Zweite Fastenpredigt Zum Thema „Was Bringt Uns Jesus?“: „Jesus, Unsere Versöhnung“| Mittwoch nach Reminiszere | Pfr. Dr. Martens
Heute Abend feiern wir Norouz – für viele unserer iranischen und afghanischen Geschwister das wichtigste Fest des Jahres. Viele Iraner erinnern sich in dieser Zeit besonders auch an den Glauben Zarathustras und sein Motto: „Gut reden, gut denken, gut handeln“. Gegen dieses Motto lässt sich ja auch wirklich nicht viel sagen, und von daher übt dieser Glaube Zarathustras auch heute noch auf viele Iraner eine besondere Anziehungskraft aus, die vom Islam die Nase voll haben. In ähnlicher Weise bestimmt solch ein Glaube auch das Denken vieler Menschen hier in unserem Land: Immer ein guter, anständiger Mensch sein – das ist ihr Lebensmotto.
Doch so schön dieses Motto auch ist – es beantwortet eine Frage eben nicht: Was ist, wenn ich in meinem Leben merke, dass ich eben nicht immer gut geredet, gut gedacht, gut gehandelt habe? Was ist, wenn ich merke, dass ich eben doch nicht so gut und anständig bin, wie ich es mir immer eingebildet habe, wenn ich merke, dass ich in meinem Leben versagt habe? Ja, was ist, wenn ich es gar nicht selber bin, der das Urteil über mein Leben fällt, ob ich denn nun gut gewesen bin, gut gedacht, geredet, gehandelt habe – sondern wenn da ein anderer über mein Leben dieses Urteil fällt? Und zwar kein Geringerer als Gott selber, der mich geschaffen hat und von dessen Urteil meine Zukunft, ja meine ewige Zukunft abhängt!
Ja, was ist, wenn ich mit meinem Leben, Denken, Reden, Handeln dem, der über mein Leben sein Urteil spricht, persönlich wehgetan habe, ihn enttäuscht und verletzt habe, weil er mich doch zu etwas ganz Anderem geschaffen hat als zu dem, was ich in meinem Leben getan habe?
Auf diese Fragen kann mir die Religion Zarathustras keine Antwort geben – und der Durchschnittsdeutsche, der keinen näheren Bezug zu Gott hat, ohnehin nicht. Und die Antworten, die der Islam auf diese Fragen zu geben versucht, befriedigen im Iran zunehmend immer weniger Menschen: Denn es sind letztlich keine Antworten, weil man am Ende doch nicht so genau wissen kann, ob es gelingen kann, das eigene Versagen mit möglichst vielen guten Werken wieder auszugleichen. Und all diejenigen, die solchen Vorstellungen anhängen, übersehen dabei das allergrößte Problem: Dass Gott eben nicht bloß irgend so ein Krämer ist, der mit sich handeln lässt, sondern dass wir Menschen eben überhaupt nicht dazu in der Lage sind, auch nur irgendwie wiedergutzumachen, was wir in unserem Verhältnis zu Gott angerichtet haben.
Versöhnung ist nötig – doch diese Versöhnung können wir eben nicht bewirken, nicht mit irgendwelchen Opfern, die wir darbringen, auch nicht damit, dass wir uns ernsthaft darum bemühen, uns in Zukunft zu bessern.
Versöhnung, das wissen wir, kann immer nur von dem ausgehen, der verletzt wurde. Alle Versuche dessen, der verletzt hat, Versöhnung zu bewirken, sind vergeblich, wenn nicht der, der verletzt wurde, von sich aus auf den anderen zugeht. Davon weiß Zarathustra nichts, davon weiß Otto Normalverbraucher nichts, davon weiß eben auch der Islam nichts. Alle miteinander sind sie von diesem Gedanken bestimmt, es läge an uns, unser Verhältnis zu Gott in Ordnung zu bringen, wenn es denn diesen Gott überhaupt gibt und wenn der denn überhaupt mit uns zu tun haben will. Ja, selbst in christlichen Kreisen gibt es dieses Missverständnis, als ob es im christlichen Glauben darum ginge, dass Gott von uns Menschen versöhnt werden müsste.
Doch die Heilige Schrift erzählt eine völlig andere Geschichte – eine Geschichte, die unseren menschlichen Erwartungen so gar nicht entspricht: Sie erzählt von Gott, der sich aufgemacht hat, um uns mit sich, jawohl uns mit sich, nicht sich mit uns zu versöhnen.
Diese Geschichte beginnt schon im Alten Testament. Schon im Alten Testament ist es eben nicht so, dass sich die Israeliten irgendwelche Opfer ausgedacht hätten, um damit Gott zu versöhnen. Sondern schon im Alten Testament ist es so, dass Gott sich mit seinem Volk immer wieder versöhnen will, und dazu hatte er seinem Volk Wege gewiesen, Wege, die deutlich machten, dass Sünde und Schuld keine Kleinigkeiten sind, sondern eigentlich die Zukunft von uns Menschen ganz und gar zerstören. Das Blut der Opfertiere, es diente nicht dazu, einen blutrünstigen Gott zu besänftigen, sondern machte den Menschen deutlich: Es ist mein Leben, das ich verwirkt habe – und es ist allein Gott, der mir einen Neuanfang ermöglicht, der Versöhnung schenkt.
Und was Gott damals mit dem Volk Israel begonnen hatte, hat er dann in seinem Sohn Jesus Christus universal ausgeweitet: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber“, so formuliert es der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief sehr eindrücklich. Versöhnung ist nur so möglich, dass der, dem Unrecht zugefügt wurde, sich auf den Verursacher zubewegt. Und das hat Gott ganz konsequent getan ist, ist Mensch geworden in Christus, ist ganz und gar zu uns gekommen, hat sich auf Augenhöhe mit uns begeben. Sich selbst hat der wahre Gott in den Tod gegeben, hat sein eigenes Blut vergossen am Kreuz. Dieses eine Opfer tritt an die Stelle all der jährlichen Opfer, die bis dahin im Tempel dargebracht wurden. Nun ist die ganze, die völlige, die ewige Versöhnung da – und diese Versöhnung betrifft nicht weniger als die ganze Welt. Gott versöhnt die Welt mit sich, ja, diese kaputte, verlorene Welt, mitsamt all den Verbrechern, die ihre Völker unterdrücken, belügen und zugrunde richten.
Gott kommt auf die Welt zu – und umarmt sie gleichsam, als er sich für sie ans Kreuz nageln lässt. Was für eine großartige, geradezu unfassliche Botschaft: Der, von dem unsere ewige Zukunft abhängt, versöhnt uns mit ihm, zieht uns an sein Herz. Und so lautet die Botschaft, mit der Gott seine Boten beauftragt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Es ist die schönste Einladung der Welt, die wir immer wieder aussprechen dürfen: Lasst euch versöhnen mit Gott! Nicht: Tu dies, tu das, und wenn du das alles einhältst, wird der liebe Gott mit dir zufrieden sein. Sondern Gott hat alles für dich getan! Wehre dich dagegen nicht länger, sondern lass dich von Gott an sein Herz ziehen! Er will dich mit all deiner Schuld, mit all deinem Versagen annehmen, in seiner Gemeinschaft leben lassen. Alles, wirklich alles hat er getan, um dein Herz zu erweichen, hat sich für dich töten lassen, nur damit du siehst, wie ernst er es mit seinem Versöhnungswillen meint! Sei nicht zu stolz, dich auf diese Versöhnung Gottes einzulassen, glaube doch ja nicht, du hättest sie nicht nötig! Schau auf das Kreuz, dann erkennst du, wie nötig diese Versöhnung war, wie sehr du sie brauchst!
Nein, Gott zwingt dich nicht in diese Versöhnung hinein. Diejenigen, die als Botschafter Christi die Versöhnung predigen, die drohen nicht, sondern die bitten: Die Bitte ist die Form, in der Gottes Versöhnungsbotschaft uns Menschen erreicht: Bitte lasst euch versöhnen mit Gott. Diese Bitte ist herzerweichend; sie bewirkt viel mehr als alle Argumente und Drohungen zusammen. Der starke Gott macht sich aus Liebe zu uns so schwach, dass er als Bittsteller an uns herantritt, um gerade so unsere Herzen zu erreichen.
Ja, das ist es, was Jesus bringt: Er bringt Versöhnung, ja, mehr noch: Er ist die Versöhnung. Und als diese Versöhnung versöhnt er nun auch Menschen miteinander, indem er sie mit Gott versöhnt, so zeigt es Paulus im Epheserbrief: Christus stiftet die Einheit der Kirche zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, indem er sie versöhnte mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, wie er es formuliert. Gemeinsam empfangen wir immer wieder neu das Mahl der Versöhnung, die Gaben des Opfers, das Gott selber in Christus dargebracht hat, seinen Leib und sein Blut – und so bekommen wir Anteil an dem einen Leib Christi, werden dadurch auch miteinander versöhnt und verbunden, Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Deutschland, aus den USA, aus Finnland, aus so vielen anderen Ländern. Alle sind wir durch Christus mit Gott versöhnt – und alle leben wir allein von dieser Versöhnung. Ach, wie wunderbar, dass wir versöhnte Menschen sind – versöhnt durch Gott und mit Gott! Amen.