Über 5. Mose (Deuteronomium) 30,11-14 | 18. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Das kann doch gar nicht funktionieren!“ Immer wieder höre ich diese skeptische Antwort, wenn ich Menschen, die den christlichen Glauben neu kennenlernen, davon erzähle, dass wir Menschen nicht dadurch in den Himmel kommen, dass wir gute Werke tun, sondern allein dadurch, dass Gott alles für uns tut und uns alles schenkt.

„Das kann doch gar nicht funktionieren!“ Wenn der Mensch nicht mit der Angst vor der Hölle dazu gezwungen wird, sich in seinem Leben gut zu verhalten, dann wird er tun, was er will. Das kann alles nur in einer Katastrophe enden!

Ja, dieses Denken, dass es in der Religion doch nur darum gehen kann, den Menschen Regeln vorzugeben, die sie einhalten müssen, damit sie eine Chance auf einen Platz im Himmel haben, ist für viele Menschen so selbstverständlich, dass es für sie gar nicht vorstellbar ist, dass es auch anders sein und anders gehen könnte.

Genau dieses Denken hat der Islam den Menschen in den Ländern, in denen er die Gesellschaft prägt, von klein auf nahegebracht: Du musst die Gesetze des Islam halten, dann hast du vielleicht eine Chance, der Hölle zu entkommen. Darum musst du Gebete in einer Sprache sprechen, die du nicht verstehst, darum musst du im Fastenmonat Ramadan tagsüber auf das Trinken verzichten, auch wenn es draußen noch so heiß ist, darum musst du immer genau darauf achten, was du isst, dass du auch ja kein unreines Essen zu dir nimmst. Nein, kein Mensch würde von sich aus auf die Idee kommen, das alles zu tun. Das machen die Menschen darum auch wirklich nur, weil sie es müssen, weil sie damit die Hoffnung auf eine Rettung vor der Hölle verbinden.

Doch allzu sehr unterscheidet sich dieses Denken eben auch nicht von der Volksreligion, die heutzutage in den Köpfen so vieler Menschen in unserem Land, ja sogar in den Köpfen der Richter des Bundesverfassungsgerichts herumgeistert, wenn es gerade vor einigen Monaten feststellt hat, es sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte, „der Intensität und Bedeutung der von dem Schutzsuchenden selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität“ nachzugehen. Christlicher Glaube kann doch nur darin bestehen, Glaubensgeboten für sich selbst als verbindlich zu empfinden – das ist für die obersten Glaubenshüter unseres Landes so selbstverständlich, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, ihre abstrusen Vorstellungen von Glauben in irgendeiner Weise selber kritisch zu hinterfragen.

Ja, wenn man Christ ist, dann muss man eben bestimmte Gebote erfüllen – dann muss man jede Woche zur Kirche gehen, dann muss man sich sozial engagieren und Nächstenliebe üben, und anständig benehmen muss man sich sowieso.

Und das Problem ist dann heutzutage, dass die Menschen immer weniger den Sinn der Gebote erkennen können, die man als Christ angeblich einhalten muss: Warum muss ich denn immer zur Kirche rennen, wenn es dort für mich doch nur langweilig ist? Warum muss ich denn Menschen lieben, die ich überhaupt nicht mag? Warum muss ich als Christ immer brav und anständig sein? Das ist doch alles so von vorgestern, das entspricht doch überhaupt nicht mehr meinem persönlichen Lebensgefühl!

In der Predigtlesung dieses heutigen 18. Sonntags nach Trinitatis vernehmen wir, dass wir vor 3000 Jahren eigentlich schon viel weiter waren als heute. Da wendet sich der Mose kurz vor dem Einzug in das Gelobte Land noch einmal an sein Volk und macht ihm deutlich, was es heißt, zum Volk Gottes zu gehören. Deutlich macht er seinem Volk, dass es nicht darum geht, irgendwelche merkwürdigen Gesetze einzuhalten, die man selber nicht versteht und für sich selber nicht nachvollziehen kann. Nein, so zeigt es Mose seinen Zuhörern: Gott hat euch, jawohl euch verändert, hat gleichsam eine heilsame Operation an euch durchgeführt: Er hat euch seine Gebote nicht gleichsam vor die Füße gekippt und gesagt, dass ihr damit selber irgendwie fertig werden müsst. Sondern er hat euch sein Wort, sein Gebot in euren Mund, in euer Herz gelegt, dass es nichts Fremdes mehr für euch ist, sondern etwas, was ganz unmittelbar zu euch gehört: Ihr haltet als Glieder des Volkes Gottes nicht irgendwelche ziemlich komischen Vorschriften ein, damit ihr dadurch vor Gott besser dasteht, sondern das Wort Gottes ist gleichsam ein Teil eurer selbst geworden, dass ihr so lebt, wie es Gott gefällt.

