wirklichkeit ja gar nicht darum geht, von Jesus belehrt zu werden, sondern weil sie ihm einfach nur eine Falle stellen wollten.

Ach, wie aktuell ist schon allein diese Einleitung der Geschichte: Auch heute werden die Kirchen ja immer wieder bedrängt, sich in die eine oder andere politische Richtung zu äußern, politisch zu der einen oder anderen Frage Stellung zu nehmen. Und wenn sie es denn tun, dann jubelt die eine Seite und fühlt sich wieder einmal selber bestätigt, während die andere Seite sich umso mehr über die Kirche aufregt und sich nun in ihren eigenen Vorurteilen ihr gegenüber bestätigt sieht. Nein, es sind heute allerdings nicht nur die Tricks der Gegner Jesu, die die Kirche dahin bringen wollen, sich selbst ins Abseits zu manövrieren. Es sind oft genug leider auch die Kirchen selber, die meinen, es sei ihre Aufgabe, sich von den Kanzeln parteipolitisch zu äußern, um so gesellschaftlich wahrgenommen zu werden. Dabei hätte das Beispiel Jesu sie eigentlich warnen können, sich genau in diese Falle nicht locken zu lassen. Jesus geht in dieser Frage schließlich auch ganz anders vor, als alle Beteiligten – die fromme Delegation und die Zuhörer – es sich zuvor erwartet hätten. Jesus lässt sich nicht von bestimmten Gruppen und Interessensverbänden vereinnahmen, sondern reagiert souverän, zeigt, dass er in der Tat den Weg Gottes recht lehrt und nicht einfach nur persönliche Ansichten zum Besten gibt. Ach, wenn sich Kirchenvertreter doch daran immer wieder ein Beispiel nehmen würden!

Die Frage, die die Delegation da an Jesus richtet, hat es ja in sich: Sie wollen von Jesus nicht einfach nur einige allgemeine schöne Worte zum Thema des Verhältnisses zum römischen Staat hören, sondern sie machen das Ganze an einem besonderen Aufreger-Thema fest, am Thema „Steuern“. Ja, mit diesem Thema kann man auch heute noch Menschen in unserem Land kräftig aufregen; Steuern werden immer als ungerecht empfunden, als Diebstahl des Staates an denen, die ohnehin nicht so viel Geld verdienen. Und so fragten schon damals die Vertreter der Delegation Jesus: „Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht?“

Und Jesus – der beginnt seine Antwort erst mal ganz praktisch: „Zeigt mir die Steuermünze!“ – so fordert er seine Zuhörer auf. Und siehe da, diejenigen, die das Thema „Steuern“ zum großen Aufregerthema machen wollten, rücken selber die Steuermünze, den Silbergroschen mit dem Bild des römischen Kaisers heraus. Sie ringen in Wirklichkeit gar nicht mehr mit der Frage, ob sie denn nun Steuern zahlen sollen, sondern sie machen es bereits ganz selbstverständlich.

Ja, Jesus zeigt uns hier als erstes, wie man Debatten erst einmal ent-ideologisieren kann, indem man einfach mal darauf guckt, was die Leute denn in Wirklichkeit tun. Könnte es sein, dass diejenigen, die Flüchtlinge in unserem Land nur als Bereicherung und niemals als Problem ansehen, ihre eigenen Kinder lieber auf eine Privatschule schicken, weil sie sonst in einer öffentlichen Schule in einer Klasse wären, in der kaum noch ein Kind Deutsch spricht? Könnte es sein, dass diejenigen, die mit lautem Getöse verlangen, die Flüchtlinge alle aus unserem Land wieder abzuschieben, bei genauerem Hinsehen doch auch selber eine ganze Reihe von Flüchtlingen kennen, bei denen sie natürlich eine Ausnahme machen würden? Ja, wie denn nun? Jesus holt die Leute hier erst einmal wieder herunter auf den Teppich, und wir tun gut daran, wenn auch wir immer wieder danach fragen, ob wir uns vielleicht auch in ideologische Kämpfe verwickeln, die am Ende mit unserer Lebenswirklichkeit kaum noch etwas zu tun haben.

Und dann gibt Jesus mit Verweis auf diese Steuermünze die entscheidende Antwort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Das ist eine Antwort, die auch genau hundert Jahre nach der Abdankung des letzten deutschen Kaisers auch unter anderen politischen und gesellschaftlichen Konstellationen nach wie vor ganz aktuell ist.

Die Antwort beinhaltet eine doppelte Zumutung:

Zumutung Nummer 1: Jawohl, dem römischen Kaiser, diesem Unterdrücker des jüdischen Volkes, diesem Verächter seiner Religion, diesem Ausbeuter und Diktator sollen Steuern gezahlt werden, Steuern, die sicher nicht sozial ausgewogen im römischen Reich eingesetzt wurden. Dass es eine staatliche Ordnung gibt, die von denen, die in ihr leben, geachtet wird, auch wenn ihnen so manche Entscheidungen und Vorgehensweisen nicht gefallen, ist für Jesus etwas Richtiges und Positives, etwas, wofür wir zutiefst dankbar sein sollten, auch wenn wir uns über so vieles, was die Vertreter dieser Ordnung auch heutzutage so alles produzieren, mitunter nur grün und schwarz ärgern können. Ja, auch ich ärgere mich gewaltig über so vieles, was in diesem Land geschieht und was von Vertretern unseres Staates, von Vertretern unserer Regierung verantwortet wird – aber dennoch weiß ich zugleich, wie dankbar wir sein können, in einem Staat zu leben, der mit seinen Bürgern doch noch einmal anders umgeht als die Regime im Iran oder in Afghanistan. Doch selbst für die Christen im Iran und in Afghanistan gilt der Satz unseres Herrn: Ja, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und so gilt er eben auch uns: Ja, wir sollen Steuern zahlen, weil wir damit den Staat in der Wahrnehmung seiner Aufgaben unterstützen, auch wenn dies mitunter sehr unvollkommen geschieht. Ja, wir sollen auch einem Staat Steuern zahlen, der durch seine Vertreter erklären lässt, dass die Glieder unserer Gemeinde Feinde der Bundesrepublik Deutschland seien. Wir sollen auch einem Staat Steuern zahlen, der keine Skrupel hat, Flüchtlinge auf dem Weg über Kettenabschiebungen in den Tod zu schicken. Ja, wir sollen einem Staat Steuern zahlen, der die Tötung von ungeborenen Kindern für straffrei erklärt und diese Tötung auf mancherlei Weise sogar noch unterstützt. Denn ohne diesen Staat könnten wir beispielsweise heute Morgen diesen Gottesdienst gar nicht feiern, weil wir gar nicht die Möglichkeit dazu hätten, uns selber zu schützen.

Aber auf die Zumutung Nr.1 lässt Jesus dann gleich die Zumutung Nr.2 folgen: Gebt Gott, was Gottes ist. Der Gehorsam gegenüber dem Staat hat immer wieder eine klare Grenze: Dort, wo von uns verlangt wird, gegen Gottes Gebot zu handeln, dort, wo von uns verlangt wird, dass wir aufhören, uns schützend vor die Schwächsten unserer Gesellschaft, uns schützend gerade auch vor geflüchtete Christen zu stellen, da müssen wir ganz klar mit dem Apostel Petrus sagen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Ja, Petrus hat damals gut aufgepasst, als Jesus diese Worte gesagt hat, die wir eben im Heiligen Evangelium gehört haben. Kein Staat kann und darf sich an die Stelle Gottes setzen, darf Gewissen von Menschen binden. Wenn der Staat christliche Brüder und Schwestern in den Tod schicken will, weil das nun mal Kollateralschäden bei der Durchsetzung seiner Politik sind, dann haben wir als Christen Gott zu geben, was Gottes ist, dürfen nicht zusehen, wenn vielleicht sogar noch im Anblick von aufgehängten Kreuzen das fünfte Gebot mit Füßen getreten wird.

Die Frage ist und bleibt natürlich immer: Wo ist die Grenze, woran können wir denn nun festmachen, was noch des Kaisers und was Gottes ist? Wir können diese Grenze immer wieder nur wahrnehmen, wenn wir unseren Blick und unser Gewissen stets aufs Neue schärfen lassen durch das Hören auf das Wort Gottes der Heiligen Schrift. Nur so können wir verhindern, dass wir unsere eigenen persönlichen Wünsche oder auch politischen Ansichten mit einem Mal zum Willen Gottes verklären. Dabei sollen wir genau umgekehrt dazu bereit sein, auch unsere feststehenden politischen und persönlichen Ansichten durch Gottes Wort in Frage stellen zu lassen und Gottes Wort nicht nur da zu hören, wo es uns zu unserer eigenen Selbstbestätigung dient.

Und da, wo wir Gott mehr gehorchen als den Menschen, wo wir Gott geben, was Gottes ist und damit dem Staat in seinen eigenen Ansprüchen widersprechen, da sollen wir dann allerdings auch dazu bereit sein, hierfür die Konsequenzen zu übernehmen, die sich daraus ergeben können, auch wenn diese Konsequenzen Strafen, Schikanen, Gefängnis, ja, vielleicht gar den Tod für uns bedeuten. Das Wort Jesu kann man nicht einfach mal leichtfertig nachplappern. Es fordert von uns in der Tat letzte Verbindlichkeit. Wir werden zwar immer wieder für den Staat und die Verantwortlichen in ihm beten, aber wir wissen genau, dass wir vom Staat keine christliche Politik erwarten können, am allerwenigsten von denen, die dieses Wort vielleicht sogar groß im Munde führen und ihre eigene Politik mit der Aufhängung von Kreuzen noch religiös zu überhöhen versuchen. Ja, wir beugen uns unter den Staat, solange er uns nicht dazu zwingt, gegen unser Gewissen zu handeln. Aber unser Herz wird niemals dem Kaiser, wird niemals einer politischen Partei oder einer Bundeskanzlerin gehören. Das gehört allein dem, der diese Worte im Heiligen Evangelium des heutigen Tages gesprochen hat – und der dann von demselben Staat, dem er das Steuerrecht zugebilligt hat, auf brutalste Weise hingerichtet worden ist. Gott geb’s, dass alle Kirchen in unserem Land miteinander dies niemals aus den Augen verlieren, was ihre eigentliche und letzte Aufgabe ist: Ihn, den gekreuzigten Christus. zu verkündigen, durch den allein wir gerettet werden. Von dem soll und darf uns niemand trennen – kein Kaiser und eben auch kein Bundesamt und kein Bundesinnenminister. Amen.

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