St. Matthäus 28,1-10 | Heilige Osternacht | Pfr. Dr. Martens

Immer und immer wieder wurden sie in uns in dieser vergangenen Woche, in diesen vergangenen Tagen vor Augen gestellt: Die Bilder von den Überresten des entsetzlichen Flugzeugabsturzes in den Alpen. Und immer wieder haben wir dann auch hingeschaut auf diese Bilder, kamen von ihnen nicht los, wurden von ihnen angezogen, nicht, weil wir uns nun als Gaffer betätigen wollten, sondern weil der Einbruch des Todes in unsere ganz normale scheinbar so heile Welt uns nicht loslässt. Und wer einmal direkt mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert worden ist, der weiß erst recht davon, wie ihn bestimmte Bilder nicht mehr loslassen. Und so gibt es so viele Menschen, die sich immer wieder angezogen fühlen von dem Grab, wo ein geliebter Mensch beerdigt liegt. Ja, da müssen sie immer wieder hin, auch wenn sie dort nichts Anderes erleben als immer wieder neu die Endgültigkeit des Todes. Und in all dem ahnen sie, ahnen wir alle miteinander: Der Tod anderer Menschen geht uns eben darum so nahe, weil er uns an unseren eigenen Tod, an unsere eigene Endlichkeit erinnert. Wir gehen in unserem Leben Tag für Tag unserem eigenen Grab, dem Ende dieses eigenen Lebens entgegen. Gewiss, wir können dies verdrängen, können uns damit begnügen, hier und jetzt in unserem Leben möglichst viel Spaß haben zu wollen. Aber auch diese Suche danach, möglichst viel zu erleben, möglichst viel mitzubekommen, ist letztlich Ausdruck einer unbewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, ein letztlich vergeblicher Versuch, mit ihm fertig zu werden.

Im Heiligen Evangelium dieser Osternacht werden uns zwei Frauen geschildert, die sich ebenfalls von einem Grab angezogen fühlen, so sehr, dass sie es sich noch einmal anschauen, es noch einmal besehen müssen: Das Grab, in das ihr Herr und Heiland Jesus Christus gelegt worden war, das Grab, in dem zugleich auch ihre ganzen Hoffnungen, ihre ganze Lebensperspektive mit beerdigt wurde. Nichts können sie mehr an diesem Grab machen; sie können die Fakten nicht rückgängig machen – aber sie wollen es wenigstens noch einmal sehen, mehr nicht.

Doch dann geschieht, womit sie nicht im Traum gerechnet hatten: Der Engel des Herrn kommt herab und verkündigt ihnen das Unglaubliche: Jesus ist nicht hier, er lebt, er ist auferstanden. Es hat keinen Zweck mehr, hierher zum Grab zu gehen. Kehrt um, geht den Weg zurück, nein, nicht einfach zurück in euren Alltag, sondern als Menschen, die nun eine ganz neue Perspektive für ihr Leben haben, die wissen: Unser Herr lebt, das Grab ist nicht die Endstation. Und so kehren die beiden Frauen um, wollen von dem erzählen, was sie gehört haben – und laufen dabei dem auferstandenen Christus direkt in die Arme, fallen vor ihm nieder, umfassen seine Füße, erleben: Jawohl, er ist es, der leibhaft auferstandene Herr. Und der schickt sie nun noch einmal los, macht sie zu den ersten Boten des Auferstandenen, zu den ersten Zeuginnen der neuen Welt, die mit der Auferstehung Jesu angebrochen ist.

Was damals die beiden Marias am Grab Jesu am Ostermorgen erlebten, das erfahren nun auch wir in dieser hochheiligen Nacht: Da sind wir heute Abend hierhergekommen in die Dunkelheit dieser Kirche. Ja, da war so viel Dunkel auch in unseren Herzen, so vieles, was uns bedrückte, da betraten wir diese Kirche als Menschen, die dem Tod entgegengehen und die schon so viele Erfahrungen von Verlust oder von der Angst vor Verlusten hierher mitgebracht haben. Dunkel war es – wir konnten uns nicht selber voranleuchten. Aber dann wurde sie in die Kirche getragen: die Osterkerze, das Symbol der Auferstehung Jesu Christi, das Symbol des Sieges des Lichts über die Finsternis, das Symbol Christi, des Lichts der Welt. Und im Schein dieser Kerze sind wir dann noch im Dunklen den Weg weitergegangen, haben erlebt, wie das Leben zweier Brüder aus Syrien ganz neu begann, als sie durch das Wasser der Heiligen Taufe wiedergeboren wurden. Und dann wurde es hier in unserer Kirche ganz hell, hörten wir nun im hellen, strahlenden Licht die Botschaft von der Auferstehung unseres Herrn: Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Ja, diese Botschaft hat auch unsere Blickrichtung heute Nacht wieder gewendet, weg von den Erfahrungen von Verlust, von Abschied und Tod hin auf ihn, den auferstandenen Herrn. Und bevor wir uns nachher auf den Weg machen, eben diese Botschaft auch anderen zu bezeugen, die Osterfreude auch zu anderen weiterzutragen, tritt Christus, der auferstandene Herr, nun gleich wieder in unsere Mitte, kommt leibhaftig zu uns in den Gestalten von Brot und Wein, dass wir ihn berühren, ihn umfangen dürfen wie die Frauen bei der Begegnung mit ihm, dem Auferstandenen, damals auch.

Nein, wir feiern heute Nacht keine Gedächtnisfeier für einen längst verblichenen toten Menschen. Wir feiern, dass heute Nacht wieder Gegenwart wird, was St. Matthäus uns schon vor so langer Zeit geschildert hat: Die Botschaft von der Auferstehung unseres Herrn schenkt uns eine neue Lebensperspektive, lässt uns nicht mehr auf die Schrecken des Todes starren, sondern nach vorne blicken, ihm, dem auferstandenen Herrn, entgegen. Und er, der kommende Herr, begegnet uns nun gleich leibhaftig, lässt auch uns vor ihm niederfallen, erfüllt auch uns mit großer Freude wie die Frauen damals auch.

Die Bilder des Todes und des Entsetzens, die uns immer wieder neu vor Augen treten und auch künftig vor Augen treten werden, sind eben nicht das Letzte, haben nicht das letzte und entscheidende Wort. Wir dürfen unseren Blick immer wieder wenden weg von diesen Bildern hin auf ihn, den auferstandenen Herrn, der auch uns eine Lebensperspektive schenkt weit über unseren Tod hinaus. Das Grab ist auch für uns nicht Endstation, sondern nur Zwischenstopp auf dem Weg ins Leben mit ihm, dem auferstandenen Herrn. Lass dich darum nicht von den Bildern des Todes beherrschen, höre vielmehr auf das Wort des Lebens, das du auch heute Nacht nun immer wieder vernehmen darfst: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja. Amen.

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