Ja, genau so hatte sich das Gott eigentlich gedacht, dass sein Wille, seine Gebote für sein Volk so selbstverständlich werden, dass es diese Gebote gleichsam von selbst einhält. Doch was Gott seinem Volk hier ankündigt, dass er ihm sein Wort in seinen Mund, in sein Herz legt, dass es gleichsam von selbst so lebt, wie es Gottes Willen entspricht, das hat sich dann im Verlauf der Geschichte doch ganz anders entwickelt, als Mose es hier seinem Volk nahelegt.

Doch Gott hat nicht aufgegeben. Sein Ziel ist und bleibt es, in der Gemeinschaft mit seinem Volk zu leben – ohne Zwang und Druck und Drohung. Und darum hat er noch einmal einen ganz neuen Anlauf gestartet, hat sein Wort selber Mensch werden lassen, hat in dieses Wort seine ganze Liebe gesteckt, die in der Tat das Leben von Menschen ganz zu verändern vermag.

Dieses Mensch gewordene Wort, dieser Jesus Christus, der hat tatsächlich in unserem Leben bewirkt, was von aus in der Tat niemals hätte funktionieren können: Er hat in der Taufe in uns Wohnung genommen, hat sich mit seinem Wort in unserem Herzen einquartiert und verändert damit in der Tat unser Denken, unser Reden und Handeln.

Ja, das funktioniert, funktioniert tatsächlich so sehr, dass wir uns selber mit Recht gar keine Gedanken mehr darüber machen, wie das denn eigentlich funktioniert. Aber es funktioniert in der Tat, dass dieses Wort Gottes in unserem Mund und in unserem Herzen ist, dass wir es ganz von allein tun.

Wenn Christus in mir lebt, dann ist es für mich eben keine lästige Pflichtübung mehr, zum Gottesdienst zu gehen, dann fange ich nicht mehr an damit, mit dem Pastor zu verhandeln, wie oft ich denn im Monat zur Kirche gehen sollte. Dann kann mich im Gegenteil nichts davon abhalten, dorthin zu gehen, wo Gott selber mich so reich beschenkt. Nein, ich komme gar nicht mehr auf die Idee, dass ich für Gott ein gutes Werk tun könnte, wenn ich zum Gottesdienst gehe. Das Wort in meinem Herzen treibt mich an, genau das zu tun, was für mich selber ja auch das Beste in meinem Leben ist.

Wenn Christus in mir lebt, dann mache ich mir keine Gedanken mehr darüber, ob ich denn anderen Menschen helfen soll, ihnen meine Liebe erweisen soll. Dann sehe ich die Not anderer Menschen – und packe zu, stehe ihnen bei, ohne auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden, ob ich mir damit wohl ein paar Extra-Punkte bei Gott sichern könnte.

Wenn Christus in mir lebt, dann brauche ich keine Vorschriften mehr, was ich denn in meinem Leben eigentlich alles tun oder nicht tun soll. Ich brauche kein Gesetzbuch mit Anweisungen für jede Lebenssituation, wie ich mich als Christ zu verhalten habe. Was mich als Christ treibt, ist die Liebe, die eben darum in mir lebt, weil Christus in mir lebt. Und eben diese Liebe leitet mich in meinen Entscheidungen, weil diese Liebe in meinem Mund in meinem Herzen ist.

Wer glaubt, eine Religion funktioniert nur, wenn sie den Gläubigen ein bestimmtes Verhalten vorschreibt und sie zu diesem Verhalten mit der Drohung vor der Hölle zwingt, der hat nicht verstanden, was schon Mose gesagt hat – und was erst recht Christus uns ans Herz gelegt hat.

Nein, unser Glaube ist keine Religion, und er funktioniert anders, so darfst du es jetzt gleich wieder erfahren bei der Feier des Heiligen Mahls: Das ist keine absurde religiöse Übung, die wir zu vollziehen haben, sondern da passiert nun wieder neu das Wunder, das schon Mose damals beschrieben und angekündigt hat: Das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist, kommt ganz nahe zu dir, in deinen Mund, in dein Herz. Und das wird etwas bewirken bei dir, auch in der neuen Woche, die jetzt vor dir liegt, das wird dir die Kraft schenken, anderen Menschen in Liebe zu begegnen, ja, das wird dir die Kraft schenken, immer wieder hierher zurückzukehren, an den Altar deines Herrn, um ihn selber dort zu empfangen, um damit auch seine Vergebung zu empfangen, wenn du in deinem Leben dann doch nicht getan hast, was du in der Kraft deines Herrn doch eigentlich hättest tun können. Er ist nicht irgendwo weit weg im Himmel, er ist hier, ganz nahe, berührbar mit deiner Zunge. Nein, das ist kein Hirngespinst, das ist eine Realität, die dich und dein Leben viel mehr verändert, als es noch so viele religiöse Vorschriften jemals könnten. Ach, dass sich das doch immer weiter in unserem Land herumsprechen möge – ja, sogar bis in die Gerichte unseres Landes! Amen.

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