Zweite Fastenpredigt über Personen aus der Passionsgeschichte: Petrus | Mittwoch nach Okuli | Pfr. Dr. Martens

Da sitzt der große Apostel Petrus draußen vor dem Palast des Hohenpriesters und heult Rotz und Wasser – nein, nicht über das, was andere ihm angetan haben, sondern über das, was er selber angerichtet hat, darüber dass er gerade da versagt hatte, wo es drauf ankam, wo sein Bekenntnis zu Christus tatsächlich gefragt war.

Ja, wie konnte es dazu kommen, dass derselbe Petrus, den Christus vor gar nicht langer Zeit noch als Fels bezeichnet hatte, auf den er seine Kirche bauen wollte, dass derselbe Petrus ausgerechnet in der Stunde, in der es darum ging, Jesus bloß nicht selber zu verleugnen, genau das Gegenteil von dem tat, was er sich selber vorgenommen, was er selber für diesen Fall angekündigt hatte?

Unlogisch mag uns das Verhalten des Petrus erscheinen: Auf der einen Seite war er doch offenkundig eisern gewillt, bei Christus, seinem Herrn zu bleiben, selbst wenn ihn dies das Leben kosten würde. Und er war zugleich doch so realistisch in der Einschätzung seiner eigenen Möglichkeiten, als auch er in der Nacht, als Jesus verraten wurde, davon ausging, dass er dazu in der Lage sei, Jesus, seinen Herrn, zu verraten: Herr, bin ich’s? Und dann dieses feige Kneifen, als es darauf ankam, das so gar nicht zu den großen Sprüchen passte, die er zuvor abgesondert hatte, dieses feige Kneifen, das schließlich sogar in einer Selbstverfluchung endet: Ich will für immer von Gott verflucht sein, wenn ich diesen Menschen jemals gesehen habe! Und dann bald darauf – die bittere Erkenntnis, vor Gott und den Menschen völlig versagt zu haben, nicht im Allergeringsten dem gerecht geworden zu sein, was er, Christus, doch eigentlich von ihm hätte erwarten können.

Unlogisch mag uns das Verhalten des Petrus erscheinen – und doch ist er uns gerade in dieser scheinbaren Unlogik ganz besonders nahe. Ja, so können wir an ihm erkennen, wie auch gute Vorsätze und ein starker Wille nicht ausreichend sind, um uns vor dieser Gefahr, Christus schließlich doch zu verleugnen, zu schützen.

Schauen wir uns die drei Schritte des Petrus auf dem Weg zur Verleugnung seines Herrn noch einmal genauer an:

Es geht damit los, dass Petrus den Mund in der Nacht, in der Jesus verraten wurde, ganz besonders voll nimmt: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen.“ Was für eine starke Ankündigung – und zugleich: was für eine Selbstüberschätzung! Ja, wer sich selbst für einen mutigen Glaubenshelden hält, der sehe sehr wohl zu, dass er nicht besonders tief fällt.

Die Situation, in der sich Petrus damals an diesem Abend befand, ist für viele von uns in der Gemeinde ja nicht fremd. Da gibt es viele unter uns, die um ihres Bekenntnisses zu Christus willen ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Freiheit riskiert haben. Und da frage ich mich manchmal auch: Wie hätte ich wohl an ihrer statt reagiert, wenn ich dieser Situation gewesen wäre? Hätte ich zu meinem Glauben an Jesus Christus gestanden, oder wäre ich dann auch so eingeknickt wie der Petrus?

Ach, hüten wir uns davor, hier und jetzt allzu vollmundige Antworten zu geben, zu was für Leiden um Christi willen wir bereit wären! Wenn wir allen Ernstes der Überzeugung sind, uns könne nichts in unserem Glauben umhauen, dann ist die Gefahr groß, dass wir früher oder später selber kalt erwischt werden, wenn es tatsächlich darum geht, für Christus die Freiheit und vielleicht sogar noch mehr zu riskieren. Wir tun gut daran, unser Bekenntnis zu Jesus Christus nicht mit aufgeblasenen Backen vor uns herzutragen, sondern Christus jeden Tag neu darum zu bitten, dass er uns die Kraft schenkt, auch in schwierigen Lebenssituationen bei ihm zu bleiben. Christus schenkt uns diese Kraft nicht schon im Voraus; er schenkt sie uns gerade dann, wenn wir sie brauchen. Auf seinen Beistand, nicht auf unseren Glaubensmut wollen wir uns darum in unserem Leben verlassen, wollen gerade so bereit sein, wenn auch für uns die Stunde des Bekenntnisses kommen sollte.

Und dann ist da der zweite Schritt auf dem Weg zur Verleugnung des Herrn: Da nimmt Christus den Petrus mit in den Garten Gethsemane, bittet ihn darum, gemeinsam mit ihm zu wachen und zu beten und so vorbereitet zu sein für die Versuchungen und Anfechtungen, die nun in der folgenden Zeit auf ihn, den Herrn, und auf seine Jünger zukommen werden. Doch Petrus ist nicht nach Beten und Wachen zumute, sondern einfach nur nach Schlafen. Statt Jesus in dieser schweren Stunde zur Seite zu stehen, verpennt Petrus, was die Stunde geschlagen hat, wacht erst wieder auf, als die Zeit zum Wachen und Beten vorbei ist.

Ja, auch in diesem schlafenden Petrus dürfen oder müssen wir uns als Christen immer wieder selber erkennen. Wir wissen doch eigentlich, was die Stunde geschlagen hat, dass wir dem wiederkommenden Herrn entgegengehen und jederzeit bereit sein sollen, wenn er erscheint. Doch stattdessen schlafen auch wir so schnell mit unserem Glauben wieder ein, werden schläfrig und bekommen gar nicht mit, was die Stunde in unserem Leben geschlagen hat. Ja, genau das ist doch die Taktik des Teufels, mit der er uns wieder von Christus trennen will: Er will uns schläfrig machen, uns im Glauben einschlafen lassen, und zwar gerade dann, wenn wir selber uns zuvor ganz klar zu Jesus Christus bekannt haben. Dann kommt er, der Versucher, macht uns klar, dass wir für Christus doch eigentlich keine Zeit haben, weil wir so viel anderes zu tun haben, macht uns klar, dass es doch auch reicht, ein wenig mit Jesus Christus in Verbindung zu sein, dass wir das mit der Nähe zu Jesus Christus auch nicht übertreiben müssen. Und diese Taktik wirkt. Da kann uns Christus noch so davor warnen, dass wir wachen sollen, dass wir im Gebet immer wieder den Tricks des Widersachers Gottes Widerstand leisten sollen – immer wieder lullt uns der Teufel ein, schwächt unsere Widerstandskräfte, schwächt unser klares Urteilsvermögen. Ja, ohne Wachen und Beten, ohne die nüchterne Erkenntnis, in was für einem geistlichen Kampf wir uns befinden, wird es uns auch ganz schnell so gehen wie dem Petrus, werden wir nichts in der Hand haben, womit wir uns gegen die Tricks des Teufels wehren können, der doch immer wieder so überzeugend bei uns daherkommt.

Und dann kommt der dritte Schritt: Petrus ist zunächst noch tapfer gewillt, Jesus zu verteidigen. Doch als es dann ernst wird, flieht er, versteckt sich. Und dann beginnt eine besondere Form der Nachfolge Jesu, die Petrus hier versucht: Er folgt Jesus nach von ferne: Bloß nicht zu dicht dran an Jesus, bloß nicht mit ihm zusammen gesehen werden! Kennt ihr solche Nachfolge von ferne auch? Kennt ihr auch Menschen, die so ihr Christsein praktizieren, dass sie von ferne irgendwie ja auch Jesus ganz gut finden? Ja, ahnt ihr es, dass ihr auch selber solch Menschen sein könntet, Menschen, die ein bisschen Christ sein wollen, die irgendwo den christlichen Glauben ja ganz schön finden und die trotzdem lieber auf Distanz zu Christus bleiben, sich nicht allzu sehr aus dem Fenster heraushängen wollen mit ihm und für ihn? Ein bisschen distanzierte Christlichkeit, ein bisschen Nachfolge von ferne – das muss reichen. Doch wer meint, auf Abstand zu Christus Christ sein und bleiben zu können, der irrt sich, der wird bald merken, dass ihm die entscheidenden Waffen in dem Kampf fehlen, wenn es einmal richtig ernst wird.

Und dann kam sie damals bei Petrus, die entscheidende Stunde, in der es darum ging, Farbe zu bekennen, zu bekennen, auf welcher Seite man denn steht: auf der Seite der Mehrheit oder auf der Seite Jesu. Und erschüttert stellen wir fest: Dem Teufel ist es gelungen, alle Verteidigungslinien zu durchbrechen. Petrus geht es nur noch darum, seine eigene Haut zu retten – und so lügt er, scheut sich sogar noch nicht einmal davor, Gottes heiligen Namen als Zeugen dafür anzurufen, dass er mit Jesus nie etwas zu tun hatte. Wer sein Vertrauen nur auf die eigene Stärke setzt, wer die Zeit des Wachens und Betens verpasst, der muss sich nicht wundern, wenn er am Ende auch da landet, wo Petrus schließlich gelandet ist: Draußen vor der Tür, weinend vor Scham über das, was man selber mit seinem halbherzigen Glauben angerichtet hat.

Doch, gottlob, die Geschichte ist eben an dieser Stelle nicht zu Ende, an der wir heute in der Lesung aus der Passionsgeschichte innegehalten haben. Petrus hatte sie sicher noch im Ohr: die Worte seines Herrn, die er an diesem Abend über dem Brot und dem Wein gesprochen hatte: Das ist mein Blut des neuen Testaments, für euch vergossen zur Vergebung der Sünden. Und so finden wir ihn nach der Verhaftung und Hinrichtung Jesu weiterhin im Kreis der Jünger – gewiss zutiefst beschämt und eben doch nicht verzweifelt. Und dann erlebt Petrus, wie Christus ihn, den Versager, nach seiner Auferstehung wieder neu in seinen Dienst ruft, wie er ihm die Schuld vergibt und ihm wieder einen neuen Anfang schenkt. Ja, das ist das Allerwichtigste, was wir von Petrus lernen können: Was am Ende zählt, ist tatsächlich nicht unser guter Wille, ist nicht unser Glaubensmut, unsere Bereitschaft zur völligen Hingabe an unseren Herrn. Was am Ende zählt, ist allein das Erbarmen unseres Herrn, der eben auch für Petrus am Kreuz gestorben ist, auch für Judas, und eben auch für dich und für mich. Niemals brauchst du darum aufzugeben, niemals brauchst du zu verzweifeln. Er, dein Herr, lässt dich nicht fallen. Genau das steht am Ende der Passionsgeschichte – und genau dazu lädt Christus uns auch heute wieder ein. Nicht unsere Schuld soll das letzte Wort haben, sondern allein das Wort des Herrn, das uns freispricht von unserer Schuld. So hat es Petrus erfahren, und so dürft auch ihr es erfahren in dem Mahl, das Christus einsetzte in der Nacht, da er verraten ward. Da bekommt auch ihr es: Das Blut des neuen Bundes zur Vergebung der Sünde. Bleibt darum nicht auf Abstand zu Christus, folgt ihm nicht bloß von ferne. Er will dir alles schenken, was du brauchst, um bei ihm zu bleiben – in alle Ewigkeit. Amen.

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