Vierte Fastenpredigt zum Thema „Leiden“: Leiden – Teilhabe an Christus | Mittwoch nach Judika | Pfr. Dr. Martens

Als ich im Februar die Themen für die diesjährigen Fastenpredigten aussuchte, hatte ich noch keinerlei Ahnung davon, was für eine beklemmende Aktualität das Thema „Leiden“ in den folgenden Wochen entwickeln würde. Die Bilder, die uns Tag für Tag im Fernsehen und im Internet vor Augen geführt werden, ja, die Ängste vor dem, was auch uns selber in diesen kommenden Wochen und Monaten bevorstehen mag, sie haben uns zu diesem Thema noch einmal einen sehr direkteren Zugang eröffnet, als ich dies zuvor für möglich gehalten hätte.

In den vergangenen Wochen haben wir bedacht, dass Leiden eine Folge der Sünde ist. Ja, dass unsere Welt kein Paradies ist, dass sie uns wahrlich kein ewiges Leben versprechen kann, dass unsere Welt gezeichnet ist von den Folgen unserer Abwendung von Gott, das erleben wir nun in diesen Tagen ganz hautnah. Eben darum macht es auch keinen Sinn, dass wir jetzt in diesen Tagen und Wochen irgendwelche Sündenböcke suchen, die angeblich an der Corona-Krise schuld sind. Das Problem steckt viel tiefer, in unserer Sterblichkeit, der wir alle nicht entkommen können. Wir haben weiter bedacht, dass Leiden eine Prüfung unseres Glaubens sein kann und tatsächlich ja auch ist. Auch das erleben wir in diesen Tagen und Wochen ganz hautnah, dass wir uns ganz grundlegend damit auseinandersetzen müssen, wie wir das, was wir jetzt erfahren, mit unserem Glauben vereinbaren können. Und wir erleben es an uns selber wieder neu, wie sich nun in dieser Situation unser Glaube bewähren muss, dass er eben nicht nur ein schöner Gedanke ist, sondern sich als tragfähig erweist auch in der schweren Lage, in der wir uns jetzt befinden.

Wir waren dann aber auch noch einen Schritt weitergegangen, hatten bedacht, wie wir gerade im Leiden an Christus teilhaben, seinen Weg mitgehen, in den er uns am Tag unserer Taufe hineingezogen hat. Ja, gerade jetzt in der Fastenzeit gehen wir auch in Gedanken diesen Weg unseres Herrn mit – aber wir wissen darum, wie sich dieser Weg unseres Herrn dann auch in unserem eigenen Leben widerspiegeln kann, wie unser aller Weg wie der unseres Herrn selbst durch den Tod ins Leben führt. Ja, da erscheint dann auch all das, was wir jetzt gerade in der Corona-Krise erleben, für uns Christen noch einmal in einem anderen Licht.

Aber nun gibt es noch einen weiteren Aspekt des Leidens in der Heiligen Schrift, den wir bis jetzt noch nicht bedacht haben: Leiden bedeutet für uns Christen immer auch Zeugnis für die Welt.

Dass Christen um ihres Glaubens willen leiden und verfolgt werden, ist eine Erfahrung, die sich bereits durch das gesamte Neue Testament hindurchzieht. Leiden und Verfolgung – sie scheinen geradezu die Normalsituation für das Leben eines Christen zu sein. Das Normale ist eben gerade nicht, dass Christen zu einer gesellschaftlich hochangesehenen Organisation gehören, dass sie vielleicht gar um ihres Glaubens sogar noch bestimmte Privilegien genießen können. Sondern normal ist, was Christus schon in der Bergpredigt ankündigt: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.“ Und dann folgen gleich auf diese Worte die Worte Jesu von den Christen als dem Salz der Erde und dem Licht der Welt. Ja, gerade in ihrem Leiden erweisen sich Christen als ein solches Licht der Welt, das auch andere dazu anleitet, den Vater im Himmel zu preisen.

Ja, vergessen wir es nicht: Bis Anfang des 4. Jahrhunderts hat sich das Christentum stets in einer Verfolgungssituation im römischen Reich ausgebreitet – nicht aufgrund einer privilegierten Stellung und erst recht nicht mit Krieg und Gewalt. „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“, so lautet ein alter Spruch, der sich in der Geschichte der Kirche immer und immer wieder bewährt hat. In der Situation der Verfolgung ist die Kirche immer wieder gewachsen – zum einen, weil die Christen sich in solchen Zeiten auf das Wesentliche konzentrieren mussten und keine Zeit hatten, sich mit irgendwelchen Sperenzchen zu befassen. Vor allem aber ist die Kirche in diesen Zeiten gewachsen, weil die Nichtchristen davon beeindruckt waren, dass die Christen bereit waren, für ihren Glauben auch zu leiden und in den Tod zu gehen. Wenn den Christen ihr Glaube so wichtig war, dann musste doch an diesem Glauben etwas dran sein! Ein besonderer Weg, auf dem viele Nichtchristen Christen geworden sind, war übrigens auch das Verhalten der Christen, wenn eine Seuche über eine Stadt oder ein Land hereinbrach: Da rannten die Nichtchristen nämlich einfach nur weg aus der Stadt, damit sie nicht krank wurden. Sie ließen sogar ihre eigenen Verwandten auf der Straße liegen, wenn die krank wurden, um sich nicht an ihnen anzustecken. Und was machten die Christen? Die hatten keine Panik, die blieben in der Stadt und kümmerten sich um die Kranken, ja gerade auch um die Nichtchristen, pflegten sie, auch auf die Gefahr hin, selber zu erkranken und zu sterben – und trugen im Übrigen damit auch nicht unerheblich zur Eindämmung der Seuchen bei. Und dieses Verhalten beeindruckte viele Nichtchristen auch so sehr, dass gerade nach solchen Seuchenzeiten auch viele Nichtchristen den Weg zum christlichen Glauben fanden.

Leiden – ein Zeugnis für die Welt? Ja, das gilt bis zum heutigen Tag. Die Kirche Jesu Christi breitet sich am schnellsten in den Ländern aus, in denen sie unterdrückt wird. Und wir tun gut daran, gerade auch in diesen Wochen der Corona-Krise die verfolgten Christen auf der ganzen Welt nicht zu vergessen und zu übersehen. Wenn wir in diesen Tagen darüber klagen, wie schwer es doch ist, dass wir immer in unserem Zimmer oder in unserer Wohnung sitzen müssen, dann sollten wir an die afghanischen Christen denken, die von den deutschen Behörden wieder nach Afghanistan deportiert worden sind und nun die ganze Zeit in ihrer Wohnung sitzen müssen, weil sie draußen auf der Straße sofort umgebracht würden – und das eben nicht nur ein paar Wochen! Wenn wir in diesen Tagen verständlicherweise darüber klagen, dass wir in diesen Wochen nicht zum Gottesdienst in die Kirche kommen können, dann sollten wir nicht die vielen Christen vergessen, die in so vielen Ländern dieser Welt um ihres Glaubens willen im Gefängnis sitzen und nicht bloß ein paar Wochen auf den Gottesdienst verzichten müssen. Ja, ihr Beispiel, ihr Glaubensmut stärkt auch unseren Glauben, ermutigt auch uns, weiter bei Christus zu bleiben in Umständen, die so viel besser sind als die, unter denen so viele Christen auf der ganzen Welt zu leben haben!

In diesen Wochen wird viel darüber diskutiert, ob sich die Kirchen richtig verhalten haben, dass sie es einfach akzeptiert hatten, als unsere Bundesregierung das Verbot aller gottesdienstlichen Versammlungen im selben Atemzug mit der Schließung aller Bordelle verkündigte. Hätten sie nicht Widerstand leisten müssen, heimliche Hauskirchenversammlungen organisieren müssen? Hätten sie nicht zeigen müssen, dass sie keine Angst vor dem Virus und auch keine Angst vor dem Tod haben?

Doch die Geschichte ist eben diesmal komplizierter: Dem Nächsten zu dienen heißt ja in diesem Fall gerade nicht, herauszugehen zu den Kranken, wie es damals zu anderen Seuchenzeiten der Fall war. Sondern dem Nächsten zu dienen heißt diesmal, Verzicht zu üben auf das, was einem selber das Allerliebste ist, und damit auf andere Weise Selbsthingabe beweisen. Nein, die Kirchen sind eben nicht auf Tauchstation gegangen; sie haben gezeigt, dass sie auf andere Weise präsent sein können, selbst wenn es ihnen schwerfällt, auf das Herzstück ihres Glaubens zu verzichten. Unser Leiden, das wir gerade durchmachen, ist gewiss nur ein sehr kleines Leiden. Aber Gott geb’s, dass sich auch dieses Leiden am Ende erweisen wird als ein Zeugnis für die Welt. Ja, Gott geb’s, dass wir mit unserem Verhalten als Christen immer wieder auf den hinweisen, der sich auch nicht gegen das Leiden gewehrt hat und aus dessen Leiden Heil für die ganze Welt entsprungen ist. Ja, das ist Gottes Logik. Mögen auch wir diese Logik Gottes im Leiden mit unserem persönlichen Verhalten und als Kirche insgesamt immer wieder neu bezeugen – den Menschen in unserer Umgebung und damit der Welt zum Heil! Amen.

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