St. Matthäus 26,17-30 | Gründonnerstag | Pfr. Dr. Martens
Alarm ist angesagt, Alarm um das Heilige Abendmahl. Was noch vor kurzem unvorstellbar erschien, erweist sich immer mehr als Realität: Das Heilige Abendmahl verliert in immer mehr Kirchen seinen Platz, wird gestrichen, für überflüssig erklärt oder durch Ersatzrituale verdrängt. Geistliche Fehlentwicklungen in der Kirche, sie wurden nun in der Corona-Krise mit einem Mal in einer Weise offenbar, wie man das sich vorher kaum hatte vorstellen können:
Als das Corona-Virus letztes Jahr zu seinem Siegeszug rund um den Erdball ansetzte und die Altäre der Kirchen am Heiligen Gründonnerstag in so vielen Ländern dieser Welt leer blieben, da setzte bald darauf eine Diskussion in den Kirchen ein: Wie soll es denn nun weitergehen, wenn die Kirchen wieder geöffnet werden? Ist das Heilige Abendmahl in diesen gefährlichen Zeiten nicht ein viel zu großes Risiko, ja, ist es denn so wichtig, dass man darauf nicht doch auch ganz gut für eine Weile oder vielleicht auch überhaupt verzichten kann, vom gemeinsamen Trinken aus dem einen Kelch ganz zu schweigen?
Ja, genauso ist es dann in der Tat gekommen: In vielen Kirchen wurde die Feier des Heiligen Abendmahls über viele Monate hinweg oder noch länger vollkommen ausgesetzt. Nicht nur manche evangelische Landeskirche wurde zu einer weithin sakramentsfreien Zone, selbst römisch-katholische Bischöfe erklärten ganz offen, man könne doch ganz gut auch mal über viele Monate hinweg auf den Empfang des Sakraments verzichten. Man könne ja immer noch das Wort Gottes hören. Was für Signale wurden da an die Gemeindeglieder ausgesendet? Das Heilige Mahl – eine Bedrohung für unsere Gesundheit? Das Heilige Mahl – ein letztlich verzichtbares Ritual? Wie will man eigentlich diejenigen, denen man nun in diesen Zeiten den Kommunionempfang so gründlich abgewöhnt hat, danach wieder an das Sakrament heranführen, ohne sich dabei selber unglaubwürdig zu machen?
An die Stelle der Sakramentsfeier traten Online-Angebote, und viele Kirchen wähnten und wähnen sich an der Spitze des Fortschritts, wenn sie sich immer mehr zu einer Online-Kirche umgestalten. Schaut her, wie modern wir sind! Der Zoom-Zugang zum nächsten digitalen Gottesdienst ist im Pfarramt erhältlich! Für das Sakrament ist dann in aller Regel kein Platz mehr. Gleich hier bei uns um die Ecke hat ein Kirchenkreis der evangelischen Kirche beschlossen, jetzt in der Heiligen Woche und zu Ostern überhaupt keine Präsenz-Gottesdienste mehr anzubieten, sondern ganz auf digitale Medien umzusteigen. Als Trostpflaster kann man sich dann in einer der Kirchen das Abendmahl – das Wort „heilig“ kommt mir in diesem Zusammenhang nicht mehr über die Lippen – dann auch in einer Tüte abholen, wobei mir nicht ganz klar ist, ob es sich dabei um ein Do-it-yourself-Kit oder um irgendwelche vorgeweihten Gaben handeln soll. Und die Entwicklung geht weiter: In verschiedenen Landeskirchen wird die Möglichkeit nicht nur diskutiert, sondern auch ausprobiert, das Abendmahl online zu feiern: Brot und Wein oder Saft vor den Computerbildschirm – und dann wird gemeinsam je für sich eingenommen, was man früher einmal gemeinsam in der Kirche empfangen hatte.
Alarm um das Heilige Abendmahl – eine stiftungsgemäße Feier des Sakraments scheint immer mehr der Vergangenheit anzugehören, und Corona ist dabei der willkommene Katalysator, um eine Feier endlich abzuschaffen, die nach einigen Meinungsumfragen selbst von vielen treuen Kirchgliedern nur noch als peinlich empfunden wird.
Sind wir also von vorgestern, sind wir vielleicht gar lebensmüde, wenn wir uns allen Ernstes nicht nur an diesem Gründonnerstagabend, sondern immer wieder hier um den Altar versammeln und ehrfürchtig auf die Knie sinken, um den heiligen Leib und das heilige Blut unseres Herrn zu empfangen?
In der Predigtlesung des heutigen Abends wird uns die Einsetzung des Heiligen Abendmahls durch Jesus Christus in der Nacht, in der er von seinem eigenen Jünger verraten wurde, geschildert, und diese Worte im Evangelium nach St. Matthäus können auch uns helfen, wieder neu zu begreifen, was im Sakrament eigentlich geschieht und warum wir es tatsächlich auch in diesen Corona-Zeiten immer wieder miteinander feiern. Als erstaunlich aktuell erweist sich dabei, was uns St. Matthäus hier vor Augen stellt:
Dass das Heilige Abendmahl im Angesicht des Todes gefeiert wird, ist nicht bloß eine Realität im Jahr 2021, sondern galt schon nicht weniger damals, als Jesus das Sakrament in der Nacht seines Verrats stiftete. Das Heilige Abendmahl war noch nie ein nettes, unverbindliches Get together, eine nette religiöse Feier zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Sondern der, der es einsetzt, setzt es bewusst an diesem Abend ein, an dem er verraten wird, nicht bei einem der fröhlichen Festmähler, an denen er, Jesus, gewiss zuvor auch teilgenommen hatte. Es geht beim Heiligen Abendmahl tatsächlich immer um den Tod, um den Tod dessen, der es gestiftet hat, und es geht um unseren eigenen Tod, angesichts dessen wir dieses Heilige Mahl immer wieder empfangen und zu uns nehmen. Jesus feiert das Heilige Mahl im Angesicht seines eigenen Todes – und auch wir feiern das Heilige Mahl immer wieder in dem Bewusstsein, dass wir mit jedem Empfang des Leibes und Blutes unseres Herrn unserem eigenen Tod näherkommen – und eben nicht bloß unserem eigenen Tod, sondern damit auch dem großen Festmahl im Reich Gottes, das am Ziel unseres Lebensweges steht.
Nein, wir können auf dieses Mahl nicht verzichten, auch und gerade nicht in Corona-Zeiten, weil es in diesem Mahl, das Jesus hier stiftet, doch nicht bloß um irgendeine Erinnerung an ihn geht, die er hinterlässt und die jeder auch für sich zu Hause ganz gut pflegen kann. Nein, ganz klar macht es Jesus seinen Jüngern bei dieser Passahfeier im Angesicht des Todes: Wenn ihr fortan tut, was ich euch gesagt habe, dann bekommt ihr Anteil an meinem Leib und meinem Blut – nein, nicht bloß bildlich-symbolisch, sondern zutiefst real, ja, noch realer als unser eigener Tod. Gerade wenn ich um die Zerbrechlichkeit meines Lebens weiß, wenn ich nicht weiß, ob ich morgen oder übermorgen noch leben werde, kann ich mich doch nicht von dem fernhalten, der uns das Gegenmittel gegen den ewigen Tod, seinen Leib und sein Blut reichen lässt. Ja, ich sterbe mit meinem Körper, ich sterbe nicht bloß digital, und eben darum kann ich auch nicht darauf verzichten, körperlich ihn, meinen Herrn, sein Gegengift gegen den Tod, zu empfangen.
Christus, unser Herr, ist eben nicht bloß virtuell gekreuzigt worden, sondern ganz leiblich-real. Und ebenso wenig können wir als Christen das leibliche Zusammensein durch virtuelle Angebote ersetzen, so hilfreich manches digitale Angebot auch durchaus sein mag. Jesus hat das Heilige Abendmahl damals nicht für sich allein gestiftet, sondern er war umgeben von seinen Jüngern, in deren Mitte durchaus nicht immer Harmonie herrschte, sondern die ihm, ihrem Herrn, immer wieder auch bittere Enttäuschungen bereiteten. Dass sich nun unter denen, mit denen Jesus hier das Heilige Mahl feiert, auch der Verräter Jesu befindet, von dem Jesus auch ganz genau weiß, wer er ist, gibt dem Mahl, das Christus hier stiftet, noch einmal ein besonderes Gewicht. Wir können als Christen eben nicht bloß virtuell zusammenleben, wir brauchen die reale Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern, eben weil wir doch durch den gemeinsamen Empfang des Leibes und Blutes Christi immer wieder ein Leib werden. Es gehört zur Gemeinschaft des Heiligen Mahles unabdingbar mit dazu, dass da Sünder sich um Jesu Tisch versammeln, Menschen, die nicht nur in ihrem Leben versagt haben, sondern die oft genug auch ganz direkt aneinander schuldig geworden sind und die alle miteinander die Vergebung ihres Herrn so dringend brauchen. Dieser Schuldverhaftung, in die wir durch das gemeinsame Zusammenleben mit anderen Menschen hineingestellt werde, kann ich eben nicht auf digitalem Wege entfliehen. Das gehört zur Feier des Heiligen Mahles mit dazu, dass ich gemeinsam mit Menschen feiere, die mir wehgetan haben und denen ich wehgetan habe. Allein Christus mit seinem Leib und Blut kann da heilen, was ich selber gar nicht wiedergutmachen könnte.
Und eben darum brauchen wir dieses Heilige Mahl so unabdingbar, können wir in unserem Leben niemals darauf verzichten. Unser Glaube ist keine virtuelle Realität, in die wir uns aus all den Problemen unseres realen Lebens zurückziehen können. Nein, unser Glaube lebt von dem ganz analogen, ganz realen Empfang des Leibes und Blutes des Herrn. Wir wollen doch auch nicht bloß virtuell im Internet auferstehen, sondern leibhaftig für immer in der Gemeinschaft mit unserem Herrn Jesus Christus leben.
Hören wir darum niemals auf, das Mahl des Herrn zu feiern. Es bringt uns nicht den Tod, sondern das Leben, das ewige Leben! Lassen wir uns durch nichts und niemand davon abhalten, immer wieder das zu vollziehen, was Christus selber uns geboten hat. Nehmen wir voller Ehrfurcht wahr, was für Gaben uns dort gegeben werden – Gaben, die sicher nicht dazu geeignet sind, in einer Tüte nach Hause getragen zu werden. Basteln wir nicht an der Einsetzung unseres Herrn herum, der ganz bewusst von dem einen Kelch gesprochen hat, aus dem alle trinken sollen, damit sich niemand der Gemeinschaft entziehen kann, in die er durch seine Taufe gestellt worden ist! Ja, wir Menschen mögen das Heilige Mahl tatsächlich immer wieder in Gefahr bringen, mögen es zur aussterbenden Spezies erklären. Doch gottlob hält Christus auch heute noch alle Fäden in der Hand, wie er dies diesmal beim ersten Passah auch getan hat, gottlob wird Christus nicht aufhören, seine Kirche immer wieder mit seinem Heiligen Mahl zu bauen, auch wenn sich viele davon selber ausschließen mögen. Er, dem wir heute Abend unter den Gestalten von Brot und Wein begegnen, ist doch zugleich der wiederkommende Herr, in dessen Händen schon jetzt unsere Zukunft, ja die Zukunft seiner ganzen Kirche liegt. Und eben darum braucht uns trotz des Alarms um das Heilige Abendmahl dennoch nicht bange zu sein. Es ist und bleibt doch das Mahl des Herrn. Amen